Speyer. Dank der historischen Aufführungspraxis gilt Musik aus der Barockzeit nicht mehr als von vorgestern. Doch zeitgenössische Interpretationen schießen nicht selten übers Ziel hinaus, wie olympiaverdächtige Tempi oder zu überschüssiger Impulsivität neigende Aufführungen bezeugen. Dem gegenüber markiert die Evangelische Jugendkantorei der Pfalz schon seit Jahren einen Stil, der die sogenannte Alte Musik für heutige Ohren erfahrbar macht, ohne ihre historischen Wurzeln zu ignorieren.
Das Ergebnis: ein ungemein vitales, inspiriertes und beseeltes Musizieren, wie das neuerdings wieder in der Speyerer Dreifaltigkeitskirche zu erleben war. Dresdner Barock stand auf dem Konzertprogramm, denn mit Jan Dismas Zelenka und Johann David Heinichen hatte Landeskirchenmusikdirektor Jochen Steuerwald zwei Hauptvertreter der Barockmusik ausgewählt, die den Ruf der Sachsenmetropole seinerzeit gemehrt haben.
Eine besondere Premiere in der Dreifaltigkeitskirche Speyer
Von Zelenka wurde dessen letztes Werk, die „Missa Omnium Sanctorum“, aufgeführt. Das Notenmaterial von Heinichens „Magnificat“ hatte Steuerwald selbst auf der Grundlage eines Autographen erstellt. Eine Premiere also. Dem Titel dieses Konzerts gemäß gab das 1991 gegründete Dresdner Barockorchester in Speyer einmal mehr seine Aufwartung. Die sächsischen Musiker ließen sich aber nicht nur als verlässliche Begleiter des 30-köpfigen Chores vernehmen, sondern verliehen der Instrumentalbegleitung einen Rang, der dem des Chorgesangs nicht nachstand.
Damit strahlte in der barocken Dreifaltigkeitskirche eine prächtige Klangfülle auf, in der nicht nur der harmonische Reichtum beider Werke entfaltet, sondern auch ihr sakraler Gehalt vermittelt werden konnte. Vom flehentlich-drängenden „Kyrie“ bis zur Schlussfuge des „Dona nobis“ bildet Zelenkas Missa alle Schattierungen eines Glaubens ab, der sich aus Erfahrungen des Leidens und der Trauer zu befreien weiß und in Regionen der Hoffnung und der Zuversicht vorstößt. Der dominierende Streicherklang wurde im Dresdner Barockorchester durch Oboen, Fagott und Orgelcontinuo aufgeweitet; der weiche, aber unverzärtelte Instrumentalklang ließ sich als adäquate Farbgebung und Ausdeutung des Gesangs vernehmen.
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Als besonders reizvoll erwies sich dabei nicht nur die lebhafte Dynamik, sondern gerade auch die vom Orchester detailreich herausgearbeitete affektive Rhetorik. Auch achtete Dirigent Jochen Steuerwald auf feine Abstufungen, die differenziert auf Tutti- und Sologesänge abgestimmt waren. Die Vokalsolisten Clara Steuerwald (Sopran), David Erler (Altus), Florian Sievers (Tenor) und Thomas Laske (Bass) bewiesen in den Arien mit ihren A-cappella-Passagen und ihren Koloraturen wie in den teilweise hurtig wechselnden Formationen stimmlich Charakter und beeindruckten dank inniger Anverwandlung des geistlichen Gehalts dieser Musik.
Besondere Momente ließen sich etwa im „Benedictus“ der Zelenka-Messe erleben, als der Unisono-Gesang durch Sopran und Altus mit dem fugierten „Osanna in excelsis“ vom Chor beantwortet wurde. Auch dem „Magnificat“ Heinichens widmete sich die Evangelische Jugendkantorei mit bekenntnishafter Eindringlichkeit, prägnant konturierten Stimmen, geschliffenen Tempi und nicht nachlassender Präsenz. Das abschließende „Gloria“ mit seinen prachtvollen harmonischen Fügungen ließ sich in mehrfacher Hinsicht als geradezu triumphales Finale erleben.
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