Rhein-Neckar. Zählen die kleinen blutsaugenden Spinnentiere zu den Gewinnern des Klimawandels? „Zecken kennen zumindest hierzulande keine Winterpause mehr“, bestätigt Ute Mackenstedt von der Universität Hohenheim in Stuttgart. So seien bereits im Februar Fälle von FSME-Erkrankungen bei Menschen bekannt geworden. Außerdem entdeckten die Experten im Frühjahr besonders viele Nymphen - das sind Frühstadien der Zecken, die sich vor allem an kleineren Tieren wie Mäusen festbeißen.
Was den Experten zusätzlich Sorgen bereitet: Die Corona-Pandemie hat offenbar eine Impfskepsis ausgelöst, die sich auf alle Arten von Impfungen ausweite - ein gefährlicher Trend, finden auch Gerhard Dobler, Mikrobiologe und Leiter des Nationalen Konsiliarlabors für Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München sowie Rainer Oehme vom Landesgesundheitsamt Baden-Württemberg. Und noch einen bedenklichen Trend machen die Experten aus: Speziell bei Kindern würden FSME-Erkrankungen erst spät entdeckt, weil die ersten Symptome oft sehr schwammig sein können und einer „Sommergrippe“ ähneln.
Rhein-Neckar-Region ist FSME-Risikogebiet
Baden-Württemberg gilt bereits seit etlichen Jahren als FSME-Risikogebiet. Auch für den benachbarten Kreis Bergstraße trifft das zu. Das bedeute aber nicht unbedingt, dass in diesen Gebieten besonders viele Zecken anzutreffen sind, betont Dobler. Denn die Risikokarten, die das Robert-Koch-Institut (RKI) herausgibt, geben tatsächlich die Zahlen von FSME-Infektionen auf.
Wir können für keine Region in Deutschland Entwarnung geben. Was die FSME betrifft, ist Deutschland inzwischen ein bundesweites Endemie-Gebiet
Die aktuellen Zahlen des Robert Koch-Instituts zeigen: Auch wenn nicht jeder Landkreis offiziell als Risikogebiet ausgewiesen wurde, ist das Infektionsrisiko vom Alpenrand bis zur Küste flächendeckend in Deutschland angekommen: „Wir können für keine Region in Deutschland Entwarnung geben. Was die FSME betrifft, ist Deutschland inzwischen ein bundesweites Endemie-Gebiet“, betont Mackenstedt - ohne indes Panik schüren zu wollen.
„Die Zahl der Naturherde nimmt zu“, verweist Mackenstedt auf die Tendenz, dass Wildtiere den bewohnten Gebieten näher rückten - und umgekehrt: So sei der Fall eines Waldkindergartens bekannt, der direkt neben einem solchen FSME-Naturherd, das können Mäuse, Füchse oder andere Tiere sein, eingerichtet wurde und viele Kinder erkrankten.
Nur rund 50 Prozent sind geimpft
„Nach der uns vorliegenden Statistik gab es in Deutschland im Jahr 2022 insgesamt 462 erkannte Fälle, für die Deutschland als Infektionsland angegeben wurde, davon waren zehn aus dem Bereich Rhein-Neckar-Kreis und Heidelberg“, geht Anne Kühn, im Gesundheitsamt des Rhein-Neckar-Kreises für den Infektionsschutz zuständig, auf regionale FSME-Daten ein.
Zumindest gegen FSME kann man sich mit einer Impfung schützen. Doch die Zahl derer, die sich entsprechende Spritzen vom Arzt geben lassen, sinken, sieht Dobler keine Impfmüdigkeit, sondern eine regelrechte „Impfskepsis“, die der Forscher auf die Erfahrungen in der zurückliegenden Corona-Pandemie zurückführt.
Nur rund 50 Prozent der Bevölkerung in den Risikogebieten sei laut RKI geimpft. Zwar gebe es keine FSME-Impfstatistik, aber aus den Verkaufsmengen des Impfstoffs sei ein Rückgang der Immunisierungen erkennbar. Allerdings fanden Dobler und seine Kollegen bei eigenen Untersuchungen von Antikörpern im Blut auch heraus, dass der Schutz trotz unvollständiger Impfung bei den untersuchten Bevölkerungsgruppen höher sei.
Hundebesitzer gelten als besonders gefährdet
Die Ständige Impfkommission (Stiko) gibt keine generelle Impfempfehlung heraus. Aber Menschen, die sich regelmäßig im Wald oder in Parks aufhielten, sollten sich impfen lassen, rät Dobler. Hundebesitzer zum Beispiel hätten ein klar erkennbares, größeres Risiko, sich krankmachende Zecken einzufangen. Aber auch der eigene Garten kann eine Infektionsgefahr bergen. Neben einer Impfung sei ein Absuchen nach dem Heimkommen ein wichtiger Schutz. Eltern sollten auch ihre Kinder genau anschauen. Helle, lange Kleidung ist ein weiterer Schutz vor den kleinen Spinnentieren.
Bei der Lyme-Borreliose, für die es keine Meldepflicht in Baden-Württemberg gibt, handelte es sich ebenfalls um eine weit verbreitete Krankheit, die ernst zu nehmen ist. Typische Kennzeichen seien meistens flächige Rötung an der Einstichstelle sowie grippeähnliche Symptome mit Fieber und Schwellungen der Lymphknoten.
Gegen Borelliose, eine Krankheit, die durch Bakterien ausgelöst wird, gibt es keine Impfung: „Die Borreliose ist eine Krankheit, die wie eine Grippe beginnen und ohne Behandlung jahrzehntelang andauern kann“, erklärt Kühn. Deshalb sollte auch bei Anzeichen für eine Borreliose ärztlicher Rat eingeholt werden.
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