Ökologisches Einkaufen

Unverpackt-Geschäft aus Mannheim schaut gespannt nach Speyer

Auf den Boom folgen Pleiten: Betreiberinnen ökologischer Lebensmittelgeschäfte versuchen sich deshalb an neuen Geschäftsmodellen, die mehr auf Solidarität setzen. Dabei zahlen Kunden anonym Geld in einen Topf ein. Wie geht das?

Von 
Stephan Alfter
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Visite: Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (2.v.l.) informiert sich im August 2022 im Speyerer Unverpacktladen bei den Macherinnen. © Klaus Venus

Rhein-Neckar. Es war ein veritabler Siegeszug, der im Jahr 2014 in Kiel begann und 2019 sogar in einen klitzekleinen Boom mündete: Vor der Tür das elektrische Lastenfahrrad, auf dem Dach endlich Solarzellen und in der Küche nepalesischer Basmati-Reis aus Omas Einmachglas. Unverpacktläden machten auch im Rhein-Neckar-Raum das Klischee der gut verdienenden Akademiker-Familie mit organischem Hang zu Öko-Themen perfekt. Weniger Plastik um Nudeln, Tee oder Kaffee in Mannheim, Heidelberg, Wiesloch. Weniger Lametta um Linsen, Müsli oder Haferflocken in Speyer, Ladenburg, Landau oder Lorsch.

War selbst lange Kunde und ist seit 2018 Inhaber von „Annas Unverpacktes“ im Heidelberger Stadtteil Neuenheim: Andreas Wille. © Andreas Wille

Dann kam Corona, schließlich der russische Angriffskrieg, und in vielen dieser kleinen, oft von enthusiastischen Inhaberinnen geführten, Lebensmittelboutiquen liefen die Geschäfte nun in etwa so umständlich wie es das sperrige Wort „Unverpackt“ vermuten lassen könnte. Trotz allen Marketings: In der zweiten Hälfte des Jahres 2022 schlossen pro Woche mitunter zwei der rund 300 Unverpacktläden in Deutschland. Vorbei für einige der Traum davon, dass weniger Verpackungsmüll zu einer lebenswerteren Welt führt. In der Heidelberger Bahnstadt erwischte es etwa Sibylle Klessen. Sie machte im Oktober dicht und sagt ohne Bitterkeit in der Nachbetrachtung, dass es einfach nicht genug Kunden in der Bahnstadt gab, die ihr Geschäft genutzt hätten. Zum Scheitern von Unverpackt-Läden in der ganzen Republik sagt sie, dass einige Betreiber wohl auch mit viel Enthusiasmus und an macher Stelle mit zu wenig BWL-Kenntnissen ausgestattet gewesen seien.

Unverpackt „unnötiger Spaß“?

So weit, so schlecht. Nun verbreitet ein neues Geschäftsmodell Hoffnung: Sophie Etzkorn (33) hat sich mit einer Geschäftspartnerin vor vier Jahren auf den Weg gemacht. „Wir wollten etwas verändern“, denkt sie an die Zeit lange vor der Eröffnung in der Speyerer Innenstadt zurück. Müllvermeidung, kurze Wege, fair gehandelte Produkte und dazu ein Ort des Gesprächs - all das wollten sie sein. Während der Corona-Zeit konnten sie ihr Geschäft sogar etwas etablieren. Dann kam der Ukraine-Konflikt - und mit ihm die Inflation, höhere Energiepreise und Mehrkosten bei der Beschaffung von Lebensmitteln. „Mai 2022 war der schlechteste Monat“, erinnert sich Etzkorn. Plötzlich sei der Einkauf im Unverpacktladen in den Köpfen der Kunden zum „unnötigen Spaß“ degradiert worden. Immer klarer kristallisierte sich heraus, dass sich Menschen wie Etzkorn, die sich neben der Müllvermeidung für faire Arbeitsbedingungen im globalen Süden einsetzen, quasi selbst ausbeuten, wie sich am Monatsende auf dem Bankkonto zeigt.

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An eine große Altersvorsorge sei nicht zu denken, sagt die Unternehmerin, die sich zuvor aus einem sicheren Job bei einer Stiftung verabschiedet hatte. Besser soll es mit der neuen Form des „Gemeinschaftsbasierten Wirtschaftens“ werden, den die Speyererinnen nun mit Hilfe der Firma Myzelium eingeschlagen haben. 50 Prozent des Umsatzes des Unverpacktladens kommen nun auf Basis eines Gemeinschaftskonzepts zustande. Myzelium sitzt im Enzkreis und versteht sich als Netzwerk - quasi eine Unternehmensberatung für Ökosysteme.

