Frankenthal/Haßloch. Bruder und Schwester sitzen einander im Saal des Frankenthaler Landgerichts schräg gegenüber. Es gibt keinerlei Blickkontakt. Der 68-Jährige als Angeklagter, die 71-Jährige als Nebenklägerin. Was vor der 1. Großen Strafkammer ausgeleuchtet werden soll, geht über einen Familienkonflikt verwoben mit Erbstreitigkeiten weit hinaus. Die Staatsanwaltschaft legt dem fast gebrechlich wirkenden Rentner versuchten Mord, gefährliche Körperverletzung, außerdem versuchten Prozessbetrug und Urkundenfälschung zu Last.
Eigentlich soll der Prozess um jenen Angriff mit Elektroschocker und Seil, der im Frühjahr für mediales Aufsehen sorgte, um neun Uhr starten. Allerdings bremst kilometerlanger Stau auf der Autobahn als Folge eines schweren Unfalls einen der hauptamtlichen Richter aus. Und so verliest Staatsanwalt Stephan Hertwich seine Anklage mit fast drei Stunden Verspätung.
Angeklagter attackiert Schwester mit Elektroschocker und Seil
Im Mittelpunkt stehen die Ereignisse am 6. März 2025 in Haßloch: Nach den Ausführungen des Strafverfolgers soll der eigentlich in Naumburg lebende Endsechziger unvermutet bei seiner Schwester im Garten aufgetaucht sein, um diese erst mit einem Elektroschocker zu attackieren und ihr danach ein Seil um den Hals zu legen. Der Ankläger geht davon aus, dass die auf den Boden gedrückte Frau die massive Strangulation nur überlebt hat, weil es ihr gelang, Finger zwischen das Seil und ihren Hals zu bringen. Außerdem konnte die von Anwohnern verständigte Polizei gerade noch rechtzeitig eingreifen: Die 71-Jährige war bereits blau im Gesicht angelaufen war und hatte zweimal das Bewusstsein verloren.
Die Anklage geht auch auf jene wohl auslösende Vorgeschichte ein, die schon das Landgericht Halle (Saale) beschäftigt hat. Hintergrund des eskalierten Familienzwistes: Die Schwester wirft dem Bruder vor, nach dem Tod der Mutter unberechtigt größere Summen von deren Konto abgehoben zu haben. Sie fordert das Geld zurück. In dem aktuellen Prozess geht es allerdings ausschließlich um strittige 20 000 Euro, von denen unklar ist, ob sie an zwei Enkel weitergeleitet wurden oder nicht.
Außerdem Streit um das Haus der Familie in Naumburg
In dem Verfahren ploppt außerdem der Streit um das Familienhaus in Naumburg aus. Der Sohn hatte wohl schon vor Jahren eine Hälfte übertragen bekommen, während die Tochter als nun als testamentarisch verfügte Alleinerbin die andere Hälfte erhielt. Offenbar konnten sich die Geschwister nicht über den Wert und das finanzielle Aufteilen der Immobilie einigen, sodass die Schwester auf eine Zwangsversteigerung mit anschließendem Halbieren des Erlöses drängte.
Zu den angeklagten Vorwürfen will sich der in Untersuchungshaft sitzende 68-Jährige vorerst nicht äußern – vielleicht später mit einer Verteidigererklärung. Er beantwortet aber bereitwillig Fragen der Vorsitzenden Richterin Mirtha Hütt und erzählt, wie er sich nach der Wende als gelernter Radio- und Fernseh-Mechaniker selbständig machte, ab 2008 seine Firma aufgeben musste und von Ersparnissen lebte. Der Rentner gibt an, die im Haus lebende Mutter gepflegt zu haben, als ihre Hinfälligkeit und später auch die Demenz zunahmen.
Angeklagter berichtet von Suizidversuch in der U-Haft
Der Familienvater schildert eine unauffällige Biografie – abgesehen von gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund einseitiger Körperlähmungen seit Geburt. Im Jugendalter sollte Epilepsie dazu kommen. Als sich die Kammervorsitzende erkundigt, wie es ihm in der U-Haft ergehe, antwortet der Angeklagte zunächst lapidar „altersgerecht gut“. Als sein Anwalt ihm kurz etwas zuflüstert, berichtet er nach einigem Zögern, einen Suizidversuch im Gefängnis unternommen zu haben. 18 Kilogramm habe er in den letzten Monaten an Gewicht verloren. Und dann wirft er noch ein, dass bei ihm derzeit ein Verdacht auf Hautkrebs medizinisch abgeklärt werde.
Polizisten mussten Angreifer vom Opfer „herunter schubsen“
Als erste Zeugen befragt das Gericht jene Polizeibeamten, die an dem folgenschweren 6. März per Funkspruch an den Tatort in Haßloch, einen Garten, geschickt wurden. Beide Beamte schildern ziemlich übereinstimmend, welche Situation sie vorgefunden haben: Eine Frau lag auf dem Bauch, der Mann auf ihr zog mit beiden Händen an einem um den Hals geschlungenes Seil mit einem sogenannten Henkersknoten am Ende. Etwas entfernt stach ein hingeworfener Elektroschocker ins Auge. Der Angreifer habe auf laute Zurufe nicht reagiert. Die Polizisten betonen, dass sie den Mann von seinem Opfer „herunter schubsen“ mussten. Dass es sich um Bruder und Schwester handelte, sollte sich erst später herausstellen.
Die Vorsitzende Richterin fragt mehrfach nach, wie der Angreifer bei seiner Festnahme gewirkt hat. „Ich hatte den Eindruck, der war nicht ganz klar im Kopf – aber keineswegs von Drogen oder Alkohol“. Seinem Kollegen fiel damals dessen Emotionslosigkeit auf. „Er hat fast gleichgültig gewirkt“. Der Zustand der Frau sei so besorgniserregend gewesen, „dass ich den Eindruck hatte, die lebt nicht mehr“, erklärt einer der Polizisten. Auf Leinwand geworfene Tatort-Fotos veranschaulichen die Aussagen.
Da die Schwester und Nebenklägerin beim nächsten Verhandlungstag ebenfalls als Zeugin gehört werden soll, verlässt sie den Sitzungssaal, als die Polizisten befragt werden. Der Prozess wird am 15. Oktober fortgesetzt.
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