Tanz

Am Theater Heidelberg tanzt die Compagnie mit dem Chor

Tanzchef Iván Perez zeigt seine Choreographie "Island" nun auch am Theater und Orchester Heidelberg. Grundlage war eine A-cappella-Komposition und Shakespeares Schauspiel "Der Sturm"

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Werden zu Skulpturen (v. l. im Uhrzeigersinn): Inés Belda Nácher, Marc Galvez, Julián Lazzaro, Thamiris Carvalho, Mathias Theisen, Andrea Muelas Blanco, Jochem Eerdekens, Kuan-Ying Su, Lucía Nieto Vera und Yi-Wei Lo mit Chormitgliedern. © Susanne Reichardt

Der Stoff hat es in sich. Dabei ist, ja, so ist’s wirklich, (fast) alles nur geklaut. Von Michel de Montaigne, Jacob Ayrers, William Thomas und Ovid sowie aus frühkolonialistischen Reiseberichten. Der Inspirationskraft, die aus Shakespeares kuriosem Sammelsurium „Der Sturm“ hervorbricht, hat das nicht geschadet. Sein letztes Werk wurde zu Musik, Opern und Filmen, von denen Peter Greenaways „Prosperos Bücher“ (1991) der bekannteste sein dürfte.

Abrakadabra

Dem Stück wohnt wortwörtlich Zauberkraft inne. Doch mehr als für Quellenforschung, Kannibalismus, Zauberei oder Feminismus interessiert sich Heidelbergs Tanzchef Iván Perez für die Magie persönlicher Erinnerung, die dem alten Herzog von Mailand nach zwölf Jahren Exil in Inseleinsamkeit Sinn und Herz verwirrt.

Sechs Jahre ist es her, dass Perez Choreographie „Island“ im Song of the Goat Theatre im polnischen Breslau Premiere feierte - nun zeigt er das Werk umbesetzt und neuinszeniert an seiner Wirkungsstätte Heidelberg, wo das Premierenpublikum jubelt.

Lokalbezug?

Schließlich ist es ja irgendwie ein lokales Stück, denn es ist historisch belegt, dass es bei den Londoner Hochzeitsfeierlichkeiten von Elizabeth Stuart mit Heidelbergs Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz aufgeführt wurde. Das verbindet.

Genug gescherzt, denn lustig geht es hier nicht zu. Wer von weihnachtlicher Wohlgestimmtheit träumte, Kriegsgeschehen, Reichsbürger oder Gaspreise vergessen wollte, trifft auf einen Abend, der mehr depressiver Totentanz als choreographierten Erinnerungsreigen ist.

Chor und Compagnie

Es wird viel geraunt in diesen schwarzen 55 Minuten. Zunächst auf Englisch von Tänzerin Thamiris Carvalho, die Alicja Brals Text „Prospero (Prolog)“ vorträgt. Der Clou an diesem sparten- wie genreübergreifenden Abend ist nämlich, dass getanzt, gesungen und gesprochen wird und daher neben dem (auf der Bühne ganz selbstverständlich mitspielenden und dirigierenden) Chordirektor Michael Pichler mit Grzegorz Bral auch ein Regisseur im Einsatz ist. Die mehrstimmigen Gesänge von Jean-Claude Acquaviva und Maciej Rychly sind zunächst sakral angelegt - Gregorianik lässt grüßen - und werden von Opernchormitgliedern souverän im Stehen, Sitzen und Gehen gemeistert.

Schwarze Insel der Erinnerung

Perez’ Compagnie umspült die monochrom finstere Insel der Erinnerung (Bühne: Iván Perez mit Peer Rudolph) indes mit wogenden Umarmungen, Wellenbewegungen und kunstvollen Armwirbeln, dann wieder weniger einfallsreich mit schlichten Reigen. Mal mischen sich Singende und Tanzende, mal bewegt sich der Chor - und die Compagnie sitz vor ihm auf dem Tanzboden. Sterbenden Träume zu erzählen, war eine alte irische Tradition, die auch Shakespeare kannte.

Spiegel der Seele

Perez’ Choreographie wirkt, als sei sie das Ergebnis chorischer Einflüsterungen der Prospero-Welt aus Sein, Schein und Erinnern. Er braucht daher keine Logik, sondern Einbildung, Vorstellungsvermögen und Suggestivkraft für eine Welt, die nicht wirklich existiert, aber dennoch eine tieftraurige ist, die Fratzen zeigt und schwarze Schatten der Selbstbespiegelung wirft.

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Am stärksten ist der Abend, wenn stimmliche Polyphonie auf Bewegungsentwürfe trifft, die seine Compagnie zu schwebenden, wabernden Skulpturen werden lässt. Bei Perez sind sie Metaphern für die Welten-Verwirrung des greisen Exilanten, die eine Art kollektive Furcht hervorzubringen scheint, die zu Boden drückt. Dort wälzt man sich. Versuche, sich aufzurichten scheitern, Gliedmaßen knicken ein, scheinen zu zerfließen oder bringen allenfalls kantige Scherbewegungen oder mühsame Huckepack-Passagen hervor. Das dancetheaterheidelberg trägt hier nicht minder schwer an sich und der Welt als die A-cappella-Komposition, die mit ihren rhythmisch vertrackten Passagen und atmosphärischen Vocalisen bis in die exzellenten Soli hinein dennoch äußerst suggestiv ist.

Stoff, Traum, Schlaf

Das Song of the Goat Theatre ist mit „Hamlet“, „König Lear“ und „Der Sturm“ sozusagen abonniert auf Shakespeare - und das international erfolgreich. Auch mit Heidelbergs Compagnie und Chor kommt diese Arbeit nun vor Ort glänzend an.

Es ist, wenn auch ein sehr finsterer, so doch ein bildstarker Abend geworden, der in seinem monochromen Ästhetizismus manchmal ein wenig über die Stränge schlägt, etwa wenn Yi-Wei Lo am Trapez über die am Boden liegenden Seelenspiegel schaukelt. Aber bitte, ein wenig Totentanz und Schwarze Messe darf sein, wenn es bei Shakespeare doch so schön heißt: „Wir sind aus solchem Stoff wie Träume sind, und unser kleines Leben ist von einem Schlaf umringt.“

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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