Deidesheim. Ein Sterne-Restaurant in einem Gebäude der Barockzeit als Ort der Demokratie? Das mag zunächst verwundern. Gleichwohl gehört der „Deidesheimer Hof“ in dem gleichnamigen Pfälzer Städtchen ohne Zweifel in diese Serie. Denn hier ist der Ort, an dem Bundeskanzler Helmut Kohl in lockerem Rahmen, aber mit klarem politischen Kalkül, einflussreiche Repräsentanten Russlands, Großbritanniens und Frankreichs bewirtet - im Umfeld der Deutschen Einheit von 1989/90 und damit des Endes der SED-Diktatur im Osten Deutschlands.
Geografisch liegt der „Deidesheimer Hof“ im Herzen der gleichnamigen Stadt, gegenüber dem historischen Ensemble aus Rathaus und Kirche, direkt am Marktplatz, und schon von dieser Lage her das „erste Haus am Platze“. Und direkt an der Deutschen Weinstraße gelegen, mit einem guten Ruf auch überregional.
Und so findet er früh das Interesse eines prominenten Liebhabers guter einheimischer Küche: Helmut Kohl, ab 1969 und bis 1976 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Von dessen Privathaus in Ludwigshafen-Oggersheim sind es nur wenige Autominuten an diesen Ort, aber zugleich doch in eine völlig andere Welt fernab des Politikbetriebes.
Helmut Kohl bringt viele Gäste in den Deidesheimer Hof - bei einem geht sein Plan nicht auf
Im urigen „St. Urban“, einem der beiden Restaurants im „Hof“, hat Kohl seinen Stammplatz an Tisch 9, heute erkennbar durch Bilder von seinen Besuchen an den Wänden der dortigen Nische. Und auch Ort für das Gespräch des „MM“ mit Luisa Hahn, der Chefin des Hauses.
Als Regierungschef bringt Kohl viele internationale Politgrößen hier her. „Der Kanzler hoffte, damit eine Atmosphäre zu schaffen, in der es sich unbeschwerter über schwierige Themen sprechen ließe als im offiziellen Ambiente des Kanzleramtes“, analysiert SPIEGEL-Autorin Ariane Stürmer. Die Fahrt durch malerische Landschaften von Weinbergen, bejubelt von freundlichen Einheimischen, fernab jedweder Gegendemonstranten, soll im Umfeld der Wiedervereinigung angetan sein, Vertrauen zu schaffen - in Kohl und in die Deutschen: „In der pfälzischen Provinz wirkte Deutschland ganz harmlos“, formuliert Stürmer.
Nur bei einem Gast verfängt das nicht. Im April 1989, sieben Monate vor dem Mauerfall, empfängt Kohl hier die britische Premierministerin Margaret Thatcher - „im Unterschied zu seinen anderen Staatsgästen nicht im Wappenzimmer, sondern in der Geißbock-Stube“, wie Luisa Hahn berichtet. Der bärbeißige Name des Raumes passt irgendwie zum Verlauf des Treffens. „Hitzig“ sei es zugegangen, schreibt die Eiserne Lady später, auch Kohl von einem „mühsamen Geschäft“. Bei der Britin, die den Horror des Zweiten Weltkrieges während deutscher Bombenangriffe in Luftschutzkellern erlebt, bleibt Misstrauen gegen Deutschland, das es einzuhegen gelte. Daran ändern auch nichts Kartoffelsuppe, Saumagen, Würstchen mit Sauerkraut und Leberknödel.
Ganz anders läuft es mit Michail Gorbatschow. Der Besuch des Sowjetchefs am 10. November 1990, einen Tag nach dem Mauerfall-Jahrestag, ist Höhepunkt der Geschichte des Hotels und des 3700 Einwohner zählenden Ortes. Kohl und sein Gast reisen in einem Bus an, empfangen von einer Kapelle mit dem „Jäger aus Kurpfalz“. Der „Kanzler der Einheit“ ist auf dem Höhepunkt seines Ansehens, sein Gast schwimmt auf der Welle der Gorbi-Manie im Westen. Nur nicht daheim. „Wenn wir zuhause nur ein Zehntel von der Herzlichkeit hier erhalten würden“, soll Raissa Gorbatschowa zum Ortsbürgermeister geseufzt haben.
Boris Jelzin im Deidesheimer Hof - Leibwächter müssen den russischen Präsidenten hinaustragen
Gorbatschows Nachfolger wird Boris Jelzin, und auch der fühlt sich am 12. Mai 1994 in der Pfälzer Provinz wohl. Im Gedächtnis bleibt eine Szene auf der Treppe des Deidesheimer Hofes. Ihm und Kohl und ihren Frauen wird ein 1,5 Liter fassender Pokal Wein gereicht. Während die anderen drei nur nippen, leert Jelzin ihn in einem Zuge. Nach einigen Stunden muss er von seinen Leibwächtern hinausgetragen werden - gegen seinen Widerstand. „Ich will bei meinem Freund Helmut bleiben“, soll er gerufen haben.
Weniger spektakulär, aber durchaus hochkarätig, die anderen Gäste: Frankreichs Staatspräsident Chirac, Thatcher-Nachfolger John Major, König Juan Carlos von Spanien und der tschechische Präsident Vaclaw Havel. Nur einen US-Präsidenten können die Hahns nicht bewirten; für solche Besuche wären die Sicherheitsvorkehrungen zu aufwendig.
Zur Menüfolge gehört damals der Saumagen, eine traditionelle Speise der Pfalz, die dadurch sogar in den anderen Teilen Deutschlands erst bekannt wird. Nachdem das Gericht in den Medien jedoch zunehmend persifliert und zum Symbol einer scheinbar provinziellen und damit engstirnigen Politik Kohls erhoben wird, verschwindet es sukzessive von der Speisekarte für Staatsgäste.
Für das Haus bringt das Ganze natürlich dennoch einen riesigen Werbeeffekt, aber stets auch eine logistische Herausforderung - vor allem, was die Sicherheit angeht. Tage zuvor bereits wird alles mit Hunden durchsucht; das Restaurant läuft zwar weiter, doch die Gäste müssen sich weit im Vorfeld anmelden, zum Zweck der Sicherheitsüberprüfung.
In Deidesheim gehen Scharfschützen in Stellung
Auf den Dächern der umliegenden Gebäude nehmen Scharfschützen Stellung. Doch auf dem Marktplatz kommen die Menschen etwa Gorbatschow so nah, wie es heutzutage überhaupt nicht mehr denkbar ist. Nur Selfie-Wünsche, die Sicherheitsleuten heutzutage die Schweißperlen auf die Stirn treiben, fehlen. „Smartphones gibt es damals ja noch nicht“, lächelt Hahn.
Die großen weltpolitischen Ereignisse im Deidesheimer Hof sind seit dem Abgang Helmut Kohls zwar Geschichte. Privat allerdings ist er hier weiterhin zu Gast, auch mit seiner zweiten Frau Maike Kohl-Richter. Wie auch viele andere Prominente: Udo Jürgens ebenso wie Franz Beckenbauer, Frank Walter Steinmeier oder Boris Pistorius mit seiner Frau, schon vor ihrer kürzlichen Heirat. Viele Fotos entlang der Treppe zum Gourmet-Restaurant sind bleibende, fast schon historische Zeugnisse.
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