Heidelberg. Als die evangelische Heiliggeistgemeinde im Mai zum Taylor-Swift-Gottesdienst eingeladen hatte, wurde daraus ein unerwartetes Großereignis, internationaler Medienrummel inklusive. Nun folgten am Sonntag zwei weitere Pop-Gottesdienste, inspiriert von den Liedern des britischen Weltstars Adele. Die Presse drängte sich diesmal nicht in der Kirche, dafür aber rund 1000 Besucher, und Pfarrer Vincenzo Petracca legte bei der Gestaltung des Gottesdienst noch eine Schippe drauf: Neben Sängerin Tine Wiechmann und Band hatte er den Mannheimer Streetdance-Künstler „Mr. Quick“ eingeladen, in dessen Interpretation der Adele-Songs Verzweiflung und Verlassenheit greifbar wurden.
Adele distanziert sich vom evangelikalen Glauben
„Ich habe mir die Lieder einen Monat lang angehört und sehr viel geweint“, erzählte „Mr. Quick“ (mit bürgerlichem Namen David Kwiek) nach seinem Auftritt. Beim ersten Gottesdienst des Tages sei es ihm schwergefallen, „die Leute zu berühren“, aber „nach den ersten drei Liedern war das Eis gebrochen“. Das Publikum, das Songs wie „Oh my God“ oder „Make you feel my love“ lauschte, schien diesmal etwas älter als beim Gottesdienst im Mai, der auch viele „Swifties“ im Teenager-Alter angezogen hatte.
In seiner Predigt ging Petracca der Frage nach, ob Adele religiös ist. Von dem evangelikalen Glauben ihrer Kindheit habe sich die 36-Jährige distanziert, so der Pfarrer. Heute bezeichne sie sich nicht unbedingt als religiös, eher als spirituell. Letztlich kam Petracca zu dem Schluss: „Adele ist eine Mystikerin.“ Das heißt: Sie bemüht sich, die Gegenwart Gottes unmittelbar zu erfahren, etwa in der Meditation oder bei Alltagserlebnissen. So berichtete Adele von einem Erlebnis beim Schwimmen: „Ich fühlte etwas Größeres als mein Ich. Es war, als umarmte mich der Ozean und hätte alles Gewicht von mir abgewaschen, das ich trug. Ich glaube fest daran, dass Gott in diesem Moment anwesend war.“
Mit Pop-Gottesdiensten finden auch Nicht-Adele-Fans ihren Weg zur Kirche
„Heute haben auch die Nicht-Adele-Fans Gänsehaut bekommen“, vermutete Francisco Illing, der zusammen mit seiner Familie gekommen war. „Das sind die Gottesdienste, die der Kirche ein bisschen fehlen, um die jüngere Generation an die Hand zu nehmen.“ Julia, eine weitere Gottesdienstbesucherin, fand die Adele-Songs ohnehin bewegend; die Predigt verstärke die emotionale Wirkung der Lieder aber noch. Die Heidelbergerin war im Mai bereits bei der Veranstaltung zu Swift. Sie gefiel ihr so gut, dass sie nun wieder kam.
Dass Adele so viele Besucher anzog, führt Petracca auch auf den Rummel um den Swift-Gottesdienst zurück. Dieser habe zwar nicht für volle Bänke bei normalen Sonntagsgottesdiensten gesorgt; Petraccas Eindruck ist aber: „Er hat bei manchen etwas ausgelöst“, und zwar auch bei Menschen, die mit der Heiliggeistgemeinde vorher nichts zu tun hatten. So habe eine ältere Frau, angetan von der Predigt zu Swift, den Wunsch geäußert, von ihm beerdigt zu werden. Ein Paar, das bislang nur auf dem Standesamt geheiratet hatte, will sich nun auch kirchlich trauen lassen. Und neulich habe eine Frau den Pfarrer angesprochen und ihm ein Liedblatt aus dem Swift-Gottesdienst gezeigt: Wenn es ihr schlecht gehe, schaue sie sich das an.
Auch nächstes Jahr soll es in der Heiliggeistkirche zwei Pop-Gottesdienste geben; um welchen Künstler es dann gehen wird, ist noch offen.
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