Heidelberg. Er ist schon übel dran, der belgische Meister-Detektiv Hercule Poirot: Wahrend Sherlock Holmes mit Dr. Watson ein Gegenüber hat, an dem er seine Überlegungen spiegeln kann, muss Hercule Poirot ganz allein die vielen Rätsel lösen, die ihm Autorin Agatha Christie auferlegt hat. Allein durch die Kraft seiner grauen Zellen. Nicht ergraut hingegen ist diese Figur, sie taugt immer noch für ein Bühnen-Vergnügen am Theater Heidelberg, wenn Christian Brey das Stück in der Bühnenfassung von Ken Ludwig mit kräftigen, komödiantischen Farben inszeniert.
Komödie mit ernstem Hintergrund
Brey, der am Heidelberger Haus schon mehrfach positiv auffällig geworden war (unter anderem „Der Geizige“ oder „Dracula“), scheint in dieser Produktion allerdings allzu sehr auf die Kraft der vordergründigen Klamotte zu setzen. Die Figuren tönen gerne schrill und laut, sie entsprechen den Klischees, die „man“ sich so macht, etwas vom polternden amerikanischen Geschäftsmann oder einer russischen Prinzessin auf der ewigen Flucht vor den Bolschewiken. Manchmal wäre es in der Figurenzeichnung und Textbehandlung sicher auch ein bisschen eleganter möglich gewesen, doch manchmal scheint Plakatmalerei vor Aquarell das Mittel der Wahl.
Der durchaus ernste Hintergrund und Ausgangspunkt dieser Komödie, eine Lösegeld-Erpressung und Kindstötung nach dem Lindbergh-Muster, wird in der Spielfreude zwar gestreift, sind doch alle Verdächtigen indirekt involviert, bleibt aber randständig, ehe in der finalen Szene ethische Fragen nach Schuld und Sühne aufgeworfen werden.
Aber ohne Zweifel: Das Stück macht was her, wozu die Ausstattung von Anette Hachmann wesentlich beiträgt. Schon die Eingangsszene - Bahnhofscafé in Istanbul mit Hagia Sophia im Hintergrund - ist geschickt entworfen, bis dann ein Salon-Schlafwagen die Bühne beherrscht. Drehbar, mit variablen Einblicken, konzentriert er die Verdächtigen räumlich, wenn der Zug im Schneesturm stecken blieb, und Kindsmörder Ratchett mit acht Messerstichen gemeuchelt wurde. Sein Darsteller Hans Fleischmann hat es gut, er darf sich für den größeren Teil der Aufführung ausruhen. Kostümiert sind sie zwischen zeitgemäß elegant und lässig, wie die Modewelt in den 30er Jahren ausgesehen haben mag.
Poirot hat ansehnliche Frau im Visier
Das Motiv der Vergeltung hat sie zusammengeschweißt; Hercule Poirot tastet sich ran an die Wahrheit, und Hendrik Richter gibt ihm sympathische Züge einschließlich der typgerechten kleinen Marotten. Er hat die ansehnliche Mary Debenham (Lisa Förster) im Visier: Hat sie das raffinierte Komplott geschmiedet? Die anderen Frauenfiguren pochen energisch auf ihre oft schrille Individualität, die von Nicole Averkamp, Katharina Quast, Esra Schreier und Christina Rubruck jeweils lustvoll ausgespielt wird. Bei den Männern fällt der aufs Renommee seiner Bahn bedachte Monsieur Bouc auf, den Steffen Gangloff porträtiert; witzig Benedikt Fellmer (Oberkellner, und Schaffner), während Marco Albrecht den Oberst aufbrausend und Jonah Moritz Quast den Sekretär schüchtern darstellen.
Wieder: 9., 20., 25. April, 15., 21. Mai. Karten: 06221/5 82 00 00
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