Protest - Vor dem Heidelberger Rathaus machen Aktivisten mit Camp aufmerksam auf die Situation Geflüchteter

Ausharren aus Solidarität: Solidarcamp für Geflüchtete vor Heidelberger Rathaus

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Michaela Roßner
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Das „Protestcamp für eine solidarische Geflüchtetenpolitik“ steht bis Sonntag mit Zelten und Transparenten auf dem Heidelberger Marktplatz. © Philipp Rothe

Heidelberg. Etwa zehn Igluzelte trotzen dem scharfen Wind auf dem Marktplatz. Am Brunnen flattern Spruchbänder: „Lager auflösen, Geflüchtete aufnehmen“. Trotz Eiseskälte möchten Aktivisten bis einschließlich Sonntag vor dem Heidelberger Rathaus auf die aus ihrer Sicht „menschenverachtende Abschottungspolitik an den EU-Außengrenzen“ aufmerksam machen.

Die erste Nacht sei ruhig gewesen, erzählt Leon Fordinal, „nur der Wind war heftig“. Gemeinsam mit Sarah Liedtke, Leonie Rath und Lennart Ries sitzt der Aktivist des Soli-Camps am Mittwochvormittag nun unter dem Dach des Info-Pavillons. Manchmal tauen die Aktivisten ihre Füße auf, indem sie sie auf Wärmflaschen stellen, wie Leonie gerade. Sie hat die Nacht daheim im Warmen verbracht. Doch das hilft jetzt auch nicht viel: Binnen Minuten kriecht die Kälte in Muskeln und Knochen. Trotz ihres dicken Wintermantels. „Das ist alles nichts im Vergleich zu dem, was Geflüchtete an den EU-Außengrenzen erleiden müssen“, möchte sie die eigenen Bedürfnisse zurückgestellt wissen.

Wie es den Geflüchteten bis zum großen Brand im griechischen Flüchtlingscamp Moria ging, belegen erschütternde Fotos und Kommentare im „Open Museum“ daneben, einem Zeltpavillon, in dem in Plastik geschweißte, bedruckte DIN- A4-Blätter wie an Wäscheleinen aufgehängt sind. Die Dokumente hat die Initiative „Now You See Me Moria“ zusammengetragen.

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Für Solidarität mit Geflüchteten - Camp auf Heidelberger Marktplatz

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Neue Lager entstehen

Zwar ist das bei einem Großbrand weitgehend zerstörte Lager in Moria inzwischen geräumt – aber es entstanden in Griechenland neue. Und die, so die Kritik, seien Gefängnissen ähnlicher als vertrauenserweckenden Zufluchtsorten: „Die EU zeigt jeden Tag, dass die Werte, von denen sie immer wieder spricht, eigentlich total egal sind. Die EU zeigt so, wie rassistisch die ganze Institution ist, indem sie klare Prioritäten setzt, welche Menschenleben es wert sind, geschützt zu werden und welche nicht“, fährt Leoni fort.

Dass sie hier auch nachts auf dem Heidelberger Marktplatz im Protestcamp „Evakuiert die Geflüchtetenlager an den EU-Außengrenzen“ bleiben dürfen, haben sich die Initiatoren im vergangenen Jahr vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim erstritten. Zuvor hatte die Heidelberger Stadtverwaltung mit Verweis auf die Pandemie nur tagsüber eine Anwesenheit im Zeltdorf erlaubt, das Verwaltungsgericht Karlsruhe teilte diese Rechtsauffassung im Wesentlichen. Die Mannheimer Richter hingegen stellten das Recht der Versammlungsfreiheit über Infektionsbedenken.

Infos zum Protestcamp

  • Bis Sonntag, 23. Januar, möchte ein Protestcamp auf dem Heidelberger Marktplatz auf die Situation von Geflüchteten an den EU-Außengrenzen aufmerksam machen.
  • Infos unter www.solicamp.de  im Internet.
  • Am Sonntag um 15 Uhr ist eine Abschlusskundgebung geplant.
  • Heidelberg gehört zu den Kommunen, die sich zum „sicheren Hafen“ erklärt und die Aufnahme von Geflüchteten angeboten haben.
  • 2021 erkämpften sich die Aktivisten die Erlaubnis, auch nachts im Camp bleiben zu dürfen, vor dem Verwaltungsgerichtshof Mannheim

Stichwort Pandemie: Die Situation der Geflüchteten sei in den vergangenen Wochen wieder aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden, erklären Rath, Ries und Fordinal. warum sie vor etwa einem Monat mit den Vorbereitungen für das Camp begannen, bei dem auch Filme und Gespräche auf die Situation Geflüchteter eingehen. Derweil spitze sich die Situation an der polnisch-belarussischen Grenze weiter zu, betonen die Camp-Aktivisten. Infoblätter stellen Schicksale von Männern und Frauen aus Syrien vor, die in diesem Grenzgebiet in den vergangenen Monaten starben.

Auch in der Heidelberger Flüchtlingspolitik sei „noch Luft nach oben“, betonen die Aktivisten. Das habe die Diskussion um das Ankunftszentrum im vergangenen Jahr gezeigt: Der zunächst anvisierte Standort „Wolfsgärten“ zwischen Autobahnen und Gleisen wäre aus ihrer Sicht den stark traumatisierten Menschen nicht gerecht geworden.

Ein Solidar-Camp ist kein fröhliches Zeltlager, das spürt am eigenen Leib, wer mehr als eine halbe Stunde mit den Aktivisten auf dem Marktplatz verbringt: Von den Zehen bis zu den Fingerspitzen breitet sich Ungemütlichkeit aus. Ob sie die Zelte nicht auch gut im Sommer hätten aufbauen können – dann wären vielleicht auch mehr Interessierte gekommen, möchten wir wissen? Natürlich wäre das denkbar gewesen, antwortet Rath. Aber gerade im Winter lebten die Geflüchteten an den EU-Außengrenzen in besonders unwürdigen Verhältnissen, ergänzt sie und zieht fröstelnd eine Decke über die Knie bis zum Kinn hoch.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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