Frankenthal. Es ist das wohl ungewöhnlichste Konzert, das Sängerin Laura Heinz jemals gespielt hat. Vor ihr und ihrem Keyboarder Benedikt Stumpf sitzen an diesem Abend rund 80 Strafgefangene - in einer brütend heißen Turnhalle der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankenthal. Die Nervosität ist beiden Seiten anzumerken, ist es doch eine neue Erfahrung sowohl für die Sängerin als auch für die Häftlinge: Ein einstündiges Konzert zur Unterhaltung, es bietet die Möglichkeit, mal kurz dem harten Knast-Alltag zu entfliehen.
Die Ansprache der Künstlerin ist zunächst ein wenig zurückhaltend, der Applaus des Publikums laut und kurz. Es braucht eine gewisse Zeit, bis sich die Künstlerin und ihr Publikum eingegroovt haben. Aber in den rund 75 Minuten entfaltet die Macht der Musik ihre Wirkung. Sie knackt jede Menge harte Schalen. Aus coolen Knackis werden fröhliche Jungs, denen die Melodien ein fröhliches Lächeln ins Gesicht zaubern. Ein Justizvollzugsbeamter sagt danach: „Das war das Beste, was wir hier seit langem hatten.“
Konzert in der JVA Frankenthal: Anstaltsleiterin gibt die Spielregeln vor
Es ist nicht das erste kulturelle Angebot, das die JVA ihren Häftlingen unterbreitet. Kabarettist Bodo Wartke (der mit „Barbaras Rhabarberbar“) war schon da, die Leisböhler Seemöven, auch ein Shantychor aus Haßloch. Aber solche Veranstaltungen haben Seltenheitswert, finden vielleicht alle zwei bis drei Jahre statt. Anstaltsleiterin Gundi Bäßler wollte aber zum runden Geburtstag des Frankenthaler Gefängnisses - in diesem Jahr gibt es die JVA seit 50 Jahren - auch den Insassen etwas Besonderes bieten.
Wenn was passiert, dann ist das auf sehr lange Zeit die letzte Veranstaltung dieser Art gewesen
Gleichwohl bekommen sie zu Beginn des Konzerts deutlich die Spielregeln erklärt: „Sie wissen alle, wie man sich benimmt!“, sagt Bäßler mit ernstem Ton, „wenn was passiert, dann ist das auf sehr lange Zeit die letzte Veranstaltung dieser Art gewesen“, warnt sie. Doch die Häftlinge wissen dann doch, wie sie sich zu benehmen haben. Obwohl die Gefängnisleiterin es gar nicht anspricht, bleiben die Männer auf ihren Stühlen sitzen, bewegen sich dort aber zunehmend mehr im Rhythmus, klatschen immer wieder - mehr oder minder - rhythmisch zur Musik und singen am Ende sogar lauthals mit.
Laura Heinz ist studierte Sängerin. Die Mainzerin ist unter anderem bekannt aus der Mainzer Fernsehfastnacht. In der Pandemie sang sie 2021 bei der abgespeckten „Mainz bleibt Mainz“-Sendung eine Corona-Version des Hits „Heile Heile Gänsje“. Außerdem ist sie Frontfrau einer Helene-Fischer-Tribute-Band. Sie hat eine tolle Stimme und viel Bühnenerfahrung.
Strafgefangene sind restlos begeistert
Das Repertoire ist vielseitig gefächert. Eigentlich gibt es nur einen einzigen Helene-Fischer-Song, ganz am Ende „Atemlos“, mit lauthals mitgegröltem „Oo-oh, oh-oh“. Der Rest des Programms ist ein sehr buntes Potpourri. „Wir haben unsere Lieblingssongs ausgewählt, Lieder, an denen wir selbst viel Spaß haben“, sagt sie und fordert auf: „Habt auch Spaß, lasst euch einfach ein bisschen fallen und singt mit, wenn ihr die Texte kennt“.
Sie bedient dabei alle Genres. Am Anfang gibt’s Deutschpop von Johannes Oerding („An guten Tagen“), Sarah Connor („Vincent“) und Mark Forster („Auf dem Weg“). Dann präsentiert sie, was sie bei der Abschlussprüfung ihres Studiums singen durfte: Bei der Blues-Jazz-Nummer von Ray Charles „Hallelujah I Love Her So“ sinkt die Aufmerksamkeit ein bisschen, beim Klassiker „Bei Mir Bistu Shein“ bricht aber das Eis. Es wird geschnipst, geklatscht und auf den Stühlen gewippt - aber die Häftlinge bleiben sitzen.
Gundi Bäßler habe sich für das Programm auch ein paar Rocksongs gewünscht, verrät Laura Heinz. Der Applaus zeigt, dass die Anstaltsleiterin damit durchaus Punkte sammelt. Die Songs von Kings of Leon und AC/DC lassen die Häftlinge rhythmisch mit dem Kopf nicken. Als die Sängerin zu einem bunten Schlagermedley plötzlich die Bühne verlässt und singend durch die Stuhlreihen schlendert, sind die Männer zunächst etwas irritiert, aber dann restlos begeistert.
„Über sieben Brücken“ und ein sehr besonderer Moment
Als die Sängerin dann den Hit „Über sieben Brücken musst du geh’n“ anstimmt, singt der Gefangenen-Chor den Refrain mehrfach alleine. Der Songtext entfaltet in diesen Mauern seine sehr eigene Wirkung, heißt es doch: „Sieben dunkle Jahre überstehen, sieben Mal wirst du die Asche sein, aber einmal auch der helle Schein.“ Das knackt auch ganz harte Schalen. Und beim vorletzten Lied, einer sehr gefühlvollen Version der Sting-Ballade „Fields Of Gold“ lauscht das Publikum ergriffen.
Ja, es sei auch für sie eine ganz besondere Erfahrung gewesen, gesteht Laura Heinz nach dem Konzert. „Am Ende haben sie uns alle wirklich angestrahlt“, sagt sie, als die Männer wieder in ihren Hafthäusern verschwunden sind. So war’s am Ende für alle Seiten doch ziemlich atemlos - und das nicht nur wegen der Hitze.
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