Bürstadt. „Draußen grillen? Haben wir keine Lust mehr, unsere Terrasse liegt genau in der Einflugschneise.“ Eleonore Dörr schüttelt den Kopf, sie ekelt sich beim Gedanken an die vielen Tauben - und ihren Kot. Im Bürstädter Neubaugebiet Sonneneck gibt es seit zwei Jahren ein massives Problem mit Vögeln. Die Stadt weiß davon und versucht seit vergangenem Sommer, Tauben umzusiedeln. Die extra aufgestellten Schläge zum Nisten, wo Eier ausgetauscht werden könnten, um die Population zu kontrollieren, sind allerdings leer.
„Wieso sollten die sich dort denn mit Futter anlocken lassen? Sie haben doch hier ihr All-inclusive-Programm!“ Sascha Barthel ist wütend. „Unsere Nachbarin füttert die Tauben an und lässt sich auch nicht davon abbringen.“ Barthel wirkt fassungslos - wie die anderen Anwohner, die sich zum Termin mit der Reporterin treffen. Ihr Leidensdruck ist groß - zumal nun auch Ratten gesichtet werden, die am helllichten Tag durch die Gärten spazieren.
Flatternde Fahne hält die Vögel nun von einem Dach fern
„Es muss was passieren. Das geht so nicht weiter“, sagt Karlfried Dörr mit Nachdruck. Er hat schon im vergangenen Jahr Anzeige erstattet, daraufhin kam es zum Prozess am Amtsgericht Lampertheim. „Danach dachten wir, das Problem ist gelöst. Ist es aber nicht. Sie füttert einfach immer weiter.“ Wie die Orgelpfeifen säßen Dutzende Vögel morgens auf dem Dach und schauen, ob es Frühstück gebe, beschreibt Barthel die Lage und zeigt es auf zig Fotos. Die Beschuldigte selbst, deren Namen der Redaktion bekannt ist, weist jede Schuld von sich. Auf Anfrage bestätigt sie, dass gefüttert werde, aber: „Ich bin es nicht.“ Das Problem mit den Tauben sei überhaupt erst nach dem Abriss des Raiffeisenturms entstanden, wo bekanntlich zig Vögel lebten. „Der Schwarm hat sich geteilt, einer kommt nun hierher und lässt sich auf dem größten Haus nieder - eben direkt neben unserem.“
Wobei die Vögel mittlerweile nicht mehr auf dem Giebel bei Dörrs Platz nehmen, seit sie in ihrer Not eine Fahne zwischen den Photovoltaikmodulen befestigt haben. Der Ärger ist jedoch geblieben. Im Anflug kommen die Tauben weiter über ihr Grundstück. „Jetzt sitzen sie nebenan“, sagt Eleonore Dörr und schaut Stephanie Grebe an. Sie hat ihr Haus vermietet an eine Familie, die sehr unter der Situation leide. Das Trampolin auf dem Rasen ist von Taubenkot bedeckt, die Kaninchen im Garten seien schon krank geworden. „Wenn man das Trampolin putzt, damit die Kinder es nutzen können, sieht es ein paar Stunden später wieder genauso aus.“ Grebe macht sich Sorgen. Die Kinder würden schon nicht mehr im Garten spielen.
Die Bewohner im Sonneneck sind gleichermaßen frustriert wie zornig. „Unsere Beschwerden laufen ins Leere. Wir werden allein gelassen mit dem Problem“, klagt Karlfried Dörr. Dass die Stadt nach ihren Beschwerden Taubenschläge aufgestellt hat, sieht die Runde auch kritisch. „Die stehen viel zu nah am Wohngebiet - und werden gar nicht genutzt.“ Auf Anfrage bestätigt der städtische Umweltbeauftragte Henry Riechmann, dass die Maßnahmen zur Umsiedlung der Tauben bislang ins Leere laufen. „Die Fütterung findet durch eine Person so massiv statt, dass wir gar nicht in die Lage kommen, die Tiere zu fangen.“ Dass sie überhaupt eingefangen werden sollen, sieht die Beschuldigte aber auch kritisch. Den Eiertausch selbst findet sie sinnvoll und würde ihn auch unterstützen. „Aber die Stadt hat einen Schädlingsbekämpfer engagiert statt eines Taubenschutzvereins“, kritisiert sie.
