Speyer. Es gibt sie noch, die eigenwilligen Menschen, die sich beharrlich und geduldig gegen die erdrückende Macht der Digitalisierung stemmen. Nicht weil sie das Digitale ablehnen oder gerne in gestriger Nostalgie schwelgen, sondern einfach um ein historisches Wissen und das damit verbundene handwerkliche Können zu bewahren und an die nächste Generation weiterzugeben.
Druckpressen, Farbwalzen, Setzkästen und Bleibuchstaben gehören heute nicht mehr zu unserer digitalen Welt, aber für Johannes Doerr und Remo Krembel behalten sie weiter eine ganz eigene Faszination. Das spürt man, wenn sie in der letzten in Speyer verbliebenen Bleisatzwerkstatt, der Winkeldruckerey, Hand anlegen und über ihre Arbeit sprechen.
Irgendwie erinnert es an eine Zeitreise, wenn man die traditionelle Druckerwerkstatt im Kulturhof Flachsgasse betritt. Man fragt sich, ob man im Museum oder in einer Filmkulisse gestrandet ist. Krembel und Doerr haben es sich dort zur Aufgabe gemacht, im Ehrenamt und im Auftrag der Stadt diese Werkstatt zu pflegen und zu erhalten. Dazu gehört, die Druckpressen in Schuss zu halten, die Setzkästen nach Gebrauch wieder zu sortieren, kleinere Reparaturen an den Maschinen auszuführen, für ausreichend Papier und Farben zu sorgen, und natürlich die regelmäßig stattfindenden Druckerwochenenden mit renommierten Gastkünstlern aus ganz Deutschland zu begleiten. Denn nicht alle Gäste sind mit den vorhandenen Pressen vertraut und viele schätzen das Fachwissen der beiden Druckexperten.
Zwei echte Experten
Johannes Doerr ist gelernter Schriftsetzer, arbeitete zunächst in Verlagen, war dort für den Satz zuständig und besuchte in Stuttgart die Meisterschule. 1988 kam er nach Speyer zur Pilger-Druckerei, später Progressdruck. Danach wechselte er in die Selbstständigkeit und begründete mit Klaus Lochner die Firma Druckmedien, bei der er bis zur Rente tätig war.
Remo Krembel erlernte bei Klambt Druck in Speyer den Beruf des Offsetdruckers, hat später für Jägerdruck gearbeitet, war von 1977 bis 1981 für den Deutschen Entwicklungsdienst in Westafrika tätig, um dort Druckereien zu beraten und die erste Schulbuchdruckerei aufzubauen. Über den Steindruck, eine Lithographie-Werkstatt, den Plakatdruck und die legendäre „Galerie 68“ in der Johannesstraße hat er sich 1983 zunächst im St. Klara Klosterweg und später im Heinrich-Hertz-Weg mit der „RK Offsetdruck GmbH“ selbstständig gemacht.
Krembel und Doerr haben ihr komplettes Berufsleben dem Thema „Druck“ gewidmet. Bei Schauveranstaltungen in der Winkeldruckerey während der Kult(o)urnacht oder bei den Druckerwochenenden mit Gastkünstlern geben sie ihre Erfahrung und ihre Expertise weiter. Ein Workshop mit Kindern zu Beginn der Sommerferien, bei dem Stofftaschen bedruckt wurden, ist ebenfalls auf großes Interesse gestoßen.
Der Handpressendruck sei keine „Blackbox“ wie der Digitaldruck, sagt Krembel. Mit präziser Handarbeit und einfachen mechanischen Mitteln lassen sich künstlerisch hochwertige und sehr ansprechende Ergebnisse erzielen. Das habe ihn bei dieser Arbeit immer fasziniert, meint er. Ein klein wenig fühlt man sich wie im Dorf der unbeugsamen Gallier auf diesem letzten verbliebenen Eiland der Druckerpressen, Setzkästen und Bleilettern, auf dem sich zwei leidenschaftliche Verehrer der Druckkunst dem künstlerischen Handpressendruck, dem Bleisatz und der Typographie verschrieben haben. Sie wollen die Besucher der Winkeldruckerey für das alte Handwerk begeistern.
Lange Druckertradition in Speyer
Zur Erinnerung: Speyer blickt auf eine jahrhundertealte Tradition des Buchdrucks zurück – schon zu Gutenbergs Zeiten. Erinnert sei an die beiden Speyerer Buchdrucker Hans und Peter de Spira, die schon im 15. Jahrhundert den Buchdruck nach Venedig exportierten, sowie an die Brüder Johannes und Wendelinus aus Speyer oder auch einen Buchdrucker namens Peter Drach.
Wichtige Teile des Inventars der letzten in Speyer betriebenen Bleisatzdruckerei Lindacher wurden im Jahr 1997 für die Winkeldruckerey von der Stadt angekauft. Dazu gehört ein Heidelberger Tiegel und eine Korrex-Andruckpresse. Begründet wurde die Winkeldruckerey dann 2001 von Artur und Jule Schütt, die sie mit viel Herzblut zu einer der besten Adressen für den künstlerischen Handpressendruck in Deutschland gemacht haben, 2018 aber aus gesundheitlichen Gründen ausscheiden mussten.
Als Gastkünstler werden in der Ende September beginnenden Saison Julienne Jattiot aus Leipzig (23./24. September), Betina Müller aus Berlin (28./29. Oktober), Nikolas Hönig aus Essenheim (25./26. November), Abi Shek aus Stuttgart (27./28. Januar), Matthias Strugalla aus Pirmasens (24./25. Februar) sowie Uta Schneider & Ulrike Stoltz aus Offenbach und Berlin (23./24. März) erwartet. Gute Gelegenheiten also für Krembel und Doerr, wieder ihr ganzes Wissen weiterzugeben.
Die Winkeldruckerey ist im letzten Quartal 2023 immer donnerstags von 16 bis 18 Uhr und an den Druckerwochenenden samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr für Besucher geöffnet.
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