Heidelberg. Kapitalverbrechen, Todesermittlungen und Anzeigen von Bürgern ebenso wie Gnadengesuche oder Ordnungswidrigkeiten: Der Alltag von Staatsanwälten ist vielfältig. Die Vertreter der Anklagebehörde arbeiten regelmäßig rund um die Uhr, denn abends, nachts und an den Wochenenden muss ein Bereitschaftsdienst erreichbar sein.
So weckte im März ein Anruf eine Staatsanwältin, die von der Polizei über einen Unfall im Wald bei Leimen informiert wurde. Im Auto saß ein mit zwei Promille betrunkener Mann. Sein Beifahrer war geflüchtet. Der Staatsanwalt ordnete eine gerichtsmedizinische Untersuchung des schwer verletzten Fahrers an - was später noch wichtig werden sollte. Denn das Auto war nicht auf den Mann, sondern auf einen 88-Jährigen aus Bammental zugelassen.
Staatsanwaltschaft Heidelberg
- Die Zahl der Anzeigen gegen unbekannte Täter betrug 17 707 und stieg damit gegenüber dem Vorjahr (14 303) deutlich auf das zweithöchste Niveau der letzten 20 Jahre an.
- Bei der Staatsanwaltschaft Heidelberg arbeiteten zum Stichtag (31. Dezember 2022) 89 Personen.
- Sie verteilen sich – unter Berücksichtigung von Teilzeitstellen – auf 31,05 Stellen (sogenannte Arbeitskraftanteile) für Staatsanwälte, 4,75 Stellen für Amtsanwälte, 4,9 Stellen für Rechtspfleger sowie 5,8 Stellen für die Vollstreckung der Geldstrafen.
- Es gab 469 (403) Todesermittlungsverfahren, 52 (29) Brandermittlungsverfahren sowie 53 (73) Verfahren gegen unbekannte Täter wegen Straftaten mit politischem Hintergrund.
- Ermittlungsverfahren gegen bekannte Tatverdächtige stiegen gegenüber dem Vorjahr um 1802 Verfahren (plus 6,88 Prozentpunkte) auf 27 993 Verfahren an, den vierthöchsten Stand der vergangenen 20 Jahre.
Als der Senior am nächsten Morgen zusammengeschlagen und lebensgefährlich verletzt auf einem Supermarktparkplatz aufgefunden wird, wird nun wegen versuchten Mordes ermittelt. Im Herbst hat das Heidelberger Landgericht den 50 Jahre alten Mann zu sieben Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Nicht wegen versuchten Mordes, sondern unter anderem wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung.
Meist ruft die Polizei an
„Freitags um 12 Uhr wechselt das Handy zum nächsten - und bleibt eine Woche beim Kollegen“, beschreibt Andreas Herrgen, Leiter der Heidelberger Staatsanwaltschaft, beim Jahrespressegespräch den Alltag in der Behörde. Meist ist es die Polizei, die anruft und einen Fall meldet. „Wenn es schwierig wird, wollen wir dabei sein“, ergänzt Thomas Bischoff, Erster Staatsanwalt und Pressesprecher der Heidelberger Behörde.
Ähnlich wie bei den Ärzten im Krankenhaus wird der Bereitschaftsdienst der Staatsanwälte nicht komplett als Arbeitszeit bezahlt. „Wir sind aber verpflichtet, den Bereitschaftsdienst zeitnah mit Freizeit auszugleichen“, fügt Bischoff hinzu. Jeder Kollege in Heidelberg muss etwa zwei Mal im Jahr jeweils eine Woche am Stück das Bereitschaftshandy bedienen - zusätzlich zum normalen Dienst tagsüber.
Kinderpornografie nimmt zu
Rund 45 700 neue Verfahren: Die Heidelberger Staatsanwaltschaft hat im vergangenen Jahr eine Rekordzahl an Ermittlungen aufgenommen. In den vergangenen 20 Jahren habe es nur einmal mehr neue Verfahren gegeben (2018), bilanziert der Behördenleiter, der Leitende Oberstaatsanwalt Andreas Herrgen, im Gespräch mit dieser Redaktion.
Gestiegen sind unter anderem Fälle von Kinderpornografie: 3000 Ermittlungen mehr als im Jahr davor haben die Anklagebehörde 2022 beschäftigt. Den Anstieg dieser Kriminalitätsform führen die Ermittler vor allem darauf zurück, dass das Verbreiten solcher Bilder und Videos technisch durch Internet und Handydienste deutlich erleichtert wird. Die Staatsanwaltschaft Heidelberg ist zuständig für Heidelberg sowie weite Teile des Rhein-Neckar-Kreises – insgesamt für 479 000 Bewohner. Mit rechnerisch rund 30 Stellen kümmern sich Staatsanwältinnen und ihre Kollegen um Kapitalverbrechen, Todesermittlungen und Anzeigen genauso wie zum Teil um Ordnungswidrigkeiten – wenn nämlich die Beschuldigten gegen Entscheidungen vorgehen.
