Edingen-Neckarhausen

KZ nahe der Rhein-Neckar-Region - heute kaum mehr bekannt

Bei Bruchsal bestand im Dritten Reich ein Konzentrationslager der Nazis: das KZ Kislau. Demokratische Politiker auch aus den hiesigen Gemeinden waren dort inhaftiert. Eine Ausstellung in Ladenburg erinnert daran

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Konstantin Groß
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Verteidiger von Veranstaltungen der demokratischen Parteien: Ladenburger Reichsbanner 1930 am Neckarufer. © Kreisarchiv/Axel Sturm/Ortschronik Edingen von Ralf fetzer

Rhein-Neckar. Florian König gewinnt eine Erkenntnis: „Das ist dem einen oder anderen gar nicht so bewusst, ich selbst bin auch angenehm überrascht worden“, bekennt der Bürgermeister von Edingen-Neckarhausen. Und zwar, „dass man durchaus stolz sein kann auf unsere Vorfahren in der Stadt Ladenburg und der Gemeinde Edingen-Neckarhausen.“

Zumindest stolz auf die - allerdings wenigen - Bürger beider Kommunen, die während der NS-Zeit dieser Diktatur strikte Ablehnung, ja Widerstand entgegen bringen. Und dafür mit ihrer Freiheit, zuweilen auch mit ihrem Leben bezahlen.

Zu erfahren ist dies in der aktuellen Ausstellung über das nordbadische Konzentrationslager Kislau, die selbst eine interessante Vorgeschichte hat. Es ist die UBL-Fraktion im Gemeinderat von Edingen-Neckarhausen, die beantragt, dieses mobile Museum in die Doppelgemeinde zu holen. Doch das Oberndorffsche Schloss erweist sich dafür als nicht geeignet. Königs Ladenburger Amtskollege Stefan Schmutz bietet das Carl-Benz-Gymnasium an, und so ist die Schau dort zu sehen.

Andrea Hoffend © Axel Sturm

Für den Vortrag zum Thema kann es jedoch keinen besseren Rahmen geben als den Franz-Mazura-Saal des Schlosses. Und auch keine bessere Referentin: Andrea Hoffend, promovierte Historikerin, die in Mannheim geboren ist und hier studiert hat. Und auch Wissenschaftliche Leiterin des Vereins „Lernort Kislau“ ist, der die Erinnerung an dieses KZ und dessen Opfer wach hält.

Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold verteidigt die Demokratie

In ihrem packenden Vortrag widmet sie sich auch den lokalen Ereignissen. Etwa dem Ladenburger Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Ein Name, der heute ebenso seltsam anmutet wie die martialische Aufmachung, die auf den gezeigten historischen Fotos zu sehen ist. „Doch das sind die Guten“, versichert Hoffend. Denn im Reichsbanner finden sich die demokratischen Kräfte zusammen - SPD, Zentrum, Liberale. Ihr Ziel ist ein praktisches: die eigenen Veranstaltungen gegen die brutalen Überfälle der Nazi-SA zu schützen.

Zuerst gehören die Ladenburger zur Mannheimer Sektion. Doch am 2. November 1924 machen sie sich im „Badischen Hof“ selbstständig. Fortan gibt es wahre Schlachten, in Wirtshaussälen und auf der Straße. Am Ende der Weimarer Zeit bleiben die Sozialdemokraten zunehmend alleine, Zentrum und Liberale ziehen sich zurück. Oder um es modern zu sagen: Die Brandmauer bröckelt.

Und auch und gerade Ladenburg kann sich dem Zug der Zeit nicht entziehen. Das zeigen die Reichstagswahlen im Juli 1932, ein halbes Jahr vor der Machtergreifung. In der Römerstadt holen die Nazis mehr als 32 Prozent, erst danach kommen das Zentrum mit 21 Prozent, die Kommunisten mit fast 20 und die Sozialdemokraten mit 18 Prozent. Ebenfalls mehr als 29 Prozent der Stimmen holen die Nazis in Edingen.

Kislau – das kaum bekannte KZ

  • Das Konzentrationslager Kislau wurde im Frühjahr 1933 in der Schlossanlage des gleichnamigen Ortes bei Bruchsal errichtet – gemeinsam mit dem Hofgut Ankenbuck bei Donaueschingen. Dieses wurde bald aufgelöst, seither war Kislau das einzige KZ in Baden und – neben Dachau – in ganz Südwestdeutschland. Heute ist Dachau bekannter und berüchtigter. Das war 1933 noch anders: In der Nazizeit gab es in unserer Region die Redewendung „Sonst kommst Du nach Kislau.“
  • Kislau war kein KZ im Sinne der späteren Vernichtungslager wie Auschwitz. Doch auch hier herrschten Angst und Gewalt, Erniedrigung und unzumutbare Lebensbedingungen. 1939 wurde es aufgelöst. Bis dahin hatten 700 politische Gegner hier gelebt.
  • Heute werden die Gebäude für den Strafvollzog genutzt. Das erschwert Erinnerungsarbeit am authentischen Ort. Einzige Möglichkeit ist ein Neubau in unmittelbarer Nähe. Dafür ist die finanzielle Förderung des Landes notwendig; eine wichtige Entscheidung dazu fällt am 18. Dezember.
  • Der Erinnerung widmet sich die 2012 als eingetragener Verein begründete Initiative „Lernort Kislau“ – u. a. mit historischen Veröffentlichungen, Wanderausstellungen wie jener aktuell in Ladenburg und auf ihrer Website www.lernort-kislau.de.

