Heidelberg. Der Heidelberger Historiker Manfred Berg ist einer der profiliertesten Kenner der US-amerikanischen Geschichte. Der Professor hatte eine kurze Nacht zum Mittwoch und verfolgte die Wahlberichterstattung in den USA ab vier Uhr morgens. Im Interview ordnet er das Wahlergebnis ein.
Herr Professor Berg, Sie hatten einen Wahlsieg von Donald Trump prognostiziert. Dann sind Sie jetzt wahrscheinlich nicht überrascht?
Manfred Berg: Ich bin nicht überrascht, dass Donald Trump gewonnen hat. Ein knapper Erfolg im Electoral College war durchaus denkbar. Aber ich bin absolut überrascht über das Ausmaß des Sieges. Trump hat in allen Swing States gewonnen und auch die Mehrheit der landesweit abgegebenen Stimmen. Das hatte niemand erwartet. Er hat nun in seiner Siegesrede ein beispielloses, starkes Mandat für sich beansprucht. Das kann man dieses Mal nicht einfach als Rhetorik abtun.
Die Republikaner haben auch souverän den Senat erobert und das Repräsentantenhaus behauptet. Das heißt: Trump kann durchregieren. Das ist der größte Erfolg eines republikanischen Kandidaten seit George W. Bush 2004. Der Sieg ist vielleicht sogar noch bedeutsamer. Damit ist die lange gehegte Vorstellung von Donald Trump als einem Betriebsunfall der amerikanischen Geschichte endgültig erledigt. Die 2010er und 2020er Jahre werden als das Zeitalter Donald Trumps in die Geschichte eingehen. Das Ergebnis zeigt außerdem wieder einmal, wie absolut unzuverlässig die Wahlprognosen waren.
Sie haben prognostiziert, dass mit der Wahl die Zukunft der USA für die nächsten zehn, 20 Jahre entschieden wird. Mit welchen Konsequenzen rechnen Sie?
Berg: Die Republikaner haben Zugewinne in der klassischen demokratischen Klientel gemacht: Schwarze Männer haben Trump gewählt, Latinos sind massiv ins Trump-Lager umgeschwenkt. Die Republikaner sind zu einer nationalistischen Arbeiterpartei geworden - jedenfalls was ihre Wählerbasis betrifft. Und Trump ist der authentische Führer dieser Bewegung. Diese Bewegung hat einen großen Massenappeal. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
Wird es zu Unruhen kommen? Wird das Harris-Lager die Wahl anfechten?
Berg: Das glaube ich nicht. Es wird auch nirgends berichtet, dass es zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei. Der Trump-Sieg steht fest. Die Demokraten werden nicht das wiederholen, was Trump vor vier Jahren gemacht hat. Ich denke aber, dass sich die Staaten mit den demokratischen Hochburgen ähnlich wie in der ersten Amtszeit Trumps partiell von der Union abspalten.
Sie werden versuchen, die Politik in Washington zu konterkarieren. Die Republikaner beherrschen nach dem 20. Januar sowohl die Exekutive als auch die Legislative. Und Trump kann auf eine Mehrheit von Richtern am Supreme Court rechnen. Die laufenden Prozesse gegen ihn werden eingestellt. Ich rechne auch damit, dass Trump die wegen des Aufstandes am 6. Januar 2020 verurteilten Straftäter begnadigen wird. Die Mehrheit der amerikanischen Wählerinnen und Wähler hat diese Ereignisse vergessen, verdrängt oder sie glaubt an die Trump’sche Version. Was auch immer: Es spielt keine Rolle.
Manfred Berg
- Der Heidelberger Historiker ist Inhaber der Curt-Engelhorn-Professur für Amerikanische Geschichte an der Universität Heidelberg.
- Er studierte in Heidelberg Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie, wurde 1988 promoviert und 1998 an der Freien Universität in Berlin habilitiert.
- In seinem aktuellen Buch „Das gespaltene Haus. Die Geschichte der Vereinigten Staaten von 1950 bis heute“ zeichnet er nach, warum Donald Trump kein Betriebsunfall war, sondern das vorläufige Ende einer langen Entwicklung.
Wahlentscheidend war wohl auch die individuelle wirtschaftliche Situation vieler Menschen, die ihren Lebensunterhalt kaum finanzieren können. Wird Trump mit seinem Protektionismus die Preise senken und die Situation der Menschen verbessern können?
Berg: Die meisten Ökonomen sagen, dass das nicht passieren wird. Aber ich bin kein Ökonom. Wir müssen jedoch eines sehen: Alle Beschwörungen, dass sich die Wirtschaft erholt, die Inflation sinkt, die Arbeitslosigkeit auf einem historisch niedrigen Stand ist, ignorieren, dass die allermeisten Menschen wenig über Wirtschaft wissen. Was die Leute tatsächlich erleben, fühlt sich ganz anders an: Die Preise sind in den vergangenen vier, fünf Jahren durch die Decke geschossen. Sehr viele Menschen können Benzin, Lebensmittel, Mieten und Kredite einfach nicht mehr bezahlen. Sie sagen sich: „Unter Trump ging’s mir besser und das ist für mich entscheidend“.
Wie wird sich das deutsch-amerikanische Verhältnis entwickeln?
Berg: Wir sind heute in einer anderen Situation als 2016/17. Donald Trump hatte damals weder innen- noch außenpolitische Erfahrung. Das ist jetzt etwas ganz anderes. Deutschland hat er ja nie gemocht, weil er es immer als Konkurrenten, als Trittbrettfahrer gesehen hat. Ich kann mir vorstellen, dass er Deutschland ganz besonders auf dem Kieker hat. Auch seinen Beratern wird nicht entgangen sein, wie unpopulär Trump hierzulande ist.
Glauben Sie, er wird die Heimat seines Großvaters, Kallstadt, besuchen?
Berg: Zu Gipfeltreffen in Deutschland wird er wahrscheinlich kommen. Es ist aber absurd zu glauben, dass er aus einer Sentimentalität nach Deutschland käme. Wir kennen Donald Trump jetzt. Wir wissen, was er versprochen hat. Wir wissen, was er tun will. Wir sollten den Mann endlich ernst nehmen. Denn er ist ernst zu nehmen. Er vertritt knapp über die Hälfte der amerikanischen Wähler.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg_artikel,-heidelberg-heidelberger-historiker-manfred-berg-das-zeitalter-donald-trumps-_arid,2258960.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar US-Wahl: Für Bestürzung ist keine Zeit