Biblis. Auf dem Boden der Fahrzeughalle liegt Putz, der von der Wand gefallen ist. Mehrere tiefe Risse klaffen in der Mauer. Diese wird von starken Streben gehalten, seit sie drohte, auf die Bahnschienen zu kippen. Bis vor drei Wochen standen in dieser Halle noch wertvolle Autos. „Unser Mieter hat gekündigt“, sagt Markus Bodensohn. Der 36-Jährige kann es verstehen. Die Pacht fehle seiner Familie nun, aber das sei längst nicht das Schlimmste. Für seine Eltern war es ein Schock, Hals über Kopf ihr Zuhause verlassen zu müssen. Denn die beschädigte Mauer ist zig Meter lang und bildet auch die Rückwand ihres Wohnhauses. Hier bestand akute Einsturzgefahr. Am 9. September haben Kräfte des Technischen Hilfswerks (THW) und der Feuerwehr die Mauer mit Holzlatten und Metallstreben in einer stundenlangen, nächtlichen Aktion abgestützt.
Dass an der Wand der Fahrzeughalle sogar zwei Mauern stehen, haben Gutachter und Statiker der Bahn vor einer Woche festgestellt. Die äußere Mauer soll nun Anfang der Woche abgebaut werde. Dann kommen die ersten Streben wieder weg. „Das machen nicht wir, sondern die Leute der Bahn“, sagt Carsten Toppel vom Lampertheimer THW. Wann er sein ganzes Material wieder abholen kann, weiß der Baufachberater noch nicht. Bodensohn geht von erheblichen Schäden aus. „Denn die innere Wand der Halle hat ja auch nachgegeben.“ Der 36-Jährige zeigt auf den tiefen Spalt, der in der Ecke zwischen Außen- und Seitenwand klafft.
Nur wenig Platz zwischen Hausmauer und Lärmschutzwand in Biblis
„Mal sehen, wie es weitergeht.“ Völlig offen sei bisher auch, was die Höhe der Kosten angeht, und wer was übernimmt. Immerhin sei der Kontakt zum Projektleiter der Bahn unkompliziert und konstruktiv. Die Gutachter schätzen das Haus aktuell übrigens als „nicht einsturzgefährdet“ und bewohnbar ein, teilt die Bahn auf Anfrage mit. Bodensohns Eltern werden dennoch so schnell nicht zurückkommen. „Sobald hier gearbeitet wird, müssten sie ja wieder raus.“ Der 36-Jährige konnte sie im Haus seiner Lebensgefährtin unterbringen. „Da fühlen sie sich wohler als in einem Hotelzimmer.“ Obwohl auch das ein Provisorium sei. Für wie lange, kann keiner sagen. „Das wird sich noch einige Zeit hinziehen.“
Nach seinen Informationen muss die Wand abgerissen und neu hochgemauert - sowie das Dach in der Zeit abgestützt - werden. Ob auch die Seitenwände beschädigt sind, zeige sich wohl, wenn die Arbeiter begonnen haben. Nun soll aber zuerst in der Halle nebenan begonnen werden. Wobei die Bauherren ziemlich unter Druck stehen: „Wenn das nicht bis zum Abschluss der Riedbahnsanierung Mitte Dezember fertig wird, wird alles deutlich komplizierter“, sagt der Bibliser. Denn zwischen Hauswand und neuer Lärmschutzwand bleibt nur etwa eineinhalb Meter Platz. „Ziemlich eng, um eine Wand abzureißen und neu aufzubauen.“ Das sei ohne Schallschutz deutlich leichter. Diesen Teil der Wand offen zu lassen, ist laut Bodensohn keine Option, denn es soll ja alles fertig sein, wenn die Strecke Mannheim-Frankfurt Mitte Dezember wieder geöffnet wird.
Nachbarn in der Sebastianusstraße berichten ebenfalls von Rissen in ihren Wänden und glauben, diese kommen von die Rammarbeiten für die Schallschutzwand. Meterlange Rohre wurden per Vibration im Boden installiert. „Das war schon im Januar bei der ersten Sperrung“, erinnert sich Markus Bodensohn. Jetzt im Juli hatten Arbeiter dann entlang der Gleise viel Erde weggegraben, daraufhin sei die Hauswand in Bewegung geraten. „Als wir ankamen, lag ein Teil des Fundaments frei“, bestätigt Toppel vom THW. Seine Aktiven und jene der Feuerwehr füllten es wieder auf mit Erde und Schotter. „Geholfen hat dabei auch die Bahn.“ Seit vergangene Woche Gutachter und Statiker der Bahn vor Ort waren, liegt eine Ecke des Hauses wieder frei, fällt Toppel auf. Er zuckt die Schultern. „Wir haben uns um die Gefahrensicherung gekümmert, das war unser Auftrag.“ Will heißen: Die Reparatur und damit die Verantwortung übernehmen nun andere.
Familie muss nun ihre Werkstatt ausräumen
Laut einer Bahnsprecherin liegt das Gutachten noch nicht schriftlich vor. Markus Bodensohn hat aber schon erfahren, dass das Fundament des Hauses heutigen Ansprüchen nicht mehr genüge. Der 36-Jährige will das auch gar nicht ausschließen. „Es ist ja ein Gebäude aus den 1940er Jahren. Bisher hatten wir keine Probleme.“ Seine Eltern haben das Anwesen 1989 gekauft. Pläne zur Konstruktion gebe es leider keine mehr - nach einem Brand im vorderen Teil des Hauses in den 1970er Jahren. Bodensohn weiß nur, dass es früher ein Zimmereibetrieb war. „Wahrscheinlich war der hintere Teil die Werkstatt, weil es zwei verschiedene Dächer hat, und später wurde alles zum Wohnhaus umgewidmet.“ Es handelt sich um das einzige Haus in der Straße, dessen Rückwand bis an die Bahnstrecke reicht.
Zum Gehweg hin stehen Teller und Gläser zum Mitnehmen für Passanten. Seine Eltern haben angefangen auszusortieren. Am Wochenende wollen sie nun die Werkstatt ausräumen, da helfe die ganze Familie mit. Deren Wand ist genauso betroffen. Um Mutter und Vater mit 76 und 77 Jahren die Aufregung und den Stress zu ersparen, führt Markus Bodensohn mit seinem Bruder die Gespräche mit der Bahn. Eins macht er klar: „Wir sind nicht branchenfremd, uns kann man so schnell nichts vormachen.“
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