Speyer. Mit dem Ensemble „Berlin 21 – Streetworkers“ und seinem Sänger Tamir Cohen war für Partystimmung gesorgt (wir haben berichtet). Doch der Künstlerische Leiter Bernhard Sperrfechter verknüpft mit der Speyerer Konzertreihe Jazz im Rathaushof durchaus höhere Ambitionen. Die US-amerikanische Sängerin Brenda Boykin mit ihrem Trio sowie das Quartett von Saxofonistin Alexandra Lehmler lösten an zwei weiteren Abenden jene Erwartungen ein, die das Genre jenseits des Unterhaltungsmilieus verorten.
Popularität genießen die beiden Vertreterinnen völlig unterschiedlicher Jazzstile zusammen mit ihren Begleitmusikern freilich dennoch. Dank ihrer offenen und natürlichen Ausstrahlung hatte Brenda Boykin das Publikum im Rathaushof umgehend gewonnen.
Humorbegabt und stimmgewandt
Wegen einer körperlichen Beeinträchtigung nahm die einst aus dem sonnigen Kalifornien ins nordrhein-westfälische Wuppertal übergesiedelte Sängerin auf einem Stuhl auf der Bühne Platz. Ihrer Präsenz und ihrem ausdrucksstarken Gesang tat das keinen Abbruch.
Mit Klassikern – „Jambalaya“ und „Walking To New Orleans“ von Fats Domino oder Bill Haleys „See You Later Alligator“ sowie „Summertime“ von George Gershwin – nahm die ebenso humorbegabte wie stimmgewandte Sängerin ihre Zuhörer mit auf eine entspannte Reise durch die schillernde Welt des Jazzgesangs. In Jan Luley hatte Brenda Boykin einen musikalischen Dialogpartner an ihrer Seite, der den Songs auf den schwarz-weißen Tasten sprühenden Esprit verlieh.
Luley ist ein mit allen Wassern gewaschener Jazzpianist, der im Trio zugleich den Ton angibt. Lindy Huppertsberg am Kontrabass sowie Tobias Schirmer am Schlagzeug standen dem Ensembleleiter freilich in nichts nach. Der „Saint Louis Blues“ aus dem Jahr 1914, den das Ensemble zu Beginn anstimmte, ist ein instrumentaler Leckerbissen, der vom Latin-Rhythmus über den Swing schließlich sein Ziel im Blues fand. Obendrein lebten alle drei Musiker ihre improvisatorische Spielfreude aus.
So hielten sich die Temperamente im Ensemble die Waage; und auch wenn der Gesang Brenda Boykins durchaus Lebenserfahrung verriet, erstarrten ihre Vorträge keineswegs in Routine.
Das Finale dieses Konzerts geriet mit dem Gospel „What A Friend I Have In Jesus“ und dem Song von Louis Armstrong „What A Wonderful World“ beinahe schon hymnisch. Dem Kitschverdacht fiel die zugewandt und unprätentiös auftretende Sängerin damit jedoch mitnichten anheim.
Vom Keimling zum epischen Format
Den künstlerisch innovativsten Beitrag lieferten am Ende dieses kleinen Festivals Saxofonistin Alexandra Lehmler sowie ihr Ensemble mit Frederico Casagrande (Gitarre), Patrice Heral (Schlagzeug) und Matthias Debus (Kontrabass). Weltmusikanklänge wurden in komplexe Rhythmusmuster verwoben. Vor allem das aktuelle Album „Sans mots“ (Ohne Worte) stand an diesem Abend Pate. Alle vier Musiker versahen ihr Handwerk im Grunde genommen als Solisten; doch gerade die persönlichen Beiträge statteten den Ensembleklang mit Spontaneität und Kreativität aus.
Kein Mainstream-Jazz also, sondern Musik, die aus dem Moment geboren schien, mit einer Idee oder einem Motiv als Keimling, der dank ausgeprägter musikalischer Fantasie nicht selten zu epischem Format auswuchs und narrative Assoziationen freisetzte. Als ein irres Stück entpuppte sich „Monument“, in dem Schlagzeuger Patrice Heral seine Stimme durch elektronische Wandler schickte und sich vom Roboter zur Operndiva entwickelte.
Natürlich beherrschte Alexandra Lehmler mit ihren Instrumenten – dem Sopran-, dem Alt- und dem Baritonsaxofon – die Bühne. Sie wechselte auf einer breiten Palette vom spitzen und kecken Ton zum samtig-weich hingehauchten Flüstern, ohne an Intensität einzubüßen. Die Balladen wie „Hymn To Hope“ oder „Sundance“ sind fragile, melodienreiche Kostbarkeiten. Die harmonischen Zaubereien von Gitarrist Frederico Casagrande, der agile Bass von Matthias Debus und das Schlagzeug Patrice Herals, bei dem kein Takt dem anderen glich, ermöglichten stilistische Höhenflüge, die jedoch nicht in den sauerstoffarmen Regionen der Abstraktion endeten. Dafür wurden die Musiker vom Publikum im Speyerer Rathaushof denn auch begeistert gefeiert.
Unterdessen traten an Ort und Stelle nicht nur die Profis auf. Die Blue Bird Big Band unter Leitung von Klaus Gehrlein, in der 14- bis 80-jährige Amateure spielen, sowie die Speyerer Stadtjugendkapelle unter Tobias Schmitt dokumentierten, dass Jazz keine Angelegenheit von Spezialisten und Experten sein muss.
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