Mannheim. Die DFB-Pokal-Partie gegen den 1. FC Nürnberg (0:1) ist erst vor ein paar Minuten zu Ende gegangen, da nimmt sich Waldhof-Geschäftsführer Markus Kompp noch auf dem Rasen Stadionsprecher Stephan Christen zur Seite. Es folgt eine fünfminütige, emotional geführte Diskussion über den Eklat, der 19 Stunden später den Rücktritt Christens zur Folge haben wird. Was ist passiert?
Kurz vor 18 Uhr tritt der Stadionsprecher wie üblich vor den harten Kern der SVW-Fans auf der Otto-Siffling-Tribüne (OST), um direkt vor dem Anpfiff im akustischen Wechselspiel die Mannheimer Mannschaftsaufstellung zu verkünden. Diesmal hat Christen aber noch ein „persönliches Anliegen“ mitgebracht. Er will zwei verstorbene Waldhof-Anhänger würdigen. Einer von ihnen: Christian Hehl, bundesweit bekannter Neonazi aus Ludwigshafen, der nach Angaben aus der rechten Szene im Alter von 52 Jahren gestorben ist. „Das ist hier nur für dich, Christian Rolf Hehli“, ruft Christen ins Mikrofon, bevor er die Startelf des Waldhof bekanntgibt. Es ist der Anfang vom Ende seiner Tätigkeit als Stadionsprecher beim SV Waldhof – nach 29 Jahren.
Zur Person: „Deutschlands bekanntester Skinhead“
Christian Hehl, geboren am 29. Mai 1969 in Ludwigshafen, ist laut sozialen Medien gestorben. Über die Todesursache ist nichts bekannt.
Der 53-Jährige war gesundheitlich schwer angeschlagen. Als Angeklagter vor dem Amtsgericht Mannheim gab er 2017 an, an Diabetes sowie chronischen Herz- und Nierenbeschwerden zu leiden.
Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Stuttgarter Landtags rühmte sich Hehl 2018, er sei zeitweise „Deutschlands bekanntester Skinhead“ gewesen.
Für die NPD saß Hehl von 2014 bis 2019 im Gemeinderat, früher diente er unter anderem dem Bundesvorstand als Leibwächter.
Ein Foto zeigt Hehl 1996 zusammen mit NSU-Terroristin Beate Zschäpe bei einer Kundgebung in Worms. Persönlich gekannt hatte er nach eigenen Angaben nur ihren Unterstützer Ralf Wohlleben. Von dessen Verteidigerin Nicole Schneiders ließ sich auch Hehl, mehrfach verurteilt unter anderem wegen Landfriedensbruchs und Körperverletzung, 2017 vor Gericht vertreten. sma (Bild: Christoph Blüthner)
Am Mittwochnachmittag verkündet der SVW in einer Pressemitteilung den Rückzug Christens, nachdem sich über dem Verein in den zurückliegenden Stunden ein Sturm der Entrüstung entladen hat. Selbst bundesweite Medien wie „Spiegel Online“ berichten über den Vorfall, diese Redaktion erreichen unzählige Wortmeldungen von Waldhof-Fans, die sich entsetzt über die offizielle Würdigung eines vorbestraften Rechtsextremisten und selbsterklärten Faschisten äußern.
Nachdem der Verein schon am Vorabend gegen 23 Uhr mit einer Pressemitteilung versucht hat, die Wogen zu glätten, wird spätestens im Laufe des Mittwochvormittags klar: Der Druck von außen ist zu groß, Christen ist nicht mehr in seinem Amt zu halten. Was am Nachmittag folgt, fällt in die Kategorie „gesichtswahrende Trennung“.
Christens persönliche Erklärung
„Mir ist im Rahmen des Pokalspiels gegen den 1. FC Nürnberg ein Fehler unterlaufen, der mir nach 29 Jahren Tätigkeit als Stadionsprecher so nicht passieren darf. Bei der Widmung der Mannschaftsaufstellung habe ich einer verstorbenen Person gedacht, die der rechten Szene angehörte. Die Person und die Hintergründe waren mir persönlich nicht bekannt. Meiner Sorgfaltspflicht hinsichtlich der Recherche zum Hintergrund der Person bin ich nicht nachgekommen. Dies tut mir von Herzen leid“, lässt Christen mitteilen. „Um Schaden vom SV Waldhof Mannheim abzuwenden“ übernehme er die „alleinige Verantwortung und trete aus freien Stücken mit sofortiger Wirkung zurück“.
Christen distanziert sich noch einmal ausdrücklich von rechtem Gedankengut und bedauert seinen unfreiwilligen Abschied nach fast drei Jahrzehnten am SVW-Mikrofon. „Mir tut es in der Seele weh, dass ich nach 29 Jahren mein Amt als Stadionsprecher niederlege. Ich werde dem Verein natürlich weiterhin die Treue halten“, sagt der 52-Jährige, der im Vorjahr noch als Wochen-Gewinner der ZDF-Kochshow „Die Küchenschlacht“ für Furore gesorgt hatte.
Auf die Schlagzeilen rund um den Hehl-Eklat hätte Christen wiederum sicher gerne verzichtet – aber am Ende zieht er die Konsequenzen aus seinem Fehlverhalten. Sicher nicht ohne mehr als sanften Druck aus der Vereinsspitze, die um das Image des SV Waldhof bangt.
Für Toleranz engagiert
In den vergangenen Jahren hat sich der Mannheimer Traditionsverein auf vielen Ebenen für Toleranz und Vielfalt, gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagiert. Diese Arbeit droht durch Christens Fauxpas konterkariert zu werden. Wie glaubhaft die Rechtfertigung des scheidenden Stadionsprechers ist, über Hehls politische Gesinnung nicht informiert gewesen zu sein? Fragwürdig. SVW-Insider verweisen darauf, dass der zeitweise mit Stadionverbot belegte Neonazi allen, die lange im Verein arbeiten, ein Begriff gewesen sein muss.
Im Krisenmodus befindet sich der SVW schon in der Nacht nach dem Nürnberg-Spiel: Bis um halb vier tagt Geschäftsführer Kompp mit Mitgliedern aus Präsidium und Aufsichtsrat, um den Schaden zu begrenzen. Am Morgen um 10 Uhr beginnt das Meeting, das mit der Trennung vom Stadionsprecher endet. Als diese Redaktion gegen 16 Uhr am Mittwoch Kompp telefonisch erreicht, bittet er um Verständnis dafür, über den Wortlaut der Pressemitteilung hinaus keine weitere Stellungnahme abgeben zu wollen.
„Sowohl Stephan Christen als auch alle Gremien des SV Waldhof Mannheim 07 distanzieren sich von rechtem Gedankengut und werden sich auch zukünftig wie in den vergangenen Jahren für Vielfalt, Toleranz und gegen Rassismus einsetzen“, heißt es darin. Wer am Samstag im Drittliga-Spiel gegen RW Essen Christens Job am Mikrofon übernimmt, ist noch offen.
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