Speyer. Zwischen Bach und Penderecki liegen Welten – und doch auch wieder nicht, lässt sich die Moderne doch nicht ohne die Tradition denken. Im letzten Konzert der Speyerer Kammermusikreihe „Resonanzen“ ließen sich jene musikhistorischen Gegenüberstellungen noch einmal in ihrer produktiven Energie erleben. Violinist Paul Erb hatte ein Programm konzipiert, das an konfrontativem Zündstoff nichts zu wünschen übrig ließ.
Johann Sebastian Bachs „Grave“ aus der zweiten Violinsonate a-Moll wirkte wie ein Solitär unter lauter Grenzgängern, wie eine zarte Erinnerung an eine ästhetische Epoche, die sich gleichwohl nicht ins Geschichtsalbum verbannen lässt. Dieser Bach war höchst vital, zumal der junge Geiger dank seines empfindsamen Spiels den lyrischen Feinsinn dieser Musik aufspürte. Persönliche Aneignung und stilistische Würdigung fanden hier ins Gleichgewicht.
Paul Erb in Speyer: Wunderbare Variationen
Dagegen ließ sich das „Königliche Thema“ in Isang Yuns Improvisationen über Bachs musikalisches Opfer als moderner Zugriff auf ein längst Vergangenes wahrnehmen. Und zugleich als Demonstration eines Könners: Virtuose Techniken, unterschiedliche Streich- und Zupfarten in Verbindung mit anklingenden asiatischen Idiomen mochten im solistischen Spiel Paul Erbs beeindrucken. Hans Werner Henzes Serenade für Solovioline würdigte der junge Geiger als schwereloses, flüchtiges Musikstück, dessen schillernde Klangvaleurs kreisende Suchbewegungen suggerierten.
Mit Karol Szymanowskis d-Moll-Sonate hatten Paul Erb und Ulrike Krämer am Klavier das Konzert im Historischen Ratssaal begonnen. Der kantige, glutvolle, raue, zitternde, gellende, flehende oder gar aufschreiende Geigenton fand sich im gleichermaßen sensiblen wie kraftvollen Klavierklang gut aufgehoben. Er verriet freilich auch eine Radikalität im Ausdruck, den Erb immer wieder ins Extreme steigerte. Die Emotivität im Spiel des Solisten überstrahlte hierbei das Bemühen des Interpreten nach musikalischer Exegese. Sein entäußerndes Spiel mochte man unwillkürlich mit Adjektiven aus dem Bereich der Affekte belegen; wenn aus jedem Ton ein intensiver Moment, aus jeder Phrase ein Ereignis wird, droht die Musik an sich selbst zu verschleißen. Ohne eine gewisse Diskretion wird Ausdruck zum Selbstzweck.
In Krzysztof Pendereckis Duo concertante bildete Paul Erb mit dem Kontrabassisten des Kurpfälzischen Kammerorchesters, Alexis Scharff, ein inspiriertes Duo, das in enger dialogischer Verzahnung agierte. Dabei erheiterten die beredten und spitzzüngig-skurrilen Szenen dieser kommunikativen Zweisamkeit ebenso wie die unterschiedlichen Mittel der Klangerzeugung.
Paul Erb in Speyer: Sehnsuchtvolles Drängen
Die stürmische Anmutung des ersten Satzes aus der sogenannten „F.A.E.“-Sonate passte gut zum drangvollen Spiel des Violinisten, der mit Pianistin Ulrike Krämer auch hierbei eine versierte Begleiterin zur Seite hatte. Das sehnsuchtsvolle Drängen im zweiten, das energische Aufschäumen im dritten Satz gipfelten in hymnischen Kadenzen dieser um Homogenität bemühten heterogenen Komposition, an der Albert Dietrich, Robert Schumann und Johannes Brahms gemeinsam geschrieben hatten, um die Sonate einem Geiger zu widmen.
Mochte Paul Erb auch den vierten Satz Schumanns für diese Aufführung gestrichen haben, so ließ sich das von Brahms beigesteuerte Scherzo doch in seiner virilen Entschlusskraft als Finale würdigen. Der Name dieser Sonate entspricht dem Motto „Frei aber einsam“; diese konnte im einträchtigen Spiel Paul Erbs mit Ulrike Krämer vor allem in ihrer gleichsam revolutionären Attitüde wahrgenommen werden.
Giovanni Bottesinis Gran Duo Concertante in einer Bearbeitung für ein Trio bot den beiden Streichern zahlreiche Gelegenheiten für virtuose Passagen, aber auch für parodistische Einlagen und Wiener Schmäh, der trotz der teilweise halsbrecherischen Spielfiguren auch kabarettistisches Talent erfordert. Das hatte Rausschmeißer-Qualitäten; eine Zugabe wurde vom begeisterten Publikum denn auch gar nicht gefordert.
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