Heidelberg. Was passierte Ende August 2020 im Verbindungshaus der Heidelberger Burschenschaft Normannia? Diese Frage beschäftigte in den vergangenen Jahren nicht nur die nationale und internationale Presse, sondern auch die Justiz. Am Montag hat die Neuauflage eines der skurrilsten Verfahren, das die Region in den vergangenen Jahren zu bieten hatte, vor dem Landgericht in Heidelberg begonnen.
Zur Erinnerung: Bei einer Feier am Kurzen Buckel in Heidelberg sollen mehrere Burschenschafter vor über vier Jahren einen damals 25-Jährigen antisemitisch beleidigt, ihn mit Gürteln geschlagen und mit Münzen beworfen haben - als Anspielung auf Stereotype vom „Wucherjuden“. Vier von ihnen - zwei aus Heidelberg, zwei aus Köln - mussten sich im Winter 2022 vor dem Amtsgericht in Heidelberg verantworten, angeklagt waren sie wegen gefährlicher Körperverletzung und tätlicher Beleidigung.
Einer der Angeklagten zieht seine Berufung zurück
Im Dezember 2022 wurde einer der beiden Heidelberger freigesprochen, die drei anderen Burschenschafter wurden zu je acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt - und legten Berufung gegen das Urteil ein. Weil einer der Männer die Berufung kurz vor Prozessbeginn zurückzog, stehen am Montag nur zwei der Angeklagten erneut vor Gericht: Luis S., ehemaliges Mitglied der Heidelberger Normannen, und Maximilian H. aus Köln, der zuletzt in seiner Heimatstadt in die Schlagzeilen geriet.
Nach Recherchen des „Kölner Stadtanzeigers“ soll H. nicht nur Mitglied der Kölner Burschenschaft Germania, sondern auch Mitarbeiter des Dürener AfD-Abgeordneten Klaus Esser gewesen sein. Nach Bekanntwerden des erstinstanzlichen Urteils durfte er laut dem Medium nur noch ausgewählte Teile des nordrhein-westfälischen Landtags betreten - obwohl das Urteil bislang nicht rechtskräftig ist. Der Landtag sei „wehrhaft - auch gegen drohende Gefahren von innen“, sagte ein Sprecher des Landtags gegenüber dem „Kölner Stadtanzeiger“.
Am Montag äußern sich beide Angeklagte erstmals vor Gericht zu den Vorwürfen: Luis S., der im August 2020 noch Mitglied der Heidelberger Burschenschaft Normannia war, berichtet, wie er seinen Kumpel aus einer befreundeten Burschenschaft zur Party ins Verbindungshaus einlud und dem damals 25-Jährigen per Whatsapp ankündigte, bei seiner Ankunft „gegürtelt“ zu werden. Dabei handelte es sich laut S. um einen pubertären Spaß, bei dem sich die jungen Männer regelmäßig Schläge auf den Hintern verpassten - etwa zur Begrüßung, während sie diskutierten oder einfach als „Überraschungsgürtler“. Und so habe er auch am besagten Abend Ende August 2020 seinen Gürtel gezogen und den Freund damit geschlagen, nachdem dieser das Verbindungshaus betreten hatte. Danach habe er ihn aus den Augen verloren, weil er sich im Nebenraum aufgehalten habe. Der damals 25-Jährige sei sehr bald gegangen und habe geknickt gewirkt, so S. Am Rande der Party habe er mitbekommen, dass der 25-Jährige wohl beleidigt worden war und sich darüber aufgeregt habe. Allerdings sei er davon ausgegangen, dass es sich um nichts Dramatisches gehandelt habe.
Strafverteidiger Andreas Schoemaker aus Essen rekonstruiert am Montag den Tatabend aus Sicht seines Mandanten Maximilian H. und schildert, wie dieser mit seinem Kölner Verbindungsbruder - dem Mitangeklagten, der seine Berufung zurückgezogen hat und nun als rechtskräftig verurteilt gilt - nach Heidelberg gefahren sei. Beide hätten mit dem späteren mutmaßlichen Geschädigten ein Bier getrunken, dann sei H. von etwas Herumfliegenden getroffen worden. Er habe eine Stimmungsveränderung und tumultartige Szenen bemerkt. H. sei seinem Begleiter aus Köln in die Mitte des Raums gefolgt, so Schoemaker, wo der damals 25-Jährige diesem ein Bier über den Kopf geschüttet habe, weshalb H. ihn weggestoßen habe.
Beide Angeklagten bestreiten am Montag, etwas mit den antisemitischen Beleidigungen zu tun oder etwas davon mitbekommen zu haben, H. gab an, Schläge, die den Oberschenkel des 25-jährigen Mannes trafen, beobachtet zu haben. Das mutmaßliche Opfer war selbst Verbindungsmitglied und in der „Alten Leipziger Landsmannschaft Afrania“ organisiert, laut dem Heidelberger Angeklagten war er oft im Verbindungshaus der „Normannia“ zu Gast, und den Normannen sei durchweg bekannt gewesen, dass er jüdische Vorfahren habe.
Belastende Zeugenaussage zu Prozessbeginn
Durch Chatverläufe, rekonstruierte Gespräche oder, weil die Angeklagten klar identifiziert worden seien, habe sie keinen Zweifel an der Schuld der drei Angeklagten, sagte Richterin Nicole Bargatzky in der Begründung zum erstinstanzlichen Urteil im Dezember 2022. Einer der ersten Zeugen im neuaufgerollten Verfahren ist am Montag der damalige Vorsitzende des Altherren-Verbands der „Normannia“, die sich inzwischen „Cimbria“ nennt und auf ihrer Homepage mit dem Slogan „Tradition ist nicht die Anbetung der Asche, sondern die Bewahrung und das Weiterreichen des Feuers“ für sich wirbt. Der Zeuge gibt sich im Berufungsverfahren auskunftsfreudiger als 2022 und berichtet, dass Luis H. und der freigesprochene Normanne die Tat zunächst eingeräumt und „die Kölner“ sowie „die Saarbrücker“ - weitere Gäste einer befreundeten Burschenschaft - als Komplizen benannt hätten.
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