Bürstadt. 30 Jahre nach Beginn der Schuldnerberatung im Kreis durch die Arbeiterwohlfahrt (Awo) Bergstraße ändert sich nun einiges: Zukünftig müssen überschuldete Menschen, beim Kreis um Hilfe bitten. Der Eigenbetrieb „Neue Wege“, der bislang Langzeitarbeitslose unterstützt, übernimmt ab Januar die Schuldnerberatung und damit auch die drei erfahrenen Mitarbeiter der Awo aus Bürstadt sowie jeweils einen Berater der Caritas und der Diakonie.
Wie das alles so wird, kann sich Melanie Schilling noch nicht so recht vorstellen. Dabei kennt sie sich thematisch aus: Seit 22 Jahren hilft sie Menschen aus der Schuldenfalle. Vor 15 Jahren baute Melanie Schilling bei der Awo mit ihrem Team parallel zur Beratung auch ein Präventionsangebot auf, um dafür zu sorgen, dass junge Leute erst gar nicht in die Verlegenheit kommen, ihre Rechnungen nicht mehr begleichen zu können.
Deshalb geht sie mit dem Workshop „Anton Azubi“ an die Schulen, um den Jugendlichen zu zeigen, wie viel sie mit vergleichsweise wenig Einkommen ausgeben können für ihren Lebensunterhalt, ohne ins Minus zu rutschen. Diese Aufgabe bleibt auch künftig bei der Awo, erläutert die neue Geschäftsführerin Michaela Rueß.
Schuldnerberatung im Kreis Bergstraße
- Die Überschuldungsquote in Deutschland liegt laut dem Institut creditreform bei rund acht Prozent, es gibt knapp 5,6 Millionen überschuldete Personen in 2,8 Millionen Haushalten. Im Durchschnitt betragen die Schulden 31 000 Euro.
- Rund 1000 Personen im Kreis Bergstraße haben die Schuldnerberatung - bei Arbeiterwohlfahrt (Awo), Diakonie und Caritas - in diesem Jahr aufgesucht. Die meisten Betroffenen kommen aus Viernheim, danach kommt Bensheim, Lampertheim, Heppenheim, Bürstadt und dann der Odenwald.
- Die fünf Schuldnerberater der drei Wohlfahrtsverbände wechseln 2025 zum Eigenbetrieb „Neue Wege“ des Kreises.
Das Präventionsprogramm unterstützen die Sparkassen der Region seit Jahrzehnten. Fast 18 000 Euro steuern die Häuser in Bensheim, Heppenheim (Starkenburg) und Worms-Alzey-Ried nun wieder bei. Zur traditionellen Scheckübergabe waren jetzt jeweils ein Vertreter in Bürstadt zu Gast.
Erfreulich ist laut Melanie Schilling übrigens die Entwicklung der Schulden-Statistik. „Wir haben wegen der Corona-Zeit einen Anstieg erwartet, vor allem auch der Insolvenzen. Aber der blieb glücklicherweise aus“, sagt die Expertin.
Trotz positivem Trend noch fünfeinhalb Millionen Betroffene
Stattdessen gebe es sogar einen ganz leichten Abwärtstrend, wobei sie den auf eine geänderte Datenerfassung zurückführt. „Dass es im fünften Jahr einen Rückgang der überschuldeten Personen gibt, ist natürlich eine tolle Nachricht“, freut sie sich dennoch. Wobei immer noch fünfeinhalb Millionen Menschen betroffen seien - mehr Männer als Frauen übrigens.
Weniger Schuldner, dafür mehr Sparer im Land: Laut Schilling legen die Deutschen durchschnittlich 280 Euro pro Monat auf die Seite. In den Augen von Jörg Dammeyer von der Sparkasse Worms-Alzey-Ried liegt das vor allem daran, dass es wieder Zinsen gebe und Rücklagen wieder attraktiver wurden.
„Allerdings gilt das nicht für unsere Klienten. Die haben am Monatsende nichts mehr übrig“, macht die Schuldnerberaterin deutlich. Schilling sorgt sich vor allem um junge Leute, die sich Statussymbole wie Handys oder Kleidung kaufen und in Raten abzahlen. „Das ist online sehr einfach und mit wenigen Klicks möglich. Aber sie verlieren leicht den Überblick, was sie nun alles abstottern müssen.“
In die Schuldenfalle geraten Menschen vor allem, wenn sie ihre Arbeitsstelle verlieren oder im Niedriglohnsektor tätig sind, so Schilling. Zudem steige die Altersarmut weiter an. Sorge macht ihr weiterhin, dass die Betroffenen häufig sehr spät um Hilfe bitten. Im Kreis Bergstraße haben sich in diesem Jahr 1000 Personen an die Schuldnerberatung gewendet, davon 400 an die Awo, der Rest bat bei der Caritas und Diakonie um Unterstützung.
Wie nun der Übergang klappt und ob verschuldete Personen ihre Berater im neuen Jahr bei „Neue Wege“ wiederfinden, kann Schilling nicht sagen. „Wir geben unser Bestes“, bemerkt sie. „Gewünscht haben wir uns das aber nicht.“ Vor allem dass die Beratungsstelle nun von der Prävention abgekoppelt werden soll, kommt bei der Awo nicht gut an.
Enge Kooperation mit den bisher zuständigen Kollegen geplant
„Wir hatten hier kurze Wege, das war gut. Wenn es beispielsweise jemanden mit Spielsucht betraf, konnten wir ihn im Haus weitervermitteln“, sagt Rueß. Um das Wissen von Schilling und den Kollegen Heike Bamberg und Peter Jähne nicht zu verlieren, strebt Awo-Geschäftsführerin Rueß eine enge Kooperation mit ihnen an. „Unterschrieben wird diese Vereinbarung aber wohl erst im neuen Jahr“, sagt Rueß.
Fest steht schon, dass die präventive Arbeit an den Schulen künftig zur Fachabteilung von Sozialarbeiterin Nikita Gerard zählt, die die Suchthilfe und Prävention Prisma verantwortet. Da Prisma an allen Schulen des Kreises unterwegs ist, könnten im besten Fall weitere Schüler vom Workshop um „Anton Azubi“ profitieren.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/buerstadt_artikel,-buerstadt-schuldnerberatung-wird-vom-kreis-bergstrasse-uebernommen-_arid,2266719.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/buerstadt.html