Stuttgart. Nach dem tödlichen Messerangriff in Wiesloch sehen die Verantwortlichen keine gravierenden Fehleinschätzungen. Bei der Tat vor einer Woche hatte ein Patient des Psychiatrischen Zentrums Nordbaden (PZN) mutmaßlich eine 30-jährige Frau in einem Geschäft lebensgefährlich verletzt, später starb sie im Krankenhaus. Nach Einschätzung von Sozialminister Manne Lucha (Grüne) war die Tat nicht zu verhindern. Dies sagte er in einer Sondersitzung des Sozialausschusses auf Antrag von FDP und SPD am Freitag in Stuttgart.
Tatverdächtig ist ein 33-jähriger psychisch kranker Somalier, der zuvor auf dem Weg zur Arbeitstherapie entwichen war. Laut dem Medizindirektor des Maßregelvollzugs am PZN, Christian Oberbauer, war der Patient in Stufe 5 von insgesamt 13 Lockerungsstufen eingeteilt und durfte unter Begleitung in die Öffentlichkeit. Die Gruppe - die er schlussendlich verließ - bestand demnach aus sechs Patienten, die von zwei Beschäftigten betreut wurden. Hier sei sogar noch eine größere Zahl an Patienten vorstellbar.
Was Sozialminister Manne Lucha sagt
Lucha betonte, dass der Mann die Lockerungsstufe weit über 100 Mal in Anspruch genommen hatte. Es habe keine Hinweise gegeben, dass diese nicht angemessen war. Wie er den Abgeordneten schilderte, wurde der Somalier auf seinem ganzen Weg in die Innenstadt von einem Pfleger verfolgt, der umgehend die Klinik und die Polizei informiert habe. Unmittelbarer Zwang wurde jedoch durch die Beschäftigten nicht ausgeübt, laut Oberbauer folge dieses Handeln der Strategie der Deeskalation. Der Mitarbeiter habe erwarten können, dass die Polizei bald hinzustoße.
Bis dahin war der Messerangriff mit der den Schilderungen nach am Tatort entwendeten Tatwaffe jedoch bereits passiert. Und das, obwohl laut Polizei zwischen Notruf und Festnahme nur weniger als 15 Minuten lagen. Ein Vertreter der Polizei teilte am Freitag im Ausschuss zudem mit, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Mordes eingeleitet worden sei. Zuständig ist den Angaben nach die Staatsanwaltschaft Heidelberg, die Ermittlungen führt die Polizei in Mannheim.
Die Kritik und Fragen richteten sich jedoch nicht nur auf den Einzelfall. Die SPD-Abgeordnete Dorothea Kliche-Behnke wies in der Sitzung darauf hin, dass die Patienten-Zahlen im Maßregelvollzug in den letzten Jahren um ein Drittel erhöht worden seien. Jedoch sei die Qualität der neuen Plätze nicht gut, auch bleiben ihren Worten nach viele ausgeschriebene Personalstellen unbesetzt.
Die Klinikvertreter nahmen Minister Lucha in diesem Punkt in Schutz. Oberbauer bestätigte zwar einen Zuwachs der Patienten seit 2018, die Zahl der Beschäftigten könne damit jedoch mithalten. Oberbauer ist eher mit Blick auf die Zukunft besorgt, da hier neue Stationen besetzt werden müssten.
Mutmaßlicher Täter lebt seit 2014 in Deutschland
Der Tatverdächtige wurde inzwischen verlegt. Er sei im Klinikum am Weissenhof im Landkreis Heilbronn eingetroffen, hatte am Mittwoch der Ärztliche Direktor der Einrichtung, Matthias Michel, gesagt. Seine Verlegung war schon zuvor von Oberbauer angekündigt worden. Die Mitarbeitenden des PZN seien zu betroffen von dem Geschehen.
Auch Michel war im Sozialausschuss geladen. Er wies darauf hin, dass die Zahl der Entweichungen insgesamt gering sei. "Es ist ein nicht vorhersehbares, extrem seltenes Geschehen", sagte er. Auch aus Weinsberg hieß es, dass die Kliniken im Südwesten beim Personal gut aufgestellt seien.
Laut vorherigen Angaben der Staatsanwaltschaft Heidelberg lebt der Verdächtige schon seit 2014 in Deutschland und fiel bereits durch mehrere Straftaten auf. Seit 2020 war er in der Psychiatrie untergebracht, zunächst vorläufig und seit 2021 im Rahmen eines sogenannten Sicherungsverfahrens angeordnet vom Landgericht Heidelberg. Gegenstand dieses Verfahrens seien sieben seit Juli 2020 begangene Straftaten gewesen: eine sexuelle Belästigung, eine vorsätzliche Körperverletzung, zwei Fälle der Beleidigung sowie drei Fälle des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte, in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, hieß es von der Behörde.
Sieben Zentren für Psychiatrie in Baden-Württemberg
Insgesamt gibt es in Baden-Württemberg sieben Zentren für Psychiatrie (ZfP) mit neun Standorten: Bad Schussenried, Calw, Emmendingen, Reichenau, Weinsberg, Weissenau, Wiesloch, Zwiefalten und Heidelberg. Manche der Kliniken behandeln nur psychisch kranke Täter, manche konzentrieren sich auf Suchtkranke. Ziel ist es, die Menschen so weit zu stabilisieren, dass sie nicht mehr gefährlich sind und eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft möglich ist.
Hierbei sind auch Lockerungen möglich, die Untergebrachten sind nicht zwangsläufig immer in der Einrichtung. Laut Sozialministerium erfolgen diese Lockerungen in einem gestuften Verfahren und in kleinen Schritten. Wie das PZN zudem anfügt, können je nach Einzelfall dann auch unbegleitete Ausgänge oder eine Ausbildung beziehungsweise Arbeit außerhalb der Klinik ermöglicht werden. Gerade in den ersten Monaten eines Aufenthaltes seien die Sicherheitsmaßnahmen für die Patienten aber meist hoch.
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