Heidelberg. Am Ende der städtischen Infoveranstaltung im Mühltal liefen viele mit einem Lächeln aus dem Wald: Nach gut anderthalbstündiger, weitgehend sehr fairer Diskussion mit rund 60 Bürgern hat Forstamtsleiter Ernst Baader einen Kompromiss und den Verzicht auf die Fällung hunderter Buchen angeboten. In kleinem Kreis wollen Forstamtsmitarbeiter und Sprecher des Aktionsbündnisses ein Konzept für die Waldflächen am Winterweg erarbeiten. Die Gruppe um „Waldwende Heidelberg“-Sprecher Volker Ziesling soll dabei eingebunden werden. Die Initiative hatte zu Beginn Klimaschutz-Bürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain eine Liste mit mehr als 1000 Unterschriften von Unterstützern übergeben.
Diskurs über Durchforstung
Die Stämme im Wald im Mühltal sind mit roter Farbe markiert: Eigentlich sollten sie schon im Frühjahr gefällt werden. Wegen der Proteste von Naturschutzverbänden und Bürgern verschob die Stadt die Aktion in den Herbst. Nun sollte es langsam ernst werden – und dagegen regte sich seit Wochen Kritik. Nun sieht alles danach aus, als könnte auf die große Durchforstung verzichtet werden. Mir viel Applaus ist diese Nachricht von den rund 60 Teilnehmern der zweiten Veranstaltung am Donnerstag aufgenommen worden.
Die Pflegearbeiten im Mühltal verfolgten laut Stadt drei Ziele: An den offenen Wiesenflächen und Feuchtbiotopen gehe es um die Pflege und die Sicherung der Lebensräume seltener Tier- und Pflanzenarten. Die Biotope bräuchten aus Naturschutzsicht mehr Sonneneinstrahlung. Weil jeden Tag viele Spaziergänger, Radfahrer und Kindergruppen dort unterwegs seien, sollen gefährdete Bäume durch junge ersetzt werden. Hier regt sich genauso wenig Widerstand wie beim Nadelwaldstück auf der Winterweg-Seite im unteren Talbereich: „Multiples Organversagen“ diagnostiziert Baader den Fichten, die bundesweit als große Verlierer des Klimawandels gelten und die langen Trockenjahre nicht überstehen. Und wer die traurigen Gerippe ohne Nadeln anschaut, kann daran keinen Zweifel haben.
Auch die Buchen, einst der einheimische Urwald-Baum unserer Wälder, leiden sichtlich unter dem Wassermangel, erklärt Baader. In diesem Teil des Waldes ist etwa jeder sechste Stamm mit einer roten Markierung versehen. „Kein Kahlschlag, sondern punktuelle Entnahmen“ seien vorgesehen, formuliert Tillmann Friedrich vom Forstamt. Der Waldboden sei an dieser Stelle – obwohl seit 24 Jahren keine Pflegearbeiten hier stattgefunden hätten – „biologisch inaktiv“. Laut Baader werde das Laub jedes Jahr ins Tal gefegt und könne nicht als Humus über den Wurzeln verrotten. Junge Eichen sollen gepflanzt, die abgesägten Buchenkronen als Windschutz liegenbleiben.
„Die markierten Buchen sind überwiegend überlebensfähig“, hat sich hingegen Ziesling ein anderes Bild vom Gesundheitszustand gemacht. Die geplante Durchforstung hält er für „hoch riskant“. Das Beste, was man aus seiner Sicht für diese Bäume tun könne, sei nichts zu machen. „Wir denken in falschen Zeiträumen, Buchen leben bis zu 450 Jahre“, appelliert er, den Wald so zu lassen wie er ist. Rund 60 Teilnehmer waren am Sonntag zur „Waldwende Heidelberg“-Veranstaltung an die gleiche Stelle gekommen. Aus einem Rundgang wurde erst einmal nichts: Am Ausgangspunkt beantwortete Ziesling bereits so viele Fragen, dass die Bürger fast eine Stunde dort blieben, bevor es zu dem Buchen-Waldstück weiterging.
Wald liegt vielen am Herzen
„Hier stehen sich nicht zwei Fronten gegenüber, den Kollegen des Forstamtes liegt der Wald genauso am Herzen wie Ihnen“, betonte Schmidt-Lamontain. „Und sie haben den Heidelberger Wald zu dem gemacht, was er ist“, fügte der Umweltbürgermeister hinzu.
1990 hatten Stürme weite Bereiche des Stadtwaldes zerstört. 1993 verabschiedete der Gemeinderat einen „naturnahen Bewirtschaftungsplan“, der bis heute als Arbeitsgrundlage für Baader und seine Kollegen gilt. „Der Wald ist keine Fabrik“, ruft eine Waldschützerin in die Runde, als Baader ausspricht: „Wir bekennen uns zur Forstbewirtschaftung, wir erzeugen Holz.“ Ziesling haut in dieselbe Kerbe wie die Frau: „Wollen wir einen Hochwasserschutzwald, einen Erholungswald, einen Artenschutzwald?“ sieht er die Aufgabe, mit den Bürgern Ziele zu definieren – bevor gerodet wird.
Das Baumsterben der 1980er-Jahre und den sauren Regen, blickt Baader zurück, habe man einigermaßen umgehen können, die Auswirkungen des Klimawandels indes stellten vor Fragen, die die Forstwirtschaft noch nicht beantworten könne. „Jeder einzelne trägt dazu bei“, ergänzt Friedrich und verweist auf den jährlichen Verbrauch von 240 Kilo Papier pro Deutschem. 80 Prozent davon würden importiert.
Info: Fotostrecke unter: mannheimer-morgen.de/heidelberg
Stadtwald Heidelberg
Mit mehr als 44 Quadratkilometern bedeckt der Heidelberger Wald rund 40 Prozent der Gesamtfläche der Stadt. Drei Viertel gehören der Kommune, der Rest dem Land.
2018 trug Heidelberg den Titel „Waldhauptstadt“. Die Organisation PEFC würdigte damit vorbildliches Engagement bei der Bewirtschaftung des Stadtwaldes. Der Titel wird nach einem Jahr weitergegeben.
Im August hat Heidelberg als bundesweit erste Stadt für das Gebiet rund um die Reha-Klinik Königstuhl das international anerkannte PEFC-Gütesiegel „Kur- und Heilwald“ erhalten. miro
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg_artikel,-heidelberg-buchen-muessen-nicht-weichen-_arid,1852516.html
Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Entwicklung im Mühltal: Sensibel reagiert