Herr Kölbel, das Thema Geothermie treibt viele Menschen in der Region um, vor allem Fragen der Sicherheit. Deshalb direkt gefragt: Kann Geothermie Erdbeben auslösen?
Thomas Kölbel: Dass sie das kann, hat sich beim petrothermalen Projekt in in Vendenheim im Elsass gezeigt. Grundsätzlich kann jeder Eingriff in den tieferen Untergrund ein Beben auslösen. Das beschränkt sich übrigens nicht auf Geothermie. Das gibt es auch im Bergbau, bei großen Stauseen, im Grunde bei allen Tiefbauarbeiten. Aber als Techniker sage ich: Das Risiko lässt sich beherrschen. Das haben wir in Bruchsal – eine hydrothermale Anlage und Blaupause für die GeoHardt – gezeigt. Dort läuft unsere Geothermieanlage seit zwölf Jahren, ohne ein einziges Erdbeben ausgelöst zu haben. Man muss technisch so vorgehen, dass man die Gefahr spürbarer Erdbeben ausschließt. Das geht!
Also kann Geothermie Erdbeben auslösen, die aber nicht spürbar sind?
Kölbel: Ein Lkw, der an Ihnen vorbeifährt, löst ja auch eine Seismizität aus. Das macht Ihnen aber nichts aus, weil Sie es kaum spüren. Es wäre der falsche Ansatz, deshalb alle Lkw nur noch fünf Stundenkilometer fahren zu lassen. Ich als Techniker kann viel genauer messen, als sie oder ich fühlen können, und deshalb eingreifen, bevor Sie etwas spüren.
Es kommt also auf das genaue Monitoring an, auf die genaue Überwachung der Umgebung?
Kölbel: Genau.
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Und wie sieht dies aus?
Kölbel: Wir haben in Bruchsal in vier Bohrungen à 100 Meter Tiefe – also unterhalb der im Oberrheingraben praktisch allgegenwärtigen lockeren Kiesschichten – Erdmikrofone eingebaut. Ich docke mich mit meinem Stethoskop also direkt ans feste Gestein an. Parallel dazu haben wir fünf Oberflächenstationen aufgebaut, die kontrollieren, was oben noch ankommt. Das Monitoring betreiben wir übrigens nicht selber. Wir sammeln die Daten zwar technisch ein, geben sie aber direkt und vollständig zur Überprüfung ans KIT (Karlsruher Institut für Technologie) weiter. Das ist eine Frage der Transparenz. Man möchte sich nicht selber monitoren. Das ergibt in meinen Augen keinen Sinn. Wir haben in Bruchsal unglaublich viele seismische Ereignisse aufgenommen. 99,9 Prozent davon kommen von der A 5 nebenan. Die restlichen 0,1 Prozent sind andere Dinge wie etwa Sprengungen im zehn Kilometer entfernten Steinbruch. Die Geothermieanlage hat keinerlei Seismizität ausgelöst. Weder spürbar noch messbar.
Warum?
Kölbel: Das hängt nicht mit dem Monitoring zusammen, sondern damit, wie man die Anlage betreibt. Die Geothermie findet in einem dreidimensionalen Spannungsfeld statt. Wenn ich irgendwo Wasser ziehen und wieder einbringen möchte, dann sollte dies von der Raumlage geologischer Störungen her so geschehen, dass keine Seismizität entstehen kann. Das geht, das kann man vorher bestimmen. Deswegen machen wir die 3D-Seismik.
Mit der 3D-Seismik erkunden Sie also nicht nur Gebiete, in denen Sie optimal an das Tiefenthermalwasser kommen, sondern wo auch keine „Begleiterscheinungen“ wie etwa Erdbeben zu erwarten sind?
Kölbel: Ja, das kann man so sagen. Das erste Ziel einer 3D-Seismik ist, sich ein dreidimensionales Verständnis vom Untergrund zu verschaffen. Und aus diesem leite ich bestimmte Dinge ab: Wo gibt es zum Beispiel Stellen mit Chancen auf mehr Wasser. Parallel schaue ich mir dazu das Spannungsfeld an. Dafür werden externe Gutachten beauftragt. Die Fachleute, die das rechnen und geomechanisch modellieren, sagen mir später, welche Stelle im Untergrund wir besser in Ruhe lassen und welche wir bearbeiten können. Diese Dinge klärt man, bevor man bohrt.
Jede geothermische Anlage besteht aus einer Injektionsbohrung, in die von der Erdoberfläche Wasser eingegeben wird, und einer Produktionsbohrung, die heißes Wasser aus der Tiefe befördert. Was kann Erdbeben auslösen? Zuviel Druck auf die Injektionsbohrung?
Kölbel: Physikalisch korrekt ausgedrückt ist es die Druckdifferenz zwischen Injektion und Produktion. Mein maßgebliches Steuerelement ist tatsächlich der Injektionsdruck. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In Bruchsal haben wir einen Injektionsdruck von drei bar zusätzlich zu dem, was die Wassersäule bringt. In Vendenheim waren es 130 bar. Wenn ich über eine lange Zeit viel Druck aufbaue, speichere ich Energie ein, die sich irgendwann löst.
Es geht also vor allem darum, ein Gleichgewicht zu halten zwischen Injektion und Produktion?
