Rhein-Neckar. Jakob Scholler nimmt sich sehr viel Zeit an diesem feuchten Juli-Nachmittag. Der 29-Jährige will sie nicht nur erklären, nein – er will sie zeigen: Die Prozesse, die sich in den Weinbergen rund um seinen Heimatort Birkweiler abspielen. Was der Mann uns in den rund 90 Minuten danach vor Augen führt, ist aus seiner Sicht nichts anderes als fortschreitendes Siechtum. Um es salopp auszudrücken: „Ende Gelände“.
Jakob Scholler ist Winzer und junger Vater. Bei vielen seiner Kollegen lägen die Nerven blank, schildert er eine Situation, die so nicht vorhersehbar gewesen sei. Ein neuer Winzerverein, in dessen Vorstand Scholler nun verstärkt aktiv ist, analysiert die Lage so: „Mehr als der Hälfte der deutschen Weinanbauern droht in den kommenden Monaten der Bankrott.“ Was wie ein vorschnelles Verdikt klingt, lässt sich erahnen, wenn man ihm auf einen Spaziergang durch die Reben im „Birkweiler Kastanienbusch“ folgt.
Dabei handelt es sich um eine der begehrtesten und bekanntesten Einzellagen Deutschlands. Vielfach ausgezeichnete Spitzenwinzer wie Dr. Wehrheim und Rebholz ziehen hier ihre Großen Gewächse aus einer einzigartigen Bodenstruktur. Tektonische Verschiebungen im Trias vor rund 200 Millionen Jahren machen es möglich. Buntsandsteinverwitterungsprodukte und Kalkmergeleinlagerungen bieten heute ideale Voraussetzungen für Burgunder. Roter Schiefer, aber auch sandiger Lehm erweitern das Portfolio um Rotliegendes und außergewöhnliche Rieslingweine. Wer über Terroir reden möchte, befindet sich hier im Paradies. Allein: Das Paradies hat Krebs.
Von Schädlingen befallene Rebzeilen
Jakob Scholler streckt den Arm aus und deutet auf eine recht junge Rebanlage. Sie sieht so als, als habe da jemand mal kurz einen Plan gehabt und sei in der Sekunde danach auf Weltreise gegangen. „Wenn die ersten fallen, dann fallen alle“, sagt Scholler etwas dystopisch, als er auf die Reben blickt. Was er meint, wird schnell klar, als sein Zeigefinger die Richtung wechselt.
Die Parzelle, auf die er nun deutet, hat mit einem gut gepflegten Weinberg nichts mehr gemeinsam. Drieschen heißen diese Rebzeilen, die völlig verbuscht in der Landschaft liegen. Und hier liegt das Problem. Dass es diese Drieschen gibt, hat mit dem Welthandel zu tun. Es wird deutlich weniger Wein getrunken und so hat sich eine Überproduktion eingestellt, die die Preise für Fasswein in den Keller hat rauschen lassen. Das alles bei erhöhten Produktionskosten, denn sowohl Energie als auch Pflanzenschutz sind ständig teurer geworden. Betroffen sind davon zwar auch die Großen der Szene wie Dr. Wehrheim und Rebholz, die ihre Flaschen noch gut vermarkten können, aber richtig hart trifft es die Betriebe, die im Nebenerwerb oder als Zulieferer unterwegs sind.
„Der Fassweinmarkt ist zusammengebrochen“, sagt Scholler. Rechnete man vor wenigen Jahren noch mit Produktionskosten von 1,20 Euro für den Liter Fasswein, so werden momentan stellenweise nur noch 40 Cent für dieselbe Menge auf dem Markt bezahlt. Der Weg zur Arbeit in den Weinberg – für viele lohnt er sich nicht mehr. Jakob Scholler ist aufgeregt: „Darüber will niemand richtig sprechen“, kritisiert er die Szene. Viele Winzerinnen und Winzer seien überschuldet und hätten Zweitjobs, um ihre Familien zu ernähren. Thomas Schaurer, Vorsitzender des oben genannten Winzervereins mit Sitz in Billigheim-Ingenheim bei Landau formuliert es noch deutlicher: „Wenn unser Kampf scheitert, ist der deutsche Weinbau in seiner jetzigen Form Geschichte“.
