Neustadt. Die Schreie der Gequälten soll man seinerzeit bis auf die Straße gehört haben: Was die Geheime Staatspolizei (Gestapo) während der Herrschaft der Nationalsozialisten zwischen 1937 und 1945 in einem Gebäude in der Neustadter Innenstadt getrieben hat, ist bis heute nicht in allen Teilen bekannt. Was man aber weiß: Es war aus regionaler Sicht ein Zentrum des Schreckens. So jedenfalls nennt der Historiker Walter Rummel den Ort, an dem damals bis zum Geständnis verhört und gefoltert wurde. Rummel, langjähriger Direktor des Landesarchivs in Speyer, hat in Reminiszenz an den Kollegen Eginhard Scharf einen bemerkenswerten Aufsatz zur Tätigkeit der Geheimen Staatspolizeistelle Neustadt verfasst, der die unmenschliche Behandlung von Juden, Kommunisten, Sinti und Roma sowie von Separatisten und Defätisten ansatzweise schildert.
Zeitzeugen gibt es kaum noch
Beschrieben ist etwa das Schicksal des 53-jährigen Tierarztes Philipp Bus. 14 Tage lang hielt er es im Hausgefängnis der Gestapo aus, ehe er sich in seiner Zelle erhängte. Zuvor war er von einem 41-jährigen Mann denunziert worden. Bus soll sich defätistisch über das Regime geäußert haben. Aus Angst, ihm könnten in einem Konzentrationslager harte Strafen bevorstehen, nahm er sich wohl selbst das Leben.
Warum dieser intime Rückblick? Das Ende des Nazi-Regimes in Deutschland ist 77 Jahre her. Es gibt nur noch ganz wenige Menschen, die mit eigenen Augen gesehen haben und insofern berichten können, was passiert, wenn eine Demokratie zerstört wird und an ihre Stelle ein menschenverachtendes und volksverhetzendes System aus Terror, Denunziantentum, Zerstörung und Krieg tritt. Clemens Hoch, in Rheinland-Pfalz Minister für Wissenschaft und Gesundheit, wies am Dienstag bei einem Besuch in Neustadt darauf hin, wie relevant es insofern ist, einen Ort zu haben, der authentisch ist, um die Ära des Nationalsozialismus mahnend zu transportieren.
Genau das ist an der Weinstraße unterhalb des Hambacher Schlosses geplant. Der sogenannte Gestapo-Keller in der Konrad-Adenauer-Straße 10 soll zum Erfahrungsort werden. So haben es Land, Stadt und die Landeszentrale für politische Bildung in einem gemeinsam verfassten Memorandum vereinbart. Möglichst in den kommenden zwei Jahren sollen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Das kostet Geld. Bis zu 400 000 Euro will alleine das Land investieren. Da sind Personalkosten noch nicht eingerechnet. Die Stadt Neustadt stellt das Gebäude selbst in Teilen zur Verfügung.
Was Neustadt als Ort so geeignet erscheinen lässt, sind zwei Dinge: Zunächst gibt es in Deutschland nur zwei Städte (Würzburg und Duisburg), in denen ähnlich umfangreiche Aktenbestände aus Gestapo-Stellen erhalten geblieben sind. Es handelt sich um 12 175 Akten, die zu einem größeren Teil Ermittlungsakten wegen sogenannter politischer Delikte gegen einzelne Personen und Gruppen darstellen. Was den im Landesarchiv in Speyer aufbewahrten Unterlagen so viel Bedeutung verschafft, ist der Umstand, dass sie trotz der Anstrengungen von Mitarbeitern der früheren Gestapo, ihre Spuren nach dem Krieg zu verwischen, noch in beträchtlichem Umfang existieren. Das machte der in Schifferstadt lebende Bernhard Kukatzki, Direktor der Mainzer Landeszentrale für politische Bildung, anlässlich der Unterzeichnung des Memorandums deutlich. „Das sind Schicksale von Menschen in dieser Zeit“, sagte Kukatzki, dessen Team für die pädagogisch-inhaltliche Umsetzung verantwortlich zeichnet.
Gerade einmal 112 Mitarbeiter zählte die Gestapo 1937 auf dem Höhepunkt ihrer personellen Besetzung, erwähnt Rummel in seinem Aufsatz. Übrigens, um eine Million Menschen im Gau in Schach zu halten. Der zweite Aspekt, der Neustadt auch aus Sicht von OB Marc Weigel prädestiniert, ist das Spannungsfeld zwischen Hambacher Schloss und Gestapo-Keller. Hier die Wiege der Demokratie mit dem Hambacher Fest von 1832 und dort das schwer zu ertragende Schandmal eines Gefängnisses der Nazis, das als Beispiel mahnend den Finger hebt, Demokratie in alle Richtungen zu verteidigen. Mit diesem Spannungsfeld möchte Weigel Schüler und Erwachsene in die Stadt holen.
Fritz Bauer, als hessischer Generalstaatsanwalt einst Ankläger im Auschwitz-Prozess, sagte: „Nichts gehört der Vergangenheit an. Alles ist Gegenwart und kann wieder Zukunft werden.“ Bernhard Kukatzki war es wichtig, dieses Zitat ans Ende seiner Ausführungen zu setzen.
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