Biblis. „Meine Eltern sind ziemlich aufgelöst, dass sie nicht mehr im Haus wohnen und auf ihrer Terrasse sitzen können“, erzählt Markus Bodensohn. Am Montagabend hat das Ehepaar das Gebäude in der Bibliser Sebastianusstraße verlassen - auf dringende Empfehlung des Technischen Hilfswerks (THW). „Es waren sehr große Risse zu sehen - nicht nur an der Hauswand an den Gleisen, die stark verformt ist“, sagt Carsten Toppel, Chef des Lampertheimer Ortsverbands und von Beruf Bauingenieur. Auf Anfrage der Feuerwehr kam er zur „bautechnischen Bewertung“ vorbei und erstellte kurzerhand ein Konzept im Sinne der Gefahrenabwehr: um die Mauer des Gebäudes und der Garage direkt daneben abzustützen.
„Erst kam die Feuerwehr mit mehreren Fahrzeugen und dann das THW mit zwei Lkw voller Material“, erinnert sich Markus Bodensohn. Er begleitete die Helfer und zeigte ihnen die verformte Mauer: Der obere Teil der Hauswand hatte sich mehrere Zentimeter in Richtung Gleise bewegt, während sich der untere Bereich ins Wohn- und Schlafzimmer neigte. „Wahrscheinlich hätten wir irgendwann freien Blick auf die Bahn gehabt - wenn uns nicht vorher das Dach auf den Kopf gefallen wäre.“ Es klingt nach Galgenhumor. Doch zum Lachen ist Bodensohn nicht - weil er schon vor Wochen Risse in den Wänden gesehen hat. „Seit den Arbeiten an der Lärmschutzwand. Denn dafür wurde entlang der Gleise viel Erde abgetragen - und das Fundament unseres Hauses frei gelegt.“
Das Gebäude der Bodensohns ist das einzige in der Straße, das bis an die Bahn reicht. In der Nachbarschaft stehen die Häuser vorne an der Sebastianusstraße. Hinten sind die Gärten. Das Gebäude gehört der Familie seit 1989. Gebaut worden sei es um 1940. „Die Grenzbebauung wurde damals auch genehmigt“, betont Bodensohn. Er hat schon vergangene Woche einen Anwalt und einen Gutachter beauftragt wegen der Schäden am Haus. Diese habe er auch bei der Deutschen Bahn und dem Kreisbauamt gemeldet. Als aber nichts weiter passiert sei, habe er am Montag einen Aktiven der Feuerwehr um Rat gefragt. Dieser wiederum bat Carsten Toppel vom THW um eine Einschätzung der Lage. Der Rest ist bekannt: Bis um 1 Uhr in der Nacht sicherten Einsatzkräfte von Feuerwehr und THW die Hauswand sowie die der Fahrzeughalle nebenan mit Holzbalken, Metallstreben und Wassertanks als Gegengewicht.
Bei der Bahn bestätigt eine Sprecherin auf Anfrage der Redaktion, die Risse an einem Haus in der Bibliser Sebastianusstraße. „Die Ursachen hierfür werden derzeit von Spezialkräften untersucht und sind noch nicht abschließend ermittelt“, teilt sie mit. Am Donnerstag trafen sich erneut Gutachter und Sachverständige des Unternehmens am Gebäude. Zudem steht die Bahn in ständigem Austausch mit der Verwaltung und den Betroffenen.
Bahn kontrolliert auch alle umliegenden Gebäude
Ob die Rammarbeiten für die Streben der Lärmschutzwand die Schäden verursacht haben, kann die Bahn noch nicht sagen. Klar ist nur, dass alle Gebäude entlang der Gleise vor der Riedbahnsanierung „umfangreich begutachtet“ wurden. Nun müssen diese Unterlagen zum Vergleich herangezogen und ausgewertet werden. Das gilt nicht nur für das Haus von Bodensohns: „Auch die umliegenden Gebäude werden dabei in Augenschein genommen“, heißt es von der Bahn. Das werden die Nachbarn gerne hören. Einer von ihnen ist Jörg Gärtner. Er ist überzeugt, dass die vorhandenen Risse in seinem Haus größer wurden. „Als meterlange Rohre per Vibration in den Boden gerammt wurden, wackelte ja das ganze Haus“, sagt er im Gespräch mit dieser Redaktion.
Im Grunde freuen sich die Anwohner, dass sie eine Wand bekommen, die den Lärm der Züge abhalten soll. Die Arbeiter kommen dabei aber schlecht weg. „Die rasen hier durch wie auf der Rennstrecke“, sagt Gärtner. „Ich habe einen gestoppt und ihm gesagt, dass Tempo 30 gilt. Er hat mich übel beleidigt.“ Das nervt auch Sabrina Schmölz-Singh einige Häuser weiter. Sie leidet zudem unter dem Lärm, der ihr den Schlaf raubt. „Mitten in der Nacht brüllen sie rum. Warum nutzen sie keine Walkie-Talkies?“ Als Krankenschwester muss sie morgens früh raus. Im Sommer konnte sie kein Fenster offen lassen - zumal auch noch der Geruch von Marihuana ins Haus gezogen sei. Immerhin sei das Müll-Problem erledigt, erzählt Katja Schmalisch, die an der Zufahrt zur Baustelle wohnt. Täglich habe sie Einweg-Grills und leere Flaschen vom Gehweg und von ihrer Gartenmauer eingesammelt. „Es hat erst aufgehört, als ich mich beim Bürgermeister beschwert habe.“
Mit der Baustelle müssen die Anwohner noch bis Dezember leben. Offen ist, wann und ob Bodensohns zurückkehren können. „Ob der hintere Teil des Hauses zu retten ist? Die Statik ist komplett verzogen“, sagt Sohn Markus. Er hat seine Eltern nach der ersten Nacht im Hotel nun woanders untergebracht. Das sei geregelt, auch für mehrere Monate, aber eben nicht ihr Zuhause.
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