Serie „Orte der Demokratie“ (19)

Der Bezirksrat Pfalz: Die gewählte Stimme der Pfalz

Dieser Vorgänger des heutigen Bezirkstags des Bezirksverbands Pfalz wird bis heute vom Volk direkt gewählt und ist die einzige regionale Bürgervertretung in Rheinland-Pfalz

Von 
Peter W. Ragge
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Foto des ehemaligen Kreistagssaals in Speyer in der Kleinen Pfaffengasse mit Wandbildern. © Bezirksverband Pfalz

Kaiserslautern. „Der König hört die Stimme seines Volkes gern“. 1816 ist dieser Satz protokolliert worden – ein für die damalige Zeit ungewohnter, ja geradezu revolutionärer Satz, denn da haben fast überall noch absolutistische Herrscher allein das Sagen. Doch der damals neu installierte „Landrath“ gilt als erste Volksvertretung auf deutschem Boden. Dieser Vorgänger des heutigen Bezirkstags des Bezirksverbands Pfalz wird bis heute vom Volk direkt gewählt und ist die einzige regionale Bürgervertretung in Rheinland-Pfalz.

Möglich macht all das die Französische Revolution 1789. Napoleon führt 1800 den Conseil général nicht nur auf französischem Staatsgebiet, sondern ebenso auf dem von seinen Revolutionstruppen besetzten linksrheinischen Gebiet ein. Dieser Departementalrat gewährt Ansätze einer regionalen Selbstverwaltung, die Trennung von Rechtsprechung und Verwaltung, sowie Rede-, Vereins-, Gewerbe- und Pressefreiheit.

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Für die Pfalz zuständig ist das Departement Donnersberg. Die 20 Mitglieder seines Generalrats werden aber aus dem Kreis der 600 am höchsten besteuerten Personen berufen. Und weil sie nicht viel zu melden haben und ihre Bitten in Paris auf wenig Gehör stoßen, bleiben viele Mitglieder den Sitzungen oft fern. Und dennoch: Plötzlich gibt es – wenn auch nur den Hauch – der Chance einer Mitbestimmung, die zuvor lange völlig undenkbar ist.

1816 ist die Zeit der Franzosen in der Pfalz vorbei. Nach der Niederlage Napoleons werden beim Wiener Kongress die pfälzischen und saarpfälzischen Gebiete dem Königreich Bayern zugeschlagen. „Rheinkreis“ heißt das nun, ab 1838 „Rheinpfalz“. König Maximilian I. Joseph aus der Linie Pfalz-Zweibrücken der Wittelsbacher-Dynastie kann anfangs mit diesen freiheitlichen und, wie er es nennt, „eigenthümlichen Institutionen“ zwar nichts anfangen. Aber doch macht er bei der offiziellen Inbesitznahme, wie das damals genannt wird, den Pfälzern Zugeständnisse. Sie dürfen das metrische System behalten, müssen weniger Abgaben zahlen, und auch den Generalrat behält der König bei – nur eben unter dem Namen „Landrath“.

„Der König hört die Stimme des Volkes gern“, ist im Protokoll von 1816 niedergelegt – die Gründungsurkunde des heutigen Bezirkstags, dahinter die Fahne. © Pfalz

Als der am 6. Dezember 1816 erstmals in Speyer zusammentritt, versichert der bayerische Hofkommissär Franz Xaver Ritter von Zwackh, dass dem Gremium „das königliche Vertrauen und seine Huld“ gewiss sei. Erwünscht sei, dass die Mitglieder ihre „Wünsche und Vorschläge der königlichen Regierung vortragen“, so das bis heute erhalten gebliebene Protokoll: „Sprechen Sie dabei offen und frei nach Ihrer Überzeugung“, heißt es dann, und eben: „Der König hört die Stimme seines Volkes gern.“

Allerdings ist der „Landrath“ – noch – nicht gewählt. Ein Wahlkollegium benennt aus den 600 am höchsten besteuerten Männern 40, aus denen der König wiederum 20 aussucht und beruft. Dennoch sei es ein Gremium gewesen, „das die Saat für erste Formen der Selbstverwaltung legte“, so Ulrich Burkhart vom Zentralarchiv des Bezirksverbands Pfalz. Die Mitglieder seien „das Sprachrohr der Pfalz“ gegenüber der Regierung in München gewesen, hätten dort auch Resonanz gefunden und seien „ein hervorragendes Übungsfeld für die bayerische Ständeversammlung“ sowie „Vorbild und Namenspate“ für gleichartige Institutionen in Bayern gewesen.