Riechmann betont dagegen: „Wir halten uns natürlich an den Tierschutz und wollen den Tauben kein Leid antun.“ Er nehme das Problem ernst und schaue jede Woche dort vorbei. Nun überlegt er, in einer öffentlichen Veranstaltung noch einmal über das Vorgehen zur Umsiedlung zu informieren. Die Tauben müssten erst im Taubenhaus angesiedelt werden, um Eier austauschen zu können. Das ganze Thema ist laut Riechmann komplex, deshalb werde die Stadt von einem Experten aus Darmstadt unterstützt.
Gerichtsverhandlung
- Das Amtsgericht Lampertheim hat nach Anzeige von Familie Dörr im Oktober 2023 über das unrechtmäßige Füttern von Tauben im Bürstädter Sonneneck verhandelt.
- Am Ende kam es zu einem Vergleich. Dabei verpflichtete sich die Beklagte, Wasserschalen vom Garagendach zu entfernen und nicht mehr aufzustellen sowie auf dem eigenen Grundstück keine Tauben zu füttern. Ausgenommen sind allerdings die Wasserschalen vor und die Futterschalen neben der Haustür.
- Bei Zuwiderhandlung hat die Beklagte 500 Euro an die Kläger zu zahlen. cos
Dass der ganze Aufwand nichts bringt, ärgert Bürgermeisterin Bärbel Schader. „Ich kann die Leute verstehen. Für mich sind Tauben Ratten der Lüfte, die Krankheitserreger verbreiten.“ Schwierig sei, der Bewohnerin im Sonneneck das Füttern nachzuweisen. Die Stadt hat vor Gericht bereits gegen sie verloren, nachdem sie sich gegen das Bußgeld des Ordnungsamts gewehrt und Recht bekommen hatte. Nur bei der privaten Auseinandersetzung mit Dörrs kam es zu einem Vergleich.
„Im Wald ist das kein Problem, hier im Wohngebiet aber schon.“
„Wir können uns doch nicht auf die Lauer legen, um sie auf frischer Tat zu ertappen“, sagt Andrea Sautter kopfschüttelnd. Sie hat sich gerade wieder ans Rathaus und die Polizei gewendet, nachdem es zu einem Wortgefecht mit der Nachbarin kam. „Sie hat mich beschuldigt, selbst gestreut zu haben. Das ist doch verrückt, jetzt dreht sie den Spieß um!“ Beide Seiten wollen das nun zur Anzeige bringen.
Karlfried Dörr hat wegen der Ratten Fallen aufgestellt und schon etliche gefangen. „Die sehen gut genährt aus“, meint Sascha Barthel. Er kam einem Tier näher, als ihm lieb war. Denn seine zwölfjährige Tochter habe kürzlich entsetzt gerufen, als ein großes Tier über die Terrasse spaziert sei. „Es ist nicht mal weggelaufen, als ich rauskam und hat sich noch auf die Hinterbeine gestellt und mich angeschaut.“ Und was die Tauben angehe, da komme er sich schon vor wie auf dem Markusplatz in Venedig. „Nur der Cappuccino ist hier günstiger“, meint ein Nachbar grinsend. Andrea Sautter ist jedoch nicht zum Lachen. „Wenn ich im Halteverbot parke, kriege ich auch einen Strafzettel. Wenn die Frau nicht füttern darf und es trotzdem tut, muss das Konsequenzen haben.“
Im Rathaus wird betont, dass man sich Mühe gebe, den Anwohnern zu helfen. Riechmann kennt die Fotos von Taubenschwärmen und Kot auf Solarmodulen, Pools und Trampolinen. Die Photovoltaikanlagen sind zwar von Draht umgeben, um die Vögel am Landen zu hindern. „Aber die krallen sich in den Rillen fest“, hat Karlfried Dörr beobachtet - und macht eins klar: Ihre Nachbarin dürfe ruhig füttern: „Im Wald ist das kein Problem, hier im Wohngebiet aber schon.“
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