Frankenthal. Dieter Gurkasch ist ein verurteilter Raubmörder. Der heute 63-jährige Hamburger saß insgesamt 25 Jahre im Knast, auch wegen versuchter räuberischer Erpressung, unerlaubten Waffenbesitzes und Sachbeschädigung. Das Gericht hatte zudem eine Sicherungsverwahrung angeordnet. Heute strahlt ihm das Glück aus den Augen.
Verurteilter Mörder spricht in JVA Frankenthal: Yoga führt aus der Gewalt
Dieter Gurkasch ist erkennbar mit sich und der Welt im Reinen. Yoga hat ihm den Weg von Hass und Gewalt hin zu Liebe und innerem Frieden gewiesen. „Yoga hat mir das Leben gerettet. Ohne das wäre ich irgendwann im Knast gestorben“, sagt Gurkasch in der Turnhalle der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankenthal. Ein russischer Mitgefangener und er hätten sich – in inniger Feindschaft verbunden – schon überlegt, wie sie sich gegenseitig umbringen würden.
Yoga hat mir das Leben gerettet. Ohne das wäre ich irgendwann im Knast gestorben
Rund 30 Inhaftierte lauschen in der Turnhalle der JVA Gurkaschs Lebensgeschichte, die voller Gewalttaten steckt, voller Aggressionen, voller Hass und voller Brüche. Mit einem Kumpanen überfiel er einen kleinen Laden in Hamburg und verletzte eine Mitarbeiterin dabei so schwer, dass sie drei Wochen später starb. Er lieferte sich eine Schießerei mit der Polizei, gab 17 Schüsse aus seiner Glock 17 ab und feuerte danach mit einer Pumpgun weiter.
„Ich wollte, dass die Situation eskaliert. Ich wollte einen Abgang als Krieger, darauf habe ich 20 Jahre trainiert“, sagt er. Es sei kalkulierte Konsequenz gewesen, dass ihn die Kugeln der Polizei im Oberkörper trafen. Zwei Mal sei er tot gewesen, zwei Mal reanimiert worden. Im Krankenhaus habe ihm ein Arzt zugeraunt: „So etwas überlebt ein Mensch normalerweise nicht. Da will wohl jemand noch etwas von Ihnen“.
Gurkasch macht im Gefängnis zuerst heimlich Yoga
Die Lebensgeschichte nahm dann tatsächlich eine erstaunliche Wendung. Gurkasch lernte – auch durch Gespräche mit seiner Ehefrau – im Gefängnis die indischen Entspannungstechniken kennen. „Das Leben hat mir Yoga vor die Füße geworfen“, sagt Gurkasch. „Lächerliche Mädchen-Gymnastik“ sei das für ihn am Anfang gewesen, sagt er. Er habe die ersten Übungen in aller Heimlichkeit absolviert – damit bloß niemand den harten Hund bei diesen komischen Bewegungen erwischt.
Denn Gurkasch war nach eigenem Bekunden unumstrittener Knastmeister im Böse-Gucken. Aber nach sechs bis sieben Wochen habe ihn ein Knastbruder gefragt, ob er auch von dem Zeug haben könne, das Gurkasch nehme. Denn dieser bekomme ja das Grinsen gar nicht mehr aus dem Gesicht, berichtet der Hamburger Yoga-Lehrer von Kommentaren seiner Mithäftlinge.
Nach zehn Monaten griff er zu Obst und Gemüse, zog am Zellenfenster eigene Sprossen, wurde Vegetarier und begann, seine Zelle zu reinigen. „Plötzlich geht’s dir so gut, wie das vorher noch keine Droge geschafft hat“, erzählt er. Gurkasch lernte alles über Shakra-Energien, Tantra und Kundalini. Und er gründete die erste Yoga-Gruppe in einem deutschen Gefängnis. Später, nach seiner Entlassung, machte er eine richtige Ausbildung zum Yoga-Lehrer, gründete den Verein „Yoga und Meditation im Gefängnis“ und schrieb seine Memoiren. In dem Verein sind übrigens auch mehrere frühere Strafgefangene Mitglied, die wie Gurkasch über Meditation den Weg aus Hass und Aggression gefunden haben.
Yoga-Gruppe auch in JVA Frankenthal: Häftling lädt Gurkasch ein
Ein Frankenthaler Häftling hat Gurkaschs Buch „Leben reloaded“ gelesen und sich gewünscht, dass der Ex-Knacki einmal die JVA besucht. Seit etwas mehr als zwei Monaten gibt es auch im Frankenthaler Gefängnis eine Yoga-Gruppe. Zwischen zehn und 13 Gefangene treffen sich einmal die Woche, um durch Meditation zur inneren Ruhe zu finden. Und das klappt auch wunderbar, wie Kimberly Michel bestätigt. Die Justizbedienstete ist zertifizierte Yoga-Lehrerin und leitet auch im Gefängnis die Übungsstunde. Spätestens zur Abschluss-Entspannung fänden auch die unruhigeren Geister in der Runde Ruhe, bestätigt sie.
Die JVA Frankenthal
- Die Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankenthal gibt es seit 50 Jahren.
- Ausgelegt ist das Gefängnis, in dem ausschließlich Männer untergebracht sind, für 420 Gefangene. Aktuell sind laut Anstaltsleitung 436 Inhaftierte untergebracht (Stand: 7. Februar).
- Untergebracht sind in Frankenthal Täter, die eine Freiheitsstrafe von bis zu acht Jahren verbüßen, außerdem Untersuchungshäftlinge.
- Das Gefängnis am nordöstlichen Stadtrand von Frankenthal besteht aus sechs miteinander verbundenen, sogenannten Hafthäusern.
An diesem Mittwoch ist aber auch Michel nur Teilnehmerin der wöchentlichen Yoga-Stunde in der Turnhalle. Denn der prominente Gast leitet die Runde an, unter anderem mit den Fünf Tibetern und anderen Übungen. Zwei bis drei Mal im Jahr besucht der Hamburger Gefängnisse, um den Strafgefangenen seine Geschichte zu erzählen und sie zu Yoga-Übungen einzuladen. Ein halbes Jahr nach seiner Entlassung sei er zu seinem ersten Vortrag schon wieder in einem Knast gewesen. Da habe er zunächst gar nicht realisieren können, dass er nach dem Vortrag das Gefängnis als freier Mann wieder verlassen durfte, grinst er.
Erst die Entspannung eröffne den Blick dafür, neue Wege in seinem Leben gehen zu können, das ist Gurkaschs Mantra: „Wir erwarten nicht, dass ihr Heilige werdet. Wir erwarten aber von euch, dass ihr euch entspannt. Den Rest müsst ihr dann schon selber machen.“
Gurkasch hat übrigens nie den Kontakt zu den Hinterbliebenen der Frau gesucht, die er ermordet hat. „Ich fände es egoistisch, um Vergebung zu betteln.“ Außerdem wolle er nicht alte Wunden aufreißen. Die Hinterbliebenen hätten ihren Umgang mit der Tat gefunden.
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