Ein ganz anderes Bild im anderen Teil der heutigen Doppelgemeinde: In Neckarhausen, einem stark kirchlich geprägten Ort, bleibt der politische Arm des Katholizismus, die Zentrums-Partei, nach wie vor mit fast 40 Prozent der Stimmen die mit weitem Abstand stärkste Kraft. Die Nationalsozialisten bringen es hier nur auf 16,5 Prozent.

Doch auch wenn in einzelnen Gemeinden vor Ort die Ablehnung der Nazis groß ist - entschieden wird die Machtfrage in übergeordneten Gebietskörperschaften, vor allem auf Reichsebene. Und in Berlin wird am 30. Januar 1933 NS-Führer Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt.

Nach und nach bemächtigen sich die Nazis des Staates und schalten ihre Gegner aus. So wird am 17. März 1933 der Reichsbanner verboten. Seinem Ladenburger Aktiven Willy Gärtner gelingt es, das Mitgliederverzeichnis in Sicherheit zu bringen - und damit die darin Aufgeführten vor Verfolgung zu retten. Gemeinsam mit der Fahne werden die Unterlagen den Krieg über versteckt - in einem Hühnerstall in Friedrichsfeld, der Heimat seiner Schwiegereltern. Allerdings, wie Hoffend berichtet, ohne deren Wissen, dies jedoch wohl auch zu deren Sicherheit.

Edinger, Neckarhausener und Ladenburger im KZ Kislau

Wie notwendig das ist, wird offenkundig: Bereits unmittelbar nach ihrer Machtergreifung richten die Nazis Konzentrationslager ein - eines in Kislau, einem beschaulichen Ort entlang der Bahnlinie zwischen Heidelberg und Karlsruhe. „Das sieht nicht so aus wie die späteren Vernichtungslager“, betont Hoffend, als sie das Luftbild des dortigen Schlosses aufruft: „Aber auch hier war ein Ort von großem Leid.“ Interniert werden die Menschen hier ohne jegliches Gerichtsverfahren. Schutzhaft heißt die zynische Bezeichnung.

200 Menschen sind inhaftiert, davon die Hälfte aus dem Stadt- und Landkreis Mannheim. Und davon wiederum jeweils zwölf aus Edingen und Neckarhausen sowie sechs aus Ladenburg. „Für solch eher kleine Gemeinden eine überraschend hohe Zahl“, sagt Hoffend. Was von einer gewissen Resistenz gegen den Nationalsozialismus vor Ort zeugt.

Zwei Männer, die als Vorbilder dienen können: Der Ladenburger Reichsbanner-Aktive Willy Gärtner und der Edinger SPD-Gemeinderat Julius Helmstädter. © Ortschronik Edingen von Ralf fetzer

Einer der Kislau-Häftlinge aus Edingen, und das gleich zwei Mal, ist Richard Hochlenert, der der Kommunistischen Partei nahesteht. Zuerst von September bis Dezember 1933, ein zweites Mal 1936. Anlass dafür: Im „Ochsen“ äußert sich Hochlenert nach einigen Bier bewundernd über Ernst Thälmann, den verhafteten Führer der Kommunisten; dies gilt als Hochverrat. Den Großteil seiner zweiten Haftzeit verbringt Hochlenert in Dachau. Im Frühjahr 1939 kommt er frei. Und überlebt so die NS-Diktatur.

Anders als der Edinger Sozialdemokrat Julius Helmstädter. Geboren in Pforzheim, kommt der gelernte Maurer bereits in jungen Jahren nach Edingen, engagiert sich in der SPD. 1907 wird er Gründungsmitglied des Ortsvereins, dessen Vorsitzender er die Weimarer Zeit über ist. 1913 wird er Mitglied des Gemeinderates und 1932 auch im Landtag.

Ein politisches Profil, das ihn zum verhassten Gegner der Nationalsozialisten macht. Bei der Gemeinderatssitzung am 14. März 1933 soll er verhaftet werden, doch er kann fliehen und findet Unterschlupf bei Verwandten in der Region. Bei einem Heimatbesuch in Edingen am 2. August 1933 fällt er seinen Häschern dann aber doch in die Hände. Zwar kommt er nach drei Wochen wieder frei, bleibt aber unter Beobachtung der Gestapo und verdächtig.

Helmstädter stirbt in Dachau - sieben Wochen vor der Befreiung

Das zeigt sich nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944, als in der „Aktion Gewitter“ 5000 politische Gegner verhaftet werden. Auf Veranlassung des Edinger Ortsgruppenleiters Artur Ding wird auch Helmstädter eingekerkert, zunächst im Gefängnis in Mannheim und am 29. August 1944 im KZ Dachau, wo er einem Mann aus Neckarhausen als Wachposten begegnet. Schwer herzkrank, findet Helmstädter am 11. Februar 1945 im Lager den Tod - elf Wochen vor dessen Befreiung durch die US-Armee.

Auf dem Edinger Friedhof steht seit 1949 ein Gedenkstein für Helmstädter mit der Inschrift: „Die Freiheit war’s, wofür er musste enden, die Freiheit, die wir beginnen zu vollenden.“ Seit 2021 ist der Uferweg entlang des Neckars unterhalb des Rathauses nach ihm benannt, auf dem er 1933 den Nazis entfliehen kann. Seit 2022 erinnert an ihn ein Stolperstein in der Hauptstraße 139 - vor seinem früheren Wohnhaus.

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