Statistik zu Verpackungen und Geschäften

  • Anfang 2022 gab es zwar so viele Unverpacktläden wie nie (337), aber die Anzahl der Schließungen nahm im Zuge steigender Preise in Folge des Ukraine-Kriegs rasant zu. 41 schlossen wieder.
  • Etwa ein Viertel der Verbraucher in Deutschland hat laut einer Umfrage aus dem Jahr 2020, die Statista veröffentlicht hat, noch nie in einem Unverpackt-Laden eingekauft. Rund 78 Prozent der Befragten, die noch nie einen Unverpackt-Laden zum Einkaufen aufgesucht haben, begründeten dies damit, dass kein Unverpackt-Laden in ihrer Nähe sei.
  • In Deutschland hat jeder Bewohner im Jahr 2020 im Durchschnitt 226 Kilogramm Verpackungsmüll produziert. Laut Umweltbundesamt fielen insgesamt 18,8 Millionen Tonnen Müll an. Damit liege Deutschland weit über den Durchschnitt in der Europäischen Union.
  • Die meisten Geschäfte, die ihre Ware unverpackt verkaufen, gab es im Jahr 2021 in Berlin (14), Köln (zwölf), und Hamburg (zehn). 

 

Deutschlandweit sind Etzkorn und ihre Partnerin die ersten, die in einem Unverpacktladen nach diesem Konzept arbeiten, und so schaut man auch aus Mannheim oder Heidelberg neugierig in Richtung Domstadt. Beim gemeinschaftsbasierten Wirtschaften geht man ähnlich wie bei der solidarischen Landwirtschaft davon aus, dass eine Community, also ein fester Kundenstamm, ganz ähnliche Ziele verfolgt.

Solidarität beweist sich

In einer solchen Runde ist allen klar, dass man sich in erster Linie fair gegenüber den Händlerinnen verhält. Nur dann kann es das Projekt ja überhaupt geben. Etzkorn erzählt, dass man einen Betrag von 190 Euro pro Monat ermittelt habe, den ein Kreis von 70 Mitgliedern beisteuern muss, um eine festgelegte und jeweils gleiche Menge der Einkäufe eines Monats zu decken. In einer Bieterrunde werden dann anonym tatsächliche Beträge zugesagt. So komme es, dass ein Besserverdiener womöglich 300 Euro bezahle, während eine alleinerziehende Studentin vielleicht nur 140 Euro beisteuere.

„Sind noch in den Kinderschuhen“: Darlene Podhajsky (l.) und Bianca Kollinger in ihrem Grünkern Unverpackt-Laden auf dem Mannheimer Lindenhof. © Grünkern

Seit Januar habe sich herausgestellt, dass das Konzept ihr selbst ein etwas besseres Auskommen ermögliche und die Mitglieder untereinander tatsächlich solidarisch seien. Nicht zu unterschätzen ist nach der Devise von Myzelium, dass alle Mitglieder Verantwortungsträger sind. Sie haben Einfluss auf die Qualität des Projekts und sind gleichermaßen Nutzerin, Problemlöser, Gestalterin und Expertenrat.

„Wir sind noch in den Kinderschuhen“, sagt Darlene Podhajsky vom „Grünkern Unverpackt“ auf dem Mannheimer Lindenhof, den sie gemeinsam mit Bianca Kollinger betreibt. Sie bestätigt die Situation, die es in Speyer auch gab. Man sei mit Blick auf den Umsatz nicht da, wo man hinwolle. Die Hoffnung auf ein Umdenken in der Bevölkerung hat sie noch nicht aufgegeben. Mit Interesse beobachten die beiden jungen Frauen das Speyerer Modell, das womöglich auch für sie in Frage kommt.

Andreas Wille hat im Jahr 2018 „Annas Unverpacktes“ in Heidelberg übernommen. Der 49-Jährige kam als Quereinsteiger und vorheriger Kunde zu dem Geschäft und hat festgestellt, dass die Strukturen labil sind und man sich nach einem Boom vor Corona heute keine Fehler mehr erlauben könne. Gleichwohl kann er mit dem Umsatz leben. 40 bis 80 Kunden kämen pro Tag. Er wirtschaftet bisher ganz konventionell, findet das gemeinschaftsbasierte Wirtschaften aber „total spannend“. Seine „Karriere“ als Bio-Einkäufer habe in Berlin genau so angefangen.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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