„Noch vor der Ernte muss ein Umschwung her“
Tatsächlich zeigt die Krise sich jetzt langsam in der Kulturlandschaft der Südlichen Weinstraße – aber nicht nur dort. Die Drieschen, also die einfach liegen gelassenen Weinberge, nehmen sichtbar zu. Die Metalle, die Plastikhülsen, in denen die Triebe stecken, bleiben stehen und wuchern zu. Da keine Pflanzenschutzmaßnahmen mehr stattfinden, können sich Schädlinge ausbreiten, die selbstverständlich nicht an der Grenze zum Nachbarweinberg haltmachen. Auf alle Winzer kommt durch die brüchige Solidargemeinschaft, die etwa gemeinsam Pheromone aufhängt, mehr Arbeit zu. Der Druck steigt. Pilze, Rebläuse, Kirschessigfliege und Traubenwickler winken nicht mehr nur am Horizont, sondern sind eine reale Gefahr für das ganze System. Das System? Das waren deutschlandweit 14.150 Weinbaubetriebe im Jahr 2023. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden ist die Anzahl in den vergangenen zehn Jahren um ein Viertel zurückgegangen. Oft sind die Weinberge an größere Betriebe gegangen.
Plädoyer für kontrollierte Rodungen
Diese Zeit scheint nun vorbei. Und das zeigt sich sukzessive im Landschaftsbild. Wie kann man konstruktiv damit umgehen? Stehen jetzt Rodungen von Weinbergen bevor, wie es in Frankreich bereits großflächig geschieht und staatlich gefördert wird? Damit beschäftigt sich auch die Landwirtschaftspolitik – ohne jedoch das Wort Rodung explizit zu verwenden. Die rheinland-pfälzische Weinbauministerin Daniela Schmitt hatte im Dezember 2024 führende Vertreter der Branche zum Spitzengespräch ins Ministerium nach Mainz eingeladen und sich über Maßnahmen zur Unterstützung ausgetauscht.
Viele Dinge gelte es nach Berlin und Brüssel zu tragen. „Ein Bundesland alleine wird die Probleme auf dem EU- oder gar Weltmarkt nicht lösen können“, so Schmitt. „Wir alle – damit meine ich die EU, den Bund, die Länder und die Weinbaubranche – müssen die Herausforderungen auf dem Weinmarkt gemeinsam im engen Schulterschluss angehen“, betonte Schmitt. Zugleich verwies sie darauf, dass es trotz der herausfordernden Situation vielen rheinland-pfälzischen Weingütern auch dieser Tage gelinge, sich erfolgreich auf dem Markt zu positionieren. Die Lage sei sehr unterschiedlich.
Dass die Lage nicht überall gleichermaßen dramatisch ist, sieht auch Jakob Scholler, der sein Geschäft etwas umbauen wird und damit zu überleben versucht. Weg vom Fasswein, hin zu mehr Flaschenwein. Deutlicher ist er in der Analyse, was neben einer Ertragsreduktion im Weinberg selbst passieren müsse. Er plädiert für kontrollierte Rodungen – und zwar schnell. Ehe weitere Weinberge verwildern. Man schieße sich ja nur selbst ins Bein, wenn das nicht geschehe. Blühwiesen seien besser als verwilderte Weinberge. Flächen geordnet an die Natur zurückzugeben, hält er für den richtigen Weg.
Scholler steht in einem seiner Weinberge und mahnt zur Eile. Man dürfe es in der Branche nicht laut sagen, aber die Weinbauverbände in Deutschland ignorierten die wirtschaftliche Katastrophe, in die Winzerbetriebe aus allen 13 Anbaugebieten zu schlittern drohten. „Uns wird vorgeworfen, den deutschen Wein schlecht zu reden und eine Krisenstimmung zu verbreiten“, sagt Kollege Schaurer. Noch vor der diesjährigen Weinlese müsse ein „Umschwung“ erfolgen. Ob das geschieht, wird man schon bald wissen. In sechs Wochen beginnt die Ernte im Kastanienbusch.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-metropolregion-warum-immer-mehr-weinberge-in-der-pfalz-verwahrlosen-_arid,2320089.html