Das Wichtigste in Kürze
- Polizeieinsätze, bei denen die Beamten flüchtende Fahrzeuge mit hoher Geschwindigkeit verfolgen verfolgen, sind in Deutschland keine Seltenheit
- Verfolgungsfahrten entstehen häufig, wenn sich Fahrzeuglenker einer Polizeikontrolle entziehen wollen
- Für alle Beteiligten, aber auch für Unbeteiligte birgt eine Verfolgungsfahrt in der Regel große Gefahren. Ist die Gefahr zu groß, bricht die Polizei die Fahrt ab
Mannheim. Obwohl die Beamten Vollgas geben, sehen sie von dem flüchtenden Fahrzeug lediglich die Rücklichter. Mit hoher Geschwindigkeit rast der Fahrer über die Landstraße, und wird auch dann nicht langsamer, als er eine geschlossene Ortschaft erreicht. Ohne auf andere Verkehrsteilnehmer, Fußgänger oder rote Ampeln zu achten, setzt er seine Fahrt fort – mit dem Ziel, das ihm folgende Polizeiauto abzuhängen und möglichst unerkannt zu entkommen.
Was wie eine Szene aus einem Actionfilm anmutet, ist kein Einzelfall auf deutschen Straßen. Dass sich Autofahrer der Polizei durch Flucht entziehen wollen, erleben Polizistinnen und Polizisten regelmäßig. Ob und wie sie einer flüchtenden Person nachsetzen, müssen die Beamten je nach Fall entscheiden. Denn nicht immer macht es Sinn, mit viel Tempo sowie Blaulicht und Sirene dem Fluchtfahrzeug zu folgen. Fragen und Antworten zum Thema Verfolgungsfahrten der Polizei.
Auf welcher juristischen Grundlage darf die Polizei ein flüchtendes Fahrzeug verfolgen?
„Die Rechtsgrundlage für Verfolgungsfahrten ergibt sich aus der Strafverfolgungspflicht nach der Strafprozessordnung“, teilt Ralf Kusterer, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft Baden-Württemberg, mit. In Paragraph 163 der Strafprozessordnung heißt es: „Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes haben Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunklung der Sache zu verhüten.“
Wann nimmt die Polizei die Verfolgung eines flüchtenden Fahrzeugs auf?
„Seit einigen Jahren ist geregelt, dass die Entscheidung über eine Verfolgungsfahrt beim Polizeiführer vom Dienst (PvD) liegt“, so Ralf Kusterer. Der PvD leitet und koordiniert die Einsätze in einem Dienstbezirk. In der Regel liege ein Sachverhalt zugrunde, bei dem der Täter sich der Festnahme oder Identitätsfeststellung entziehen möchte und sonst die Tat nicht aufgeklärt werden könne.
Das Landesinnenministerium Baden-Württemberg nennt auf Anfrage dieser Redaktion drei wesentliche Gründe, aus denen heraus Verfolgungsfahrten entstehen:
- Aufgrund einer vorgesehenen Kontrolle bittet eine Polizeistreife mit Leuchtschrift, Lautsprecherdurchsage oder Blaulicht einen Fahrzeuglenker oder eine -lenkerin, anzuhalten. Dem kommt die Person am Steuer nicht nach und flüchtet
- Im Rahmen einer eingerichteten Kontrollstelle soll ein Fahrzeug angehalten werden. Ein Fahrzeuglenker oder eine -lenkerin ignoriert die Halteaufforderung und gibt Gas
- Bereits beim Erkennen einer Polizeistreife und somit ohne Anhalteaufforderung flüchtet eine Person mit ihrem Fahrzeug
Was sind die häufigsten Motive, vor der Polizei zu flüchten?
Das Landesinnenministerium gibt an, dass es sehr viele Gründe dafür gibt, einige jedoch vermehrt vorkommen. Dazu zählen:
- Der Konsum von Drogen und/oder Alkohol
- Das Fahren ohne Fahrerlaubnis
- Zur Verhinderung einer Festnahme nach einer Straftat
- Die Polizei könnte bei einer Kontrolle unzulässige technische Veränderungen am Fahrzeug feststellen
Was ist der Polizei bei der Verfolgung erlaubt?
Der Polizei stünden in so einem Fall Sonder- und Wegerechte nach der Straßenverkehrsordnung (StVO)zur Verfügung, schreibt Kusterer. In Paragraph 35 ist geregelt, dass neben Feuerwehr und Katastrophenschutz auch die Bundespolizei und die Landespolizei von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung befreit sind. In der Praxis heißt das, dass die Polizei bei der Verfolgung eines Fahrzeugs das angegebene Tempolimit überschreiten oder die Gegenfahrbahn befahren darf. Auch das Fahren über eine rote Ampel ist dann erlaubt. „Dabei ist grundsätzlich die Sorgfalts- und die Unfallverhütungspflicht zu beachten“, so Kusterer.
Wann bricht die Polizei eine Verfolgungsfahrt ab?
„Verfolgungsfahrten sind regelmäßig mit erheblichen Gefahren für die körperliche Unversehrtheit und das Leben der eingesetzten Kräfte, von unbeteiligten Dritten sowie der flüchtenden Person verbunden. Der Abbruch ist daher immer eine Einzelfallentscheidung unter Abwägung aller Umstände – dazu zählen beispielsweise das zugrunde liegende Delikt, das Verkehrsaufkommen oder die Straßenverhältnisse“, heißt es vom Innenministerium.
Dass die Entscheidung, eine Verfolgungsfahrt abzubrechen, immer vom Einzelfall abhängig ist, teilt auch Ralf Kusterer mit. Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft weist daraufhin, dass dabei die Art des Rechtsverstoßes eine wichtige Rolle spiele. Im Klartext heißt das, dass eine Person, die ein Tötungsdelikt begangen hat oder eine akute Gefahr für Leib und Leben anderer darstellt, im Zweifel eher verfolgt wird als jemand, der wegen eines abgefahrenen Außenspiegels flüchtig ist. Grundsätzlich müsse man sich beim Abbrechen einer Verfolgungsfahrt auch die Frage stellen, ob das polizeiliche Ziel oder die Strafverfolgung auf anderem Wege erreicht werden könne, so Kusterer.
Trainiert die Polizei Verfolgungsfahrten?
Ja. Das Landesinnenministerium teilt mit, dass „das Thema Verfolgungsfahrten im Rahmen des Fahrsicherheitstrainings in Fort- und Weiterbildungen geschult“ wird. Wichtiger Bestandteil seien dabei verkehrspsychologische Inhalte sowie fahrpraktische Trainingssequenzen.
Grundsätzlich müssen angehende Polizistinnen und Polizisten ein Fahr- und Sicherheitstraining absolvieren, in dem das verantwortungsvolle Verhalten bei Fahrten, in denen Sonder- und Wegerechte genutzt werden, ausführlich geübt wird.
Wie die Polizei letztendlich versucht, flüchtende Fahrzeuge zu stoppen, soll geheim bleiben. „Das sind polizeitaktische Angelegenheiten, zu denen wir keine Auskunft geben“, so das Landesinnenministerium.
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