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Die kommen indes erst viel später. 1828/29 werden im gesamten Königreich Bayern „Landräthe“, heute die bayerischen Bezirkstage, eingeführt. Und nach der Revolution 1848/49 billigt der König, dass die Mitglieder – ausschließlich Männer von mindestens 30 Jahren – auf Ebene der Städte direkt gewählt werden, wenngleich er selbst sie dann zu Sitzungen einberuft und ihre Beschlüsse billigen muss.

Zuständig ist das Gremium für den Bau von Straßen, Fragen der Brandversicherung, den Bau eines Zentralgefängnisses in Kaiserslautern, die Errichtung von Rheindämmen. 1825 werden ein Taubstummeninstitut in Frankenthal, das heutige Pfalzinstitut für Hören und Kommunikation, und 1857 die Kreisirrenanstalt bei Klingenmünster, heute das Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie, gegründet.

Nach dem Ersten Weltkrieg, die Pfalz ist wieder französisch besetzt, wird der 1919 in Kreistag umbenannte „Landrath“ direkt von den Bürgern für fünf Jahre gewählt, nun auch von Frauen. Das Gremium vertritt die Interessen der Bevölkerung gegenüber den Franzosen und verhindert 1923 deren Loslösungsbestrebungen der Pfalz von Bayern und Deutschem Reich. Auch unter den Nationalsozialisten bleibt die Pfalz bei Bayern, doch die Zeit der Selbstverwaltung ist vorbei – alles wird brutal gleichgeschaltet.

Alle Versuche der Abschaffung gescheitert

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Pfalz Teil des 1946 neu gegründeten Bundeslandes Rheinland-Pfalz. Dessen Landesverfassung enthält, auf Drängen der französischen Besatzungsmacht, das Selbstverwaltungsrecht der Pfalz. Zwar haben alle fünf Bezirke des neuen Bundeslandes die Möglichkeit, Bezirksverbände zu gründen – nur in der Pfalz wird das aber genutzt. Das gilt bis heute.

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Am 16. Januar 1950 bilden zunächst die 35 pfälzischen Landtagsabgeordneten in Neustadt an der Weinstraße den neuen Bezirkstag Pfalz. Erst über ein Jahr später, am 29. April 1951, dürfen die Pfälzer erstmals nach dem Krieg das 29 Mitglieder starke Gremium wieder direkt wählen. Führte zunächst die Bezirksregierung Rheinhessen-Pfalz in Neustadt die Geschäfte, gibt es seit 1994 eine eigene Verwaltung mit Sitz in Kaiserslautern. Zuvor überstand der Bezirkstag diverse Versuche, ihn im Zuge von Kommunalreformen abzuschaffen, alle.

Als „Pfälzer Parlament“ vertritt er knapp 1,4 Millionen Bürger in acht kreisfreien Städten und acht Landkreisen, die alle fünf Jahre über seine Zusammensetzung abstimmen. Vorsitzender ist seit 2004 Theo Wieder, der bei der im September beginnenden neuen Amtsperiode aber nicht mehr für die Position antreten will. Das Gremium sieht sich heute als Garant für die Lebensqualität in der Pfalz, etwa als Träger vom Pfalztheater, der Pfalzgalerie, aber auch vom Biosphärenreservat oder der Landwirtschaftlichen Untersuchungs- und Forschungsanstalt, von Sonder- und Meisterschulen.

Redaktion Chefreporter

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