Klimawandel - Öko-Herausforderung statt Romantik-Mythen / Unterwegs mit dem Chef-Förster der Stiftung Schönau

Rundgang mit dem Chef-Förster durch den Käfertaler Wald

Von 
Waltraud Kirsch-Mayer
Lesedauer: 
Symbolbild © Lino Mirgeler/dpa

Rhein-Neckar. Der deutsche Wald ist Mythos: Dass er „schaudert vor Lust“, wissen wir von dem Poeten Joseph von Eichendorff. Und mit dem Matthias-Claudius-Gedicht hat sich eingeprägt, dass der Wald „schwarz steht und schweiget“, sobald der Mond aufgegangen ist. Ob finsterer Tann im Märchen oder lichter Laubhain in der Literatur Wurzeln geschlagen hat, stets erweisen sich damit sprießende Gefühle baumstark – was freilich dem Wald beim Überleben wenig hilft. Frank Philipp, Abteilungsleiter Forst bei der Stiftung Schönau, schildert während eines Spaziergangs im Käfertaler Wald an Mannheims östlichen Stadtrand aktuelle Herausforderungen.

„Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn“: Dieser berühmte Anfang eines Goethe-Klassikers hat mit der Arbeit eines heutigen Försters so viel oder wenig zu tun wie die Nadel-Kiefer mit dem Mund-Kiefer. Der Blick von Frank Philipp schweift prüfend durchs Unterholz bis hoch zu den Wipfeln. „Der Förster liebt keineswegs alles, was grünt“, klärt er auf und deutet auf die Spätblühende Traubenkirsche. Nicht nur Könige und Grafen haben das Steinobstgewächs für Ziergärten geschätzt. Noch bis in die 1970er Jahre ist die anpassungsfähige „Prunus serotina“ zum schnellen Aufforsten eingesetzt worden. Heute gilt sie als so etwas wie Riesenunkraut, das heimische Baumarten verdrängt. Philipp spricht von einem sich invasiv verbreitenden Neophyt und meint damit eine jener neuen Pflanzen, die nach der Amerika- Entdeckung Europa eroberten. Die Verbreitung der Traubenkirsche sei nur zu stoppen, „wenn alle Pflanzenteile einschließlich Wurzel entfernt werden“.

Stiftung Schönau

Die Stiftung Schönau (Sitz: Heidelberg, 80 Beschäftigte) ist ein Unternehmen der Evangelischen Landeskirche Baden. Ihr Vermögen stammt von dem bei der Reformation aufgelösten Odenwald-Kloster Schönau.

Erträge aus Wohnungsvermietung, Erbbau- und Pachtverträgen und Forstwirtschaft finanzieren den Bauunterhalt von Kirchen, außerdem Pfarrstellen.

In dem mit 7600 Hektar größten baden-württembergischen Wald in Besitz einer Körperschaft sind 2020 die Forsterlöse um 0,2 Millionen auf 2,2 Millionen Euro zurückgegangen. Grund: Überangebot an wegen Trockenheit und Borkenkäferbefall vorzeitig geschlagenem Holz. Für klimabedingte Investitionen hat die Stiftung eine zweckgebundene Wald-Rücklage beschlossen. wam

Ungeliebte Traubenkirsche

Allerdings fürchten Naturschützer flächige Rodungen mit schwerem Gerät, das dem Waldboden schadet. Inzwischen hat die Stiftung mit beteiligten Interessengruppen und Behörden Gespräche über das Zurückdrängen der Traubenkirsche geführt. Philipp: „Das Ergebnis ist ein Kompromiss, was den Umfang und den zeitlichen Korridor betrifft.“

Die importierte Baumart ist Lehrstück dafür, dass sich die Natur nicht vorhersehbar verhält: Während die Späte Traubenkirsche in ihrer nordamerikanischen Heimat hohe wie dicke Stämme entwickelt, die als gemasertes Möbelholz begehrt sind, präsentiert sich die Schnellwüchsige hier eher strauchartig und nur selten stattlich gen Himmel strebend. Philipp: „Wenn überhaupt, kann sie bei uns als Brennholz genutzt werden.“

„Die Wälder schweigen. Doch sie sind nicht stumm“ , heißt es in einem Gedicht von Erich Kästner. Ihre Beredtheit kennt Frank Philipp. Schließlich sagen mickriges Nadelkleid, vorzeitig abgeworfene Blätter und dürre Kronen viel über Trockenheit aus. Der Wald erzählt auf seine Weise von veränderter Witterung und dadurch begünstigte Schädlinge. „Als ich Forstwirtschaft studierte, war Klimawandel noch kein großes Thema“, blickt Philipp in die 1990er zurück. Bezeichnenderweise sollte es bis 2004 dauern, ehe der Begriff im Rechtschreib-Duden auftauchte.

Besungen, bedichtet – und oft verklärt: Der Wald ist für Barden und Poeten ein Sehnsuchtsort. © Pflege Schönau

Im Sprachgebrauch sind Wald und Forst zusammengewachsen. Fragen nach der Nutzung drängen sich für beide auf: Welche Rolle ist eigentlich dem Rohstoff Holz in einem Ökosystem zugedacht, das Wasser speichern, Luft filtern und Kohlendioxid aufsaugen soll? Und wie kann und darf ein Lebensraum von Tieren und Pflanzen für erholungsuchende Menschen, einschließlich Jogger, Mountainbiker und Grillhüttengruppen, geöffnet und erhalten werden? Der Wald erfüllt viele Funktionen, die je nach Betrachtungsweise unterschiedlich bewertet werden.

Sie alle im Blick behalten und in Balance bringen – darin sieht der Stiftungs-Forstabteilungsleiter „eine große Herausforderung“. Baum-Ernte ohne Waldausbeutung hält er für machbar und keineswegs klimaschädlich. Schließlich speichert Holz aufgenommenes CO2 auch dann noch, wenn es zu Möbeln oder Häusern verarbeitet wird. Und deshalb hat die Stiftung Schönau mit vier Architekturbüros ein Projekt gestartet, mit dem in Brühl Mehrfamilienhäuser in Holzbauweise entstehen. Vorteil: Die verwendeten Stämme werden im eigenen Forst geschlagen – und nicht etwa illegal in Karpatenwäldern.

Nachhaltige Bewirtschaftung

Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung mit stabiler Holzproduktion setzt „klimatolerante Baumarten“ voraus, betont Philipp. Und deshalb sollen die im Rheintal besonders häufig geschädigten Kiefern nach und nach ersetzt werden. Die Stiftung will etwa auf ihrer 110 Hektar umfassenden Teilfläche des Käfertaler Waldes artenreichen Laub-Mischwald ansiedeln. „Wir machen aber auch an verschiedenen Standorten Versuchsanpflanzungen – mit Baum-Hasel und Zedern“, erläutert der Förster. Wie sich solche Exoten bewähren, können freilich erst spätere Generationen beurteilen.

Das Phänomen, vor lauter Bäumen den Wald nicht wahrzunehmen, ist sprichwörtlich. Gleichwohl sehen Förster bewusst nach den Bäumen – weil deren Anpassungsfähigkeit angesichts des Wetterwandels über Wohl und Wehe des Waldes entscheidet. Und bis heute gilt, was Hermann Hesse so wunderbar formuliert hat: „Bäume predigen das Urgesetz des Lebens.“

Freie Autorin

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen