Heidelberg. Einer der bekanntesten Klimaschutz-Aktivisten der Region, Raúl Semmler, ist am Mittwoch vor dem Heidelberger Amtsgericht zu einer Geldstrafe von 3000 Euro verurteilt worden. In einem Verfahren, in dem es am zweiten Verhandlungstag längst nicht mehr nur um den Vorwurf der Nötigung ging, sondern auch um die Frage, ob Klimaschutz-Aktivisten einer Gesellschaft ihren Willen aufzwingen können - auch wenn sich die Erde immer weiter erwärmt.
Im Zentrum der Verhandlung: der 5. Mai 2021. An diesem Tag sollen 69 Aktivisten der Heidelberger Ortsgruppe von „Extinction Rebellion“ - einer radikalen Umweltschutzbewegung - die Zu- und die Ausfahrt des Leimener Werks von Heidelberg Cement blockiert haben. Zehn Lkw standen laut Gericht rund zwei Stunden still. Der Grund für die Blockade: Die Baubranche gehört zu den größten CO2-Emittenten der Welt. Die juristische Aufarbeitung des Vorfalls beschränkt sich nicht nur auf Semmler. In einem weiteren Verfahren, das aktuell am Amtsgericht Heidelberg verhandelt wird, müssen sich vier weitere Aktivisten verantworten. Insgesamt zwölf Beschuldigte hatten Einspruch gegen ihre Strafbefehle nach der Blockade erhoben und müssen sich nun vor Gericht verantworten. „In dem anderen Prozess hat die Polizei nachermittelt und gezeigt, dass es weitere Ausfahrten gegeben hat, dass der Werksleiter gelogen hat und die Lkw problemlos andere Ausfahrten hätten nutzen können“, sagt Semmler, der sich selbst vertritt.
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Zu Beginn der Verhandlung hat er zum dritten Mal den Antrag auf einen Laienverteidiger gestellt. Er möchte sich von einem Bekannten aus Berlin vertreten lassen, der Jura studiert. Sein eigentlicher Verteidiger sitzt in Münster, berät ihn aus der Ferne. Doch Amtsrichterin Claudia Zimmer-Odenwälder lehnt erneut ab, verzieht immer wieder das Gesicht, während Semmler Antrag um Antrag stellt - und Stunde um Stunde vergeht.
Der Schauspieler, der unter anderem im Historiendrama „Die Päpstin“ zu sehen war, bittet Zimmer-Odenwälder, sich ihrer Richterkollegin im parallel laufenden Verfahren anzuschließen. „Es wird in der kommenden Woche eine öffentliche Begehung des Werks in Leimen geben - als Teil der Hauptverhandlung“, sagt Semmler. Ziel sei es, das Werk genauer anzusehen, eine Vorstellung von den verschiedenen Zufahrten zu bekommen. Und der Frage nachzugehen, ob die Lkw-Fahrer das Gelände über andere Wege hätten verlassen können. Denn dann wäre es keine Nötigung gewesen.
Doch auch diesen Antrag lehnt die Amtsrichterin ab. Sie gibt an, sich über Bilder und Videos einen guten Überblick verschafft zu haben. Fassungslos hakt Raúl Semmler wieder und wieder nach. „Warum lehnen Sie es ab, mir einen Laienverteidiger zu billigen?“ Die Richterin antwortet: „Im Gericht und auf See ist man in Gottes Hand.“ Es ist einer der skurrilsten Momente dieses Prozesses und einer der lauten. Es gibt aber auch die leisten, etwa, als Semmler sagt: „Sie sind doch ein Mensch. Was haben wir für eine Zukunft?“
Regungslos hört sich der 38-Jährige vier Stunden nach Prozessbeginn die Urteilsbegründung an. Wie die Amtsrichterin die anderen Zufahrten auf dem Werksgelände beschreibt, die keine echte Alternative gewesen seien. Und dass die Klimakatastrophe kein strafrechtlicher Rechtfertigungsgrund sei. „Die Strafe ist eine Geldstrafe - sie musste aber deutlich spürbar sein, um weitere Straftaten zu verhindern“, sagt die Richterin. „Dann hätten Sie eine Haftstrafe verhängen müssen“, antwortet der Klimaschutz-Aktivist.
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