Bürstadt. Es blieb friedlich. Doch die Stimmung war aufgeladen. Im Bürstädter Bürgerhaus trafen sich am Freitag Mitglieder der AfD zu einer Wahlkampfveranstaltung. Und vor dem Gebäude hatte ein breites Bündnis aus Bürstädter und Bergsträßer Verbänden, Parteien und Kirchen zur Demonstration aufgerufen. Knapp 150 Menschen folgten der Kundgebung unter dem Titel „Für Vielfalt und Demokratie“.
Die Organisatoren hatten mit bestenfalls 40 Teilnehmern gerechnet, wie Lisa Gesue von den Bürstädter Grünen mitteilte. Auch ihr Vorstandskollege Uwe Koch, am Freitag Versammlungsleiter, hätte so viele nicht erwartet. Zumal der Termin erst wenige Tage zuvor bekanntgegeben wurde.
Die Veranstalter waren bereits kurz vor dem offiziellen Beginn um 17 Uhr überwältigt von der Solidarität, die sie auf dem von mehreren Polizeikräften abgesicherten Platz erlebten. Die überparteiliche Demonstration des Ortsverbands war als zivilgesellschaftliches Zeichen gedacht. Man wollte gesellschaftlichen Gruppen und Vertreter aller demokratischen politischen Richtungen zusammenbringen, um gemeinsam für Respekt, Toleranz und Gleichberechtigung einzutreten. Freiheit und Demokratie seien keine Selbstverständlichkeiten, sondern Errungenschaften, die stets verteidigt und weiterentwickelt werden müssen. Die Redner sprachen sich gegen Ausgrenzung, Fremdenfeindlichkeit, Demokratieabbau und Populismus aus.
„Wir mussten hier und heute einfach dabei sein“
Mit dabei waren unter anderem die SPD Bürstadt, die Grüne Jugend Bürstadt/Bergstraße, die Jungen Liberale Bergstraße, die Jusos Bergstraße, die Schülervertretung des Heppenheimer Starkenburg Gymnasiums sowie die evangelischen und katholischen Kirchengemeinden im Kreisgebiet. Mit 15 Damen stark vertreten waren auch die lokalen Initiativen „Omas gegen Rechts“ aus Bensheim und Worms. Das Motto der zivilen Bewegung gegen Rechtsextremismus lautet „Herz statt Hetze!“
Traudl Billig betonte, dass sie sich konsequent gegen rassistische, faschistische, ausländerfeindliche und antifeministische Bestrebungen im EU-Wahlkampf wehren möchten. „Wir mussten hier und heute einfach dabei sein!“ Die „Omas“ versammelten sich im September 2018 am gleichen Ort, als der AfD-Politiker Alexander Gauland in Bürstadt Wahlkampf gemacht hatte.
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„In Zeiten, in denen populistische und extremistische Strömungen in ganz Europa an Zulauf gewinnen, ist es wichtiger denn je, sich aktiv für die Werte einzusetzen, die unsere Gesellschaft stark und frei machen“, hieß es im Aufruf, dem sich auch viele Privatpersonen teils sehr spontan angeschlossen hatten. Sie wolle Hass und Ausgrenzung entschieden entgegentreten, sagte Lisa Gesue. „Wir sind bunt, tolerant und demokratisch“, so die 21-Jährige.
Mirja Mietzker-Becker von den Bergsträßer Grünen sprach von der AfD als einer rückwärtsgerichteten Partei, die Frauenrechte mit Füßen trete und „Rollenbilder des letzten Jahrtausends“ propagiere. Mit Gleichberechtigung, persönlicher Freiheit und den Errungenschaften des Feminismus könne diese selbst ernannte „Alternative“ nichts anfangen, so die Lampertheimer Stadtverordnete. Es sei kein Zufall, dass der Frauenanteil in dieser Partei, die gerade ein paar Meter weiter tagte, weit unter 20 Prozent rangiere. In der Bundestagsfraktion liege er sogar nur bei rund 11,7 Prozent. Mirja Mietzker-Becker rief dazu auf, bei den Europawahlen am 9. Juni demokratisch zu wählen.
