Mannheim. Es ist ein frustrierender Abend für Chan Marshall: In den sozialen Medien reagiert die als Cat Power weltweit gefeierte Songwriterin wütend auf die Nachrichten aus ihrer Heimat USA („You FuKKKers!“, „failed country“), wo der Oberste Gerichtshof das Recht auf Abtreibung abgeschafft hat Und dann steht die 50-Jährige beim Zeltfestival Rhein-Neckar in Mannheim bei einem ihrer raren Deutschland-Konzerte (sonst: Hamburg, Berlin) vor einem Publikum, das 15 Jahre nach ihrem letzten Auftritt in der Region extrem überschaubar ist. Gelinde gesagt. Der Veranstalter bot seinen Facebook-Followern zuletzt sogar freien Eintritt. Ein Trauerspiel.
Das Wetter ist alles andere als einladend
Übrigens auch für die Konzertregion rund um die Quadratestadt an sich. Zugeben: Das Wetter ist alles andere als einladend. Während das gut gewählte Vorprogramm mit der in Karlsruhe geborenen Licia und der hochgehandelten Frankfurterin Mogli läuft, zieht ein kräftiges Unwetter über den Rhein-Neckar-Raum. Und parallel zu Cat Power trotzen beim Download Festival auf dem Hockenheimring rund 70 000 für Metal-Stars wie Metallica oder Five Finger Death Punch der Witterung (und ja, da gibt es tatsächlich eine Schnittmenge von eingefleischten Festivalgängern, die auch die feingedrechselte Melancholie einer Indie-Folk-Ikone zu schätzen wissen). Trotzdem: Dass zu einer Cat Power geschätzte 200 Leute kommen, ist auch in Pandemie-Zeiten ein Armutszeugnis. Und senkt die Wahrscheinlichkeit, dass ähnlich hochkarätige, exklusive Acts ohne Ausverkauft-Garantie hier auftreten.
Natürlich ist die Intensität etwa von Cat Powers Gesang nicht Jedermanns Sache. Aber ihre Musik ist auch kein ewiger Geheimtipp. Ihre Spitzentitel wurden auf Spotify 60 bis 80 Millionen Mal gehört. Sie tourt mit Jack White, arbeitet mit Größen wie Dave Grohl, Eddie Vedder oder Lana Del Rey, der Cat Power gesanglich ähnelt wie eine in Country, Folk und Blues geerdete Schwester.
Besonders faszinierend ist ihr Umgang mit den Songs anderer Künstler, die man auch auf ihrem großartigen aktuellen Album „Covers“ nur noch am Text erkennen kann, wenn die begnadet intuitive Arrangeurin Hand angelegt hat. In Mannheim unterstreicht Cat Power das schon beim zweiten Lied, ihrer unglaublichen Version eines der größten Gassenhauer der Rockgeschichte: „(I Can’t Get No) Satisfaction“ als getragene, feingliedrige Ballade, bei der sie jetzt anders als bei ihrer 22 Jahre alten Version den Refrain nicht komplett weglässt. Ähnlich verblüffend: „New York“, das sie meilenweit entfernt aufstellt vom Evergreen, den Liza Minnelli und Frank Sinatra populär gemacht haben. „A Pair Of Brown Eyes“ von den Pogues oder Frank Oceans „Bad Religion“ sind neue Beispiele für ihre Kunst der Uminterpretation, die sie spürbar gleichberechtigt sieht mit dem Schreiben eigener Songs. Wie bei anderen Konzerten der Tour lässt Cat Power artverwandte Nummern ineinanderfließen, hält sich insgesamt im Palastzelt aber kürzer.
Nach 70 intensiven Minuten ist es dann gut
Die Begleitumstände lassen das Konzert noch melancholischer wirken, das durch den corona-bedingten Ausfall von Keyboarder Erik Paparazzi etwas monochromer klingt als gewohnt. Wobei das restliche Trio um Drummerin Alianna Kalaba seine Sache exzellent macht. Die Hauptdarstellerin ist in sehr guter Form, Cat Power unterstreicht aber durch die Songauswahl eine gewisse Einförmigkeit, gegen die auch variable Gitarrensounds wenig ausrichten. Nach 70 intensiven Minuten ist es dann gut. Oder auch nicht.
Am 26. Juni endet das Zeltfestival mit einem Konzert der Familienrapper Deine Freunde ab 16 Uhr. Karten an der Tageskasse gibt es ab 14.30 Uhr (40 Euro, für Drei- bis Zwölfjährige 35 Euro).
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