Speyer. Martin Müller hat seinen Traum verwirklicht – ein realistisch fahrendes Modellauto, das sogar „driften“ kann. Der Weg dahin war steinig, doch mittlerweile arbeitet sein Start-up Sturmkind sogar mit dem Spielzeuggiganten Carrera zusammen.
Angefangen hat alles im Jahr 2003: Damals hatte der heutige CEO der Speyerer Sturmkind GmbH, Martin Müller, die erste Vision eines neuartigen, ferngesteuerten Modellautos. Zurück ging diese Idee zum einen auf seine Leidenschaft für das „Driften“, also das bewusste Übersteuern eines Fahrzeugs. Zum anderen hat sie mit dem Grundproblem herkömmlicher Modelle zu tun: Die auch RC-Modelle genannten ferngesteuerten Fahrzeuge sehen zwar originalgetreu aus, doch ihr Fahrverhalten hat nichts mit dem Original gemein.
„Durch das Herunterskalieren des Maßstabs geht dieses Physikalische, Realistische verloren. Das Modell bewegt sich eben wie ein Spielzeug, nicht mehr wie ein echtes Auto“, so Martin Müller. Das heißt: RC-Modelle fahren zu schnell, bremsen zu stark und vor allem – sie können nicht driften. Doch vor 22 Jahren hatte selbst der Tüftler Martin Müller – der davor schon als Produktentwickler im Modellbau, aber auch im Maschinenbau für Pkws im Maßstab 1:1 tätig war – keine Lösung für dieses Problem. Er vertagte seine Idee, die ursprünglich nur eine Art Carrerabahn ohne Schlitz sein sollte. Seine Vision war ihrer Zeit voraus. Smartphones, Bluetooth „und all diese Dinge, die nötig waren, damit das alles funktioniert, waren damals noch nicht so weit.“
Aufgehoben ist nicht aufgeschoben
Mit dem Siegeszug der Smartphones in den 2010er-Jahren wächst bei Müller die Erkenntnis, dass sein Traum doch umsetzbar ist. So ruft er schließlich sein Start-up „Sturmkind“ ins Leben, 2015 steht der erste Prototyp von „DR!FT“. Der Kniff, welcher das realistische Fahren ermöglicht, ist so simpel wie genial. Statt auf vier steht der DR!FT-Racer auf sechs Rädern. Die Vorder- und Hinterreifen rollen nur mit, während eine drehbare, versteckte Achse in der Fahrzeugmitte Lenkung und Antrieb übernimmt.
Das Modell im Maßstab 1:43 wirkt so von außen wie ein herkömmliches RC-Auto. Mit dem Unterschied, dass es sich wie sein echtes Vorbild verhalten soll – den Beweis dafür blieb Martin Müller interessierten Investoren lange schuldig. Die nötige Smartphone-App für die Simulation des Fahrverhaltens samt Soundkulisse gab es noch nicht, was potenzielle Geldgeber abschreckte: „Es war eigentlich immer das Gleiche, die Leute fanden es besonders toll, weil es noch keiner gemacht hat. Aber genau da war dann auch der Knackpunkt, weil es keinen Proof of Concept gab.“
Alles auf eine Karte setzen und loslegen
Um dem zu begegnen, nahm Martin Müller 20.000 Euro für die Entwicklung der App in die Hand. Selbst sein eigener Sportwagen, mit dem er das Driften erlernt hatte, musste für seinen Traum dran glauben. Und sein Konstruktionsbüro gab er auf und setzte so alles auf seinen Traum – mit Erfolg, auch dank über 250.000 Euro aus Crowdfunding-Aktionen.