Kölbel: Genau. Und das lässt sich vorher alles genau berechnen. Natürlich bekomme ich bei jeder Bohrung 100 Liter Thermalwasser pro Sekunde heraus, aber nur mit einem entsprechenden Druck. Aber man muss vorab klären, welche Grenzen man sich setzt. Wir wollen keine Seismizität haben, nicht als Person und nicht als Unternehmen. Und deswegen sind wir an dieser Stelle sehr, sehr vorsichtig.
Hat die Geothermie deshalb teilweise so einen schlechten Ruf, weil Unternehmen mit dem Kopf durch die Wand wollten? Oder weil sie die Gefahren nicht kannten?
Kölbel: Ich will Ihnen das am Beispiel von Vendenheim erklären. Man hat beim Druck am Brunnenkopf einen Grenzwert, den man nicht überschreiten darf. Das waren dort 50 bar. Gefahren wurden jedoch 130 bar. Man muss im französischen Bergrecht nachweisen, dass die beiden Bohrungen, die man hat, miteinander kommunizieren. Denn dann stellt sich ein Gleichgewicht ein. Zum Nachweis hat man Farbstoff in die Injektion gegeben. Der muss dann irgendwann bei der Produktion rauskommen, wenn die beiden Bohrungen kommunizieren. Das tat’s in Vendenheim aber nicht. Dann hat man den Druck immer weiter erhöht – und irgendwann das Ergebnis in Form von mehreren leichten Erdbeben bekommen.
Den Ruf der Geothermie hat man auch in Landau ein Stück weit verspielt. Was war dort das Problem?
Kölbel: Auch dort gab es das Problem des Injektionsdrucks. Man ist mit 70 Liter pro Sekunde in die Bohrung gegangen und hat den entsprechenden Druck aufgebaut. Dann hat es dort eine sehr geringe Seismizität gegeben. Das war hörbar und messbar, aber nicht fühlbar. Man hörte einen kurzen, trockenen Knall – wie ein Schlag mit einem nassen Handtuch. Dann hat die Behörde die Auflage gegeben, weniger Druck zu geben. Man ist mit der Förderrate heruntergegangen. Seit der Zeit läuft die Anlage problemlos.
Kritiker weisen auf eine weitere Gefahr hin, wenn die Bohrung nicht sauber gearbeitet und undicht ist. Dann könnte Thermalwasser austreten, Grundwasser verunreinigen und mit Schichten im Boden reagieren. Was ist dran?
Kölbel: Verunreinigungen des Grundwassers habe ich noch bei keiner Geothermie-Anlage der Welt mit gut zementierten Brunnen gesehen. Auf den ersten 100 Metern, wo sich die Grundwasser-Reservoirs befinden, lassen sich Bohrungen gut zementieren. Das ist übrigens auch tägliches Geschäft im Brunnenbau. Aber es stimmt schon, dass Wasser aus der Leckage von unzureichend zementierten Bohrungen ausgetreten ist. Dass Bohrungen früher über weite Strecken nicht zementiert wurden, war Stand der Technik. Heute müssen wir eine Bohrung vollständig und blasenfrei durchzementieren. Und wir müssen es nachweisen. Da ist die Behörde sehr streng.
Also gibt es keine undichten Bohrungen mehr?
Kölbel: Wir haben 7000 Tiefbohrungen in Deutschland – und praktisch alle sind dicht. Das ist Standard.
7000 Tiefbohrungen? Aber nicht nur Geothermie?
Kölbel: Nein, das sind vor allem Gas- und Ölbohrungen. Aber dort ist es genau das gleiche. Es will auch niemand Gas oder Öl in seinem Trinkwasser haben.
Können bestimmte Gesteinsarten Erdbeben begünstigen?
Kölbel: Bei Gestein wie etwa Granit, das gerne brechen möchte, kann ich eher ein Beben auslösen als in Ton, der sich eher wie Knete verformt. Solche Gesteinseigenschaften müssen Sie geomechanisch berücksichtigen. Ein anderes Thema ist das Aufquellen von Formationen im Untergrund, wie es etwa in Stauffen vorgekommen ist. In der Metropolregion Rhein-Neckar nördlich von Speyer gibt es diese Gesteinsschichten – Gipskeuper – gar nicht.
Wenn es tatsächlich zu einem Beben kommt, muss ja aus Haftungsgründen nachgewiesen werden, woher es gekommen ist?
Kölbel: Das ist mit den Monitoringsystem nicht besonder schwer. Man muss in Echtzeit und 3D verorten, wo der Herd eines Bebens liegt. Da ist der Betreiber chancenlos. Wenn seine Anlage bebt, dann wird man ihm das schnell belegen können. Die Messgeräte sind so fein, dass wir sogar das Beben in der Türkei in Bruchsal gemessen haben.
Also sind die Risiken der Geothermie sehr überschaubar?
Kölbel: Das hat schon das Bundesumweltamt bestätigt. Dort heißt es wörtlich: „Mögliche Umweltauswirkungen, die dabei befürchtet werden – in der Hauptsache sind dies induzierte Seismizität und mögliche Beeinträchtigungen der zur Trinkwasserversorgung dienenden Grundwasserleiter und Oberflächengewässer –, waren Gegenstand eines Gutachtens. Auch hier zeigt sich, dass bei Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und Nutzung geeigneter Frühwarnsysteme keine unbeherrschbaren Risiken für die Umwelt bestehen.“
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