„Das Leben des Opfers war mit dem Überfall faktisch beendet“: Im Prozess um einen brutalen Angriff auf einen 88-Jährigen in Bammental hat Oberstaatsanwältin Kerstin Anderson lebenslang oder wenigstens eine sehr lange Haftstrafe für den älteren der beiden Angeklagten gefordert. Dem zweiten sei zwar keine Beteiligung an der Tat nachzuweisen, wegen gefälschter Papiere müsse er aber eine empfindliche Geldstrafe erhalten, forderte die Vertreterin der Anklage. Die beiden Verteidiger des Brüderpaars lagen mit der Forderung nach höchstens sieben Jahren Haft für den Älteren und einen „Freispruch wegen erwiesener Unschuld“ für den Jüngeren deutlich unter den Forderungen der Staatsanwältin.
„Ich bedauere zutiefst, was geschehen ist“, lässt der 50-jährige Angeklagte von einer Dolmetscherin aus dem Russischen übertragen. Für das „letzte Wort“, das dem Angeklagten zusteht, erhebt sich der Mann im blauen Gefängnisanzug. „Ich bitte aufrichtig um Entschuldigung“, fügt er hinzu. Sein sieben Jahre jüngerer Bruder, der wie er an den bislang vier Verhandlungstagen so gut wie nichts gesagt hat, schließt sich kurz und bündig den Ausführungen seines Verteidigers Rüdiger Betz an.
Der Fall hat im März überregional für Entsetzen gesorgt: Ein 88-Jähriger soll auf einem Supermarktplatz in Bammental (Rhein-Neckar-Kreis) brutal überfallen und schwer verletzt worden sein. Der einst rüstige Rentner sei seit März ein Pflegefall, begründete Anderson die Forderung nach einer langen Haftstrafe für den Älteren. Der hatte gestanden, den Senior verprügelt zu haben – unter Alkoholeinfluss, und weil der alte Mann sich „irgendwie harsch“ ihm gegenüber verhalten habe. Das habe sich am Abend des 11. März in der Nähe jener Stelle ereignet, an der die Einkaufswagen vor dem Supermarkt stehen.
Keine Heimreise ohne Geld?
Diese Angaben des aus Moldau mit einem gefälschten bulgarischen Ausweis 2019 in Deutschland eingereisten Mannes hält Anderson nicht für glaubwürdig. „Der Überfall hatte eindeutig einen finanziellen Hintergrund“, deutete sie an, dass der chronisch abgebrannte Hauptangeklagte wohl nicht mit leeren Händen nach Hause zurückkehren wollte: Für den nächsten Morgen habe er ein Sammeltaxi nach Moldau gebucht gehabt. Mit dem Bargeld des Rentners in den eigenen Socken und seinem Geldbeutel im Kofferraum hatten die Brüder in der Nacht nach dem brutalen Angriff mit dem Auto des 88-Jährigen im Wald zwischen Leimen und Gaiberg einen Unfall. Der Fahrer, so die spätere Analyse, hatte dabei 2,2 Promille Alkohol intus. Sein Beifahrer hatte sich zu Fuß zur Wohnung der Partnerin nach Gaiberg durchgeschlagen und wurde am Morgen danach festgenommen. Seine Beine waren vom Unterholz zerkratzt, die Jogginghose mit Blutspuren fanden die Beamten am nächsten Morgen bei der Festnahme in der Wäsche.
Der 43-Jährige, dessen Handy an dem Abend durchgehend in jener Funkzelle eingeloggt war, in der er wohnte, müsse nach Ansicht der Anklage möglicherweise aus Mangel an Beweisen in der Hauptsache freigesprochen werden. Weil er aber gefälschte Papiere bei sich trug, sich eine zweite Identität und ein zweites Geburtsdatum zugelegt und sich unerlaubt seit 2019 in Deutschland aufhielt, beantragt Anderson für ihn mindestens 140 Tagessätze à 20 Euro.
Am vierten Prozesstag sagen zunächst noch Kriminaltechniker aus. Sie hatten unter anderem Blut- und Faserspuren an den Kleidungsstücken der beiden Verdächtigen gefunden. So isolierten sie Fasern vom Parka des Senioren an einer sichergestellten Steppjacke der Angeklagten. Allerdings seien die Faserspuren sehr mager. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Spuren entstanden, als sich die beiden Brüder später zusammen ins Auto setzten, gab ein Kriminologe des LKA Stuttgart zu bedenken.
Angst vor Strafverfolgung
Eindeutige Spuren einer Gewalttat fanden die Ermittler nur beim älteren der Brüder – Hämatome an der Hand, die auf eine wuchtige Schlagausführung hinweisen etwa. Verteidiger Tim Wullbrandt erinnert in seinem Plädoyer an das Geständnis seines Mandanten. Er sei nach einem für ihn harsch klingenden Kommentar des Seniors ausgerastet und aus Angst vor einer Strafverfolgung mit dem Auto des 88-Jährigen geflüchtet, hatte der 50-Jährige ausgesagt. Die Brüder sind vor März nicht mit der deutschen Justiz in Konflikt geraten.
Das allerletzte Wort in einer Gerichtsverhandlung gehört dem Vorsitzenden Richter. Jochen Herkle hat die Verkündung des Urteils auf den heutigen Mittwoch, 14 Uhr, angesetzt.
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