Dezernat für Hasskriminalität
Neu ist, mit einer halben Personalstelle ausgestattet, das Dezernat für Hasskriminalität. Ob Beleidigung oder üble Nachrede – in diesem Bereich geht es vor allem um schädigende Einträge in sozialen Netzwerken. Allerdings sei das Aufkommen an solchen Verfahren bislang noch deutlich unter den Erwartungen geblieben, bilanziert Herrgen. Das liege vor allem daran, dass die Anbieter solcher Seiten trotz der gesetzlichen Möglichkeit wider Erwarten seltener solche Verstöße von sich aus melden.
2562 Stunden haben die Anklagevertreter im vergangenen Jahr in Hauptverhandlungen im Gerichtssaal verbracht. Weitere 427 Stunden kamen von Referendaren hinzu – die allerdings ausschließlich vor Einzelrichtern am Amtsgericht. Mit ihrer Arbeit sorgt die Justiz auch dafür, dass gemeinnützige Projekte vor allem im Bereich der Kriminalprävention mit Geld ausgestattet werden: So sind im vergangenen Jahr Geldauflagen von insgesamt 449 870 Euro erteilt worden.
Häufig geht es bei den Anfragen der Polizei darum, Haftbefehle für gerade festgenommene Straftäter zu beantragen. Dazu setzt sich der Staatsanwalt mit dem Bereitschaftsrichter in Verbindung. Oder der Staatsanwalt oder seine Kollegin ordnen weitere Beweiserhebungen und Vernehmungen an, die nicht bis zum nächsten Tag warten können.
Für Ermittlungen verantwortlich
Auch die Begutachtung von Tatorten gehört - zumindest bei schweren Straftaten - zu den Aufgaben der Ermittler. Bei ihrer Arbeit stehen sie nicht nur in ständigem Kontakt mit der Polizei, sondern haben grundsätzlich „den Hut auf“, das heißt, sie sind sogar für die Ermittlungen verantwortlich.
So ein Bereitschaftsdienst kann ruhig verlaufen - oder auch nicht, wissen Herrgen und Bischoff sowie dessen Stellvertreter Jonathan Waldschmidt. Nicht selten entscheiden vermeintliche Kleinigkeiten über den Verlauf. So wurde auf der A 6 ein Wagen gestoppt, in dem - unter Schmutzwäsche - 120 000 Euro lagen. Die Geldscheine waren ordentlich vakuumverpackt, und das Gerät für diese Spezialverpackung lag daneben.
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Der Verdacht lag nahe, dass es sich um Drogengelder handelte. Die Insassen erklärten jedoch, das Geld gehöre einem in Spanien gemeldeten Bekannten und stamme aus einem Hausverkauf. Zwar händigten die Durchreisenden den Beamten bereitwillig ihre - gesperrten - Handys aus. Sie hatten aber wohl nicht damit gerechnet, dass Kurznachrichten auch auf dem Sperrbildschirm „aufpoppen“ können: „Wir haben alles richtig gemacht, Bruder. Insgesamt 203 400 Euro für 160 Kilo Marihuana“ lasen die Fahnder plötzlich auf Spanisch. Das Geld wurde beschlagnahmt, und die beiden Autoinsassen kamen in Untersuchungshaft.
Manchmal mehrmals Kontakt
Manchmal sehen die Staatsanwälte Beschuldigte gleich mehrmals hintereinander. So meldete sich an einem Samstag im Oktober der Kriminaldauerdienst bei der Bereitschaftsstaatsanwältin. Ein Mann hatte eine 19-Jährige auf dem Bismarckplatz unvermittelt von hinten umarmt und geküsst. Wenig später fasste der gleiche Mann einer 16-Jährigen an den Po.
Da dem Beschuldigten „lediglich“ sexuelle Belästigung vorgeworfen wurde, sah die Staatsanwältin zunächst keinen Grund, den Mann in Haft zu nehmen - zumal keine Fluchtgefahr bestehe. Doch schon einen Tag später fiel der Mann erneut auf: Er legte sich in einem Mehrbettzimmer im Hostel zu einer schlafenden Frau ins Bett und küsste sie. Außerdem belästigte er im Frühstücksraum eine Hotel-Angestellte sexuell. Als der Mann sich auch noch auf der Polizeiwache psychisch auffällig verhielt, ordnete die Staatsanwältin zunächst die Festnahme des Mannes an und beantragte später seine Einweisung in eine psychiatrische Klinik.
In einem Entführungsfall war besondere Eile geboten. In einer Nacht organisierte die Bereitschaftsstaatsanwältin nicht nur eine Telefonüberwachung, sondern auch eine „Auslandskopfüberwachung“ und erwirkte einen Europäischen Haftbefehl. In Tschechien konnte die entführte Frau befreit werden. Ihr Ex-Partner hatte sie offenbar in die die Türkei bringen wollen.
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