Soziales

Der Mensch steht für die neue Bürstädter Awo-Chefin im Zentrum

Michaela Rueß ist seit 1. Oktober neue Geschäftsführerin der Arbeiterwohlfahrt Bergstraße. Fröhlich und beherzt geht die 51-Jährige, studierte Theologin und Sozialwissenschaftlerin, die neue Aufgabe an

Von 
Sandra Bollmann
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Die neue Geschäftsführerin Michaela Rueß hat viel vor – und freut sich darauf. © Berno Nix

Bürstadt. Es gibt heißen Kaffee, viel zu lachen und ein ganzes Füllhorn an kleinen Geschichten. Michaela Rueß, die neue Geschäftsführerin der Awo Bergstraße, kann aber auch sehr nachdrücklich werden: Wenn sie erklärt, wie wichtig gute Bindungen für die Kleinsten sind. Und dass der Staat viel zu wenig für seine Kinder investiert. Aber auch, dass Künstliche Intelligenz für die Pflege eine große Entlastung sein kann. „Es geht um Chancen“, erklärt sie in ihrem Büro in der Bürstädter Nibelungenstraße. Und darum, die Welt für die Menschen um sie herum ein bisschen besser zu machen.

„In der Sozialarbeit ist das möglich“, stellt die 51-Jährigen fest. Deshalb habe sie sich sofort beworben, als sie die Stellenausschreibung der Awo entdeckte. „Und schwupps, bin ich hier gelandet“, sagt sie und strahlt. Dabei kommt Michaela Rueß aus einem kleinen Dorf im sehr katholischen Oberschwaben - mit grandioser Landschaft und einer gotisch-barocken Kirche. „Das hat mich doch sehr geprägt“, sagt sie mit einem Augenzwinkern. Dass Theologiestudium musste dennoch warten, zuvor machte sie noch einen kleinen Umweg über die Medizin.

„Dass ich ganz nah am Menschen arbeiten will, stand für mich von Anfang an fest.“ Aber tatsächlich die Verantwortung für Leib und Leben in den Händen zu halten, war für sie nicht der richtige Weg. Also beendete sie das Ganze und absolvierte eine Ausbildung zur landwirtschaftlichen Hauswirtschafterin. „Ich kenne die Kuh von unten“, wirft sie mit einem Lachen ein. Und ist gleich wieder ernst: „Das Wühlen in der Erde, Schöpfung erleben, die Frucht wachsen zu sehen, das war eine ganz andere Erfahrung.“ Und sie hat ihr gut getan.

Flüchtlingshilfe folgt auf Notfallseelsorge

Also sitzt sie doch wieder in einem Hörsaal, studiert Theologie, Soziale Arbeit und Philosophie in Benediktbeuren und Tübingen. Ein Master in Sozialwirtschaft kommt noch dazu. Bei der Diözese Rottenburg-Stuttgart arbeitet sie als Pastoralreferentin, war unter anderem Klinik- und Notfallseelsorgerin. Dann wechselte sie in die Hauptabteilung Caritas der Diözese, arbeitete in der Flüchtlingshilfe und in vielen anderen Bereichen. „Ich habe mich sehr wohl gefühlt.“

Nach einigen Umstrukturierungen geht sie allerdings neue Wege - wieder hin zur Arbeit mit Menschen, die ihr so sehr am Herzen liegt. Ihr Wahlspruch als Pastoralreferentin ist allerdings auch für die Sozialarbeit aktuell, stellt sie fest: „Dass das Leben der Menschen gelingen kann“ - das ist für sie auch jetzt Anspruch und Motivation.

Neue Geschäftsführerin

  • Michaela Rueß ist 51 Jahre alt und kommt aus Oberstadion im Alb-Donau-Kreis. Die Theologin und Sozialwissenschaftlerin hat lange bei der Diözese Rottenburg-Stuttgart gearbeitet.
  • Seit 1. Oktober leitet sie die Awo Bergstraße, ihr Büro hat sie in der Bürstädter Geschäftsstelle in der Nibelungenstraße 164 bezogen.
  • Wohlfahrtsverbände hatte sie bereits zuvor geleitet und viele Erfahrungen in verschiedenen Bereichen des Sozialwesens gesammelt. 

