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Speyer. Der Rücktritt des Speyerer Generalvikars Andreas Sturm hat eine Welle von Reaktionen ausgelöst. Im Interview spricht er offen über seine Gründe, Zölibatsbrüche und über sein Buch „Ich muss raus aus dieser Kirche“, das im Juni erscheint. Von Stephan Alfter
Herr Sturm, es ist die Frage, die sich alle stellen: Gab es in den vergangenen Tagen den einen ausschlaggebenden Moment, der Sie zum Rücktritt und zum Austritt aus der Römisch-Katholischen Kirche bewegt hat?
Andreas Sturm: Nein, es ist ein Ringen, das wirklich schon lange geht. Ich habe mir bestimmt schon eineinhalb Jahre Gedanken gemacht, ob das hier wirklich noch mein Ort ist. Dann kam die Krankheit des Bischofs, die meine Themen zunächst stark in den Hintergrund gerückt hat. Als er wieder da war, bin ich das nochmal sehr viel massiver angegangen, um wirklich Klarheit zu haben. Im Februar war ich mir sicher.
Sie sagen, dass es ein Prozess war. Können Sie auch sagen, was ihn ausgelöst hat?
Andreas Sturm: Es ist eine Vielzahl von Themen, die zusammengekommen sind. Missbrauch war ein großes Thema. Die Vorstellung der Forschungsergebnisse der MHG-Studie im September 2018 hat mein Weltbild ziemlich zerrüttet. Ich bin immer davon ausgegangen, dass es Missbrauch in der Kirche gibt, aber dass es im Vergleich zur Gesamtgesellschaft prozentual so hohe Fallzahlen sind, und zu erleben, wie schwer sich Kirche mit dem Umgang tut, war ein starkes Kriterium. Die Rolle der Frau ist aber ein Thema, das mich mindestens genauso beschäftigt. Ich erlebe das immer mehr als diskriminierend. Ich finde, wir versuchen das immer schönzureden. Jesus hat nicht nur Männer berufen. Wir negieren Berufungen von Frauen. Theologisch gibt es so viele Forschungen zu diesem Bereich. Stattdessen machen wir Pfarreien immer größer, nur weil wir meinen, es können nur unverheiratete Männer sein. Damit sind wir beim dritten Thema - der Zölibatsfrage: Können nicht auch verheiratete Männer und Männer, die mit einem Mann zusammenleben, zugelassen werden?
Ich kann mir gut vorstellen, auch in Beziehungen zu leben.
Ist das für Sie persönlich auch ein Grund für Ihren Austritt? Weil Sie selbst die Möglichkeit haben wollen, zu heiraten oder eine andere Form von Beziehung zu leben?
Andreas Sturm: Also im Buch schreibe ich, dass es in meinem Leben schon Beziehungen gab und dass ich auch mein Zölibat verletzt habe. Ich habe aber vor allem auch Menschen verletzt, was mir rückblickend sehr leid tut. Aber das ist jetzt nicht der Grund. Dennoch: Ja, ich kann mir gut vorstellen, auch in Beziehungen zu leben. Das würde ich für mich als etwas sehr Erfüllendes ansehen. Aber das ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschlaggebend.
Sie sprechen ein Buch an. Was ist das für ein Buch?
Andreas Sturm: Es heißt: „Ich muss raus aus dieser Kirche. Weil ich Mensch bleiben will - Ein Generalvikar spricht Klartext“. Es erscheint Mitte Juni im Verlag Herder. Es ist entstanden, weil ich im Findungsprozess begonnen habe, mir die Punkte aufzuschreiben, die mir in der Kirche wichtig sind und worunter ich leide. Beim Schreiben habe ich gemerkt, dass es den Umfang eines Buches annimmt. Ich hielt mich nie für einen großen Schreiberling, aber ich habe dann das Gespräch mit dem Verlag gesucht.
Ich möchte nochmal ins Jahr 2018 schauen? Als ihr Vorgänger Franz Jung als Bischof nach Würzburg ging, waren Sie sich da im Klaren, welchen Job Sie da übernehmen?
Andreas Sturm: Nein, eigentlich noch nicht. Natürlich wusste ich ungefähr, was auf mich zukommt. Später habe ich oft erzählt: Wenn bei mir das Telefon geklingelt hat, dann gab es immer ein Problem. Immer gab es irgendwo Ärger und wir mussten wie die Feuerwehr ausrücken.
Hat Sie das zermürbt?
Andreas Sturm: Ich habe das schon als belastend erlebt, aber ich muss auch sagen, dass ich ein tolles Team hatte. Ich bin nie mit Groll zur Arbeit gefahren. Es sind eher die Gesamtzusammenhänge, an denen ich nichts ändern konnte.
War Bischof Wiesemann in ihre Gedankengänge eingeweiht?
Andreas Sturm: Ich habe ihn schon vor etlichen Wochen eingeweiht. Alles andere hätte ich als schäbig empfunden. Er hat natürlich auch versucht, mich hier zu halten.
Die Altkatholiken, zu denen Sie sich nun zählen, hat man nicht so richtig auf dem Schirm. Sie hätten auch Protestant werden können.
Andreas Sturm: Ich schätze die Protestanten sehr, aber mir fehlt dort schon die liturgische Gestaltung. Ich brauche gar nicht viel Weihrauch, aber hin und wieder habe ich das schon ganz gerne. Da bin ich sehr katholisch. Ich habe die Altkatholiken auch lange nicht gekannt - bis zu meiner Zeit als Kaplan in Landau in der Südpfalz.
Unfehlbarkeitsdogma
Nachdem wir am Samstag über den Rücktritt von Andreas Sturm berichtet haben, gab es Anrufe von Lesern, die darauf hingewiesen haben, dass das Unfehlbarkeitsdogma sich ausschließlich auf Fragen der theologischen Lehre bezieht. Das sei an dieser Stelle nochmal hervorgehoben. Das Dogmal bedeutet nicht, dass der Papst als Mensch keine Fehler macht.
Die Unfehlbarkeit des Papstes ist eine Eigenschaft, die ihm – nach der Lehre des Ersten Vatikanischen Konzils (1870) – zukommt, wenn er eine Glaubens- oder Sittenfrage als endgültig entschieden verkündet.
Dort hört man nicht so auf das, was aus Rom kommt.
Andreas Sturm: Die Päpste sind in der Vergangenheit zugegebenermaßen sehr zurückhaltend mit dem Unfehlbarkeitsdogma umgegangen, aber das Erleben im Raum der Römisch-Katholischen Kirche ist schon so, dass wenn Rom etwas sagt, immer ein bisschen etwas Unfehlbares mitschwingt. Als ich mich gegen das Segnungsverbot für Homosexuelle gestellt habe, gab es viele Briefe und Mails von aufrichtigen Katholiken, die diesen Zungenschlag hatten. Von wegen: Rom hat das entschieden und sie tun so, als wüssten Sie es besser als der Papst - der ja unfehlbar ist. Die Altkatholische Kirche kennt dagegen verheiratete Priester, sie hat vor 25 Jahren die ersten Frauen geweiht und segnet queere Menschen. Dort gilt ganz Deutschland als eine einzige Diözese und ich kann heute noch nicht sagen, wo genau ich am Ende eingesetzt werde.
Sie haben keine Angst?
Andreas Sturm: Nein, ich erlebe es für mich als sehr befreiend, den Schritt gemacht zu haben.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Der Rücktritt des Generalvikars ist ein dramatischer Verlust