An „schweigende Mehrheit“ appelliert
Mehrad Mehrbakhsh, der im März zum neuen Vorsitzenden der Jungen Liberalen (Julis) Bergstraße gewählt wurde, appellierte an die berühmte „schweigende Mehrheit“, endlich die Sprachlosigkeit zu überwinden und klar Position zu beziehen. Es seien nicht zuletzt die stummen Mitläufer und notorischen Wegseher, die Rechte und Populisten stark machten. Auch, wenn vielleicht nicht jeder Einzelne in der AfD ein Rassist oder Rechtsextremist sei, so mache sich doch jeder mit schuldig, wenn er sich zu dieser Partei bekenne, die vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestufte Personen dulde. Es sei ein Qualitätsmerkmal anständiger Parteien, dass sie keine antidemokratischen Kräfte in den eigenen Reihen stütze.
Eine Stadt der Vielfalt und Diversität
Der SPD-Ortsvereinsvorsitzende German Dzsida bezeichnete Bürstadt als Stadt der Vielfalt und gesellschaftlichen Diversität. „Das ist kein Problem, sondern eine Bereicherung.“ Es brauche ein gewisses Maß an Mut und Zivilcourage, um für freiheitliche und demokratische Ideen im Alltag einzustehen und sich aktiv für diese Werte starkzumachen, so der Sozialdemokrat vor dem Bürgerhaus, wo die Sprechchöre „Vielfalt und Demokratie“ einforderten. Auf der anderen Seite beobachteten Teilnehmer der AfD-Veranstaltung die Kundgebung, teilweise kam es zu verbalen Reaktionen.
Stadtverordnete Iris Henkelmann von den Lampertheimer Grünen lenkte den Blick zurück in die deutsche Vergangenheit - und in die der eigenen Familie. Ein Großonkel, der einst bei der SS war, habe den familiären Zusammenhalt über viele Jahre belastet. „Da waren immer Scham und Schuldgefühle - und die ewige Frage nach dem Warum!“ Als Mutter zweier Kinder wolle sie Verantwortung übernehmen und der jungen Generation eine Zukunft in einer offenen, freien und vielfältigen Gesellschaft ermöglichen.
Oliver Schmitt, Ortsvorsteher in Lampertheim-Rosengarten und Mitglied beim „Bündnis für Demokratie“, richtete sich offensiv an die Zuhörer auf der anderen Seite der Absperrung. Die AfD mache es sich bequem in einer künstlichen Opferrolle und habe mit dieser Strategie leider immer noch Erfolg. Man müsse die Partei aber als Vertreter eines völkisch-autoritären Populismus klar benennen und dürfe sich „von diesen Wölfen im Schafspelz“ nicht täuschen lassen.
Es sei Aufgabe einer gesellschaftlichen Mehrheit, Anstand zu beweisen und für ethisch-moralische, humanistische Werte einzustehen. „Es ist die pure Empörung, die uns heute wieder auf die Straße treibt“, so Schmitt, der es für richtig hält, wenn die Feinde der Demokratie nicht die Möglichkeit bekommen, die Demokratie abzuschaffen. Das Verbot einer solchen Partei gehöre zu den Grundsätzen, die hinter dem Begriff einer wehrhaften Demokratie stünden. Parteien, die erkennbar darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, seien eindeutig verfassungswidrig.
Ärzte-Song „Schrei nach Liebe“ zum Abschluss
Zum Abschluss sangen die Menschen auf dem Bürgerhaus-Vorplatz gemeinsam einen „Anti-AfD-Song“ von Nico Hoffmann. Danach folgte das Lied „Schrei nach Liebe“ der Berliner Band Die Ärzte aus dem Jahr 1993, das sich gegen Neonazis und dumpfen Rechtsextremismus richtet. Mit Sprechchören wie „Alle zusammen gegen den Faschismus“ wurde die Kundgebung gegen 18 Uhr friedlich beendet.
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