Wie das hier in Bürstadt gehen könnte, sieht sie sich gerade ganz genau an. Seit September ist sie bei der Awo, seit Oktober für das 150-köpfige Team allein verantwortlich. Sie hat ein weites Feld zu beackern: In der Bürstädter Geschäftsstelle sind die Schuldnerberatung, der Pflegedienst, die Hilfe für Kinder- und Jugendliche und für Menschen mit Behinderungen untergebracht. Die Suchthilfe Prisma mit Büros in Lampertheim und Bensheim sowie die Bensheimer Kita Stubenwald gehören ebenfalls dazu.

Mit ihrem Team bespricht Rueß gerade die wichtigsten Ideen und Themen. Sie zeigt auf das Whiteboard an der Bürowand, auf dem so nach und nach ein komplexes Organigramm entsteht. „Es kommt immer noch mehr dazu“, sagt sie lachend. „Telematik“ steht beispielsweise direkt neben dem Stichwort „Fuhrpark“. Ab 2026 muss der Austausch zwischen Pflegediensten und Kassen online laufen. „Fahrtenbücher auf Papier gibt’s dann nicht mehr“, sagt Rueß mit einem winzigen Seufzer: Die Umstellung bedeutet eine große Herausforderung für ihr Team.

Personalmangel auch bei Wohlfahrtsverbänden

Aber auch einen großen Gewinn: „Wir sparen Stunden für die Übertragung der Daten.“ Dafür setzt sie sehr gerne Künstliche Intelligenz ein. „Die Zeit nutzen wir viel besser für die Menschen, die bei uns Hilfe suchen.“ Der Bedarf sei da, und zwar in allen Bereichen, die die Awo abdeckt. Allerdings ist es auch für die Wohlfahrtsverbände schwierig, Personal zu finden. „Klar, machen wir uns untereinander Konkurrenz. Aber nicht wegen der Patienten, sondern wegen der Fachkräfte.“

Dennoch hat Michaela Rueß ein großes Ziel vor Augen: „Wir müssen dringend expandieren.“ Die Bergsträßer Awo sieht sie als eher kleineren Wohlfahrtsverband - keine gute Situation. „Entweder verschwindet man, oder man macht sich auf den Weg.“ Also lieber wachsen - um rund 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mehr.

Antrag für Wohngruppe ist bereits gestellt

Zurzeit läuft eine Anfrage für eine Wohngruppe mit Betreuung, die die Awo gerne im Kreis eröffnen würde, eine Genehmigung ist bereits beantragt. „Sobald sie da ist, machen wir uns auf den Weg “ - also auf die Suche nach einer geeigneten Wohnung. Und natürlich dem Personal. In der Kinder- und Jugendhilfe werde für eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung in drei Schichten ein sechs- bis siebenköpfiges Team gebraucht. „Schwierig“, weiß Rueß. Und dennoch will sie es angehen. Selbst bauen, ist für sie dabei keine Option, dafür brauche es Partner. Von den alten Plänen, in Bürstadt eine Begegnungsstätte einzurichten, hat sie zwar gehört. Das Projekt steht für sie allerdings keinesfalls mehr zur Debatte.

Betreute Wohnformen sind für Michaela Rueß allerdings „absolut interessant“. Auch wenn die Finanzierung nicht einfach sei. Hier sieht sie einiges an Nachholbedarf beim Staat. Viel zu wenig Geld fließe in die Arbeit mit Kindern und jungen Menschen. Probleme in jungen Jahren zu lösen, gelingt ihrer Erfahrung allerdings weitaus besser als im Erwachsenenalter.

Unterstützung von Familien wichtiges Anliegen

Wenn Eltern überlastet sind, sei es deshalb dringend nötig, in die Familien zu gehen, um allen beizustehen. „Manche Kinder wissen nicht, wie man spielt“, hat sie festgestellt. Damit sie Ruhe geben, sitzen bereits die Kleinsten vor Bildschirmen aller Art. Und haben noch nie im Leben Bauklötze in der Hand gehabt. Eine gute Bindung zu erwachsenen Bezugspersonen sei allerdings das Wichtigste in diesem Alter, macht Rueß deutlich. Dass könnten aber auch andere Personen sein - wie eben qualifiziertes Fachpersonal in einer stabilen Einrichtung.

„Die Hilfe muss genau passen“, das steht für Michaela Rueß fest. Kompromisse kommen für sie nicht infrage. Genauso wie für ihr neues Betätigungsfeld. Dafür macht sie sich jetzt gerne auf den Weg.

Redaktion Redakteurin "Südhessen Morgen", Schwerpunkt Bürstadt

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