Ende 2017, also 14 Jahre nach der ersten Idee, wurde Martin Müllers Vision Realität. „Ich kann alles, was ein echtes Auto auch könnte, auch in der Simulation verändern: die Getriebeübersetzung, andere Reifen aufziehen, alles virtuell bis hin zum Fahrbahnuntergrund“, erklärt der Sturmkind-CEO. Richtig bekannt wurde sein Produkt ein Jahr darauf durch den Auftritt bei „Das Ding des Jahres“ – ein zweischneidiges Schwert: „Das war super, war aber auch nicht nur von Vorteil. Es hat uns auch vor ganz schöne Herausforderungen gestellt, weil wir natürlich über Nacht bekannt wurden.“
Eine der Herausforderungen: Von der App-Entwicklung bis hin zur kleinsten Schraube entsteht DR!FT branchenuntypisch komplett in Deutschland, mit verschiedenen Auslagerungen im ganzen Land. Der einzige Sitz von Sturmkind mit 14 Angestellten ist Speyer, wo Martin Müller aus Überzeugung verwurzelt ist: „Speyer ist Heimat.“ Zu den Schwierigkeiten gehörte neben der Neuheit des Produkts auch der Preis. Unter anderem durch die Produktion in Deutschland kosteten die Racer anfangs 200 Euro. Und das für ein Produkt, das Lernwilligkeit voraussetzt.
„Man braucht auch eine halbe Stunde, bis man drin ist, was natürlich gerade im Großhandel ein Problem ist“, so Martin Müller. „Der Handel musste viel erklären, weil es eben etwas völlig Neuartiges war. Und das ist leider Gottes das Gegenteil von dem, was der Handel gerne tut: Er will natürlich wenig Arbeit für viel Marge und nicht umgekehrt.“ Der Vertrieb über den Handel funktioniert dementsprechend überhaupt nicht – mit drastischen Folgen. „Ende 2018 haben wir von unserem Großhändler für eine halbe Million Euro Waren zurückgekauft, um zu verhindern, dass der Handel die Preise noch mehr kaputtmacht“.
Da ist momentan jedenfalls keine Konkurrenz in Sicht
Als Konsequenz setzt Sturmkind vollständig auf seinen Online-Eigenvertrieb. Mittels Social Media steigerte das Start-up nicht nur die Bekanntheit von DR!FT, sondern erklärte zugleich potenziellen Kunden das Produkt. „Wir haben viel wirklich lernen müssen, weil das Produkt so anders ist. In der Werbung driftet jedes Lego- und jedes Matchboxauto, weil alles animiert ist. Das real zu können, das glaubt dir ja erstmal keiner“, fasst Müller die Werbeproblematik zusammen. Statt Hochglanzwerbebeiträgen griff das Speyerer Unternehmen daher auf möglichst authentische Clips zurück. Das Verkaufsproblem hat Sturmkind somit gelöst und konnte zudem die Preise der Modelle senken.
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Inzwischen sind über 100.000 DR!FT-Racer über die virtuelle Ladentheke zu ihren Besitzern gerollt, die per Online-Fahrschule die Feinheiten des Driftens erlernen können. Von ihrem Modell haben die Besitzer lange etwas, Sturmkind setzt auf Nachhaltigkeit und bietet für alle Modelle Ersatzteile an. Ein Luxusproblem besteht aber bis heute. „Wir haben keine Konkurrenz. Es klingt total verrückt, aber das ist unser größtes Problem“, so Müller. „Es gibt kein Modell, das so realistisch ist wie diese kleinen Autos.“ Mangels Wettbewerbern muss sich Sturmkind nach wie vor selbst einen Markt schaffen.
Gemeinsam mit Carrera in die Zukunft starten
Da trifft es sich gut, dass Sturmkind seit Juni 2023 mit einem nicht nur im deutschsprachigen Raum stark vertretenen Spielzeugkonzern kooperiert: der Carrera Toys GmbH, die neben der klassischen Carrerabahn ebenfalls im RC-Bereich vertreten ist. Die Minderheitsbeteiligung bietet für Martin Müller Potenzial. „Carrera hat die Marke und die Vertriebspower – und wir haben die Innovation und Technologie.“ So wäre ohne diese Zusammenarbeit „Carrera Hybrid“, ein anfängerfreundliches Auto mit DR!FT-Technik, nicht umsetzbar gewesen. Für die Zukunft planen beide Unternehmen noch weitere gemeinsame Projekte. Für Martin Müller hat sich das Wagnis definitiv gelohnt, auch wenn die Achterbahnfahr“ für ihn nicht immer leicht war. So arbeitet er mit seinem Team vom beschaulichen Speyer aus weiter daran, seine revolutionären kleinen Autos ganz groß in der Spielzeugwelt herauszubringen.
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