Neustadt/Weinstraße. Es hat einige Wochen gedauert, ehe die in China bestellte „Kackware“ im Wert von 30 Euro bei Patrick Christmann an seinem Wohnort im pfälzischen St. Martin angeliefert wurde. Dass das Kostüm, das er seither mehrmals übergestreift hat, nicht von allerfeinster Qualität ist, war fast zu erwarten. Dass ihm Polizei und Neustadter Ordnungsbehörde deshalb aber gleich einen Platzverweis erteilen würde, das hätte Christmann nicht gedacht.
Erzählen wir die Story anders: Patrick Christmann, 44 Jahre jung, ledig, keine Kinder und von Beruf Gymnasiallehrer, ist parteipolitisch bisher einigermaßen unauffällig gewesen. Am Morgen des 25. Januar, einem Samstag, ist er insofern etwas nervös, als er sich sein frisch erworbenes Kunststoffkostüm anzieht und fortan als Kackhaufen wahrgenommen werden wird. Am oberen Ende der „Kackwurst“ ist Christmanns Gesicht durch eine Öffnung sichtbar. Der Anlass für diesen Aufwand ist aus seiner Sicht angemessen, denn um 10.30 Uhr, will er sich beim Wahlkampfstand der AfD in dieser Weise präsentieren. Als Kackhaufen mit politischer Botschaft will er den Rechtspopulisten einen Spiegel vorhalten.
Plakate mit Botschaften wie „Keine Schorle für Nazis“
Plakate hat er dabei. Auf ihnen stehen Slogans wie „Kein Schorle für Nazis“, „Das B in AfD steht für Bildung“, „Wer ist hier Scheiße?“ et cetera. So stellt er sich in die Nähe der Wahlkämpfer. Angesprochen wird er daraufhin zunächst von den AfD-Leuten selbst, die ihm mitteilen, dass sie keine Nazis seien, woraufhin Christmann antwortet, dass er das auch gar nicht behaupte, sondern er nur mitteile, dass Nazis keine Schorle bekommen sollten.
Nun hätte der Vormittag munter so vorübergehen können, wären nicht nach wenigen Minuten Ordnungshüter der Stadtverwaltung und die Polizei aufgetaucht. „Sie erteilten mir einen Platzverweis wegen der Gefahr für Sicherheit und Ordnung“, beschreibt der 44-Jährige den Vorgang. Sie hätten mit weiteren Maßnahmen gedroht, sollte er den Platz nicht umgehend verlassen. „Auch auf mein Angebot, dass ich lediglich zehn bis 20 Minuten stehen bleibe, wurde nicht eingegangen“, sagt der Lehrer. Akustisch habe er sich in dieser Zeit gar nicht geäußert. Er stand einfach da – als Kackhaufen.
Er fühle sich von den Behörden in seinen Grundrechten auf freie Meinungsäußerung und Entfaltung der Persönlichkeit eingeschränkt, sagt er auch angesichts seines Vorhabens, diese Aktion am Samstag in Neustadt zu wiederholen. Ein Widerspruch seinerseits gegen die Maßnahmen der Behörden sei bisher unbeantwortet geblieben. Vielmehr sei ihm abermals mit Anzeigen gedroht worden.
Polizei verweist auf Beschäftigte des Ordnungsamtes in Neustadt
Auf eine Anfrage dieser Redaktion beim zuständigen Ludwigshafener Polizeipräsidium zu den Schilderungen des 44-jährigen Lehrers heißt es: „Bei den Platzverweisen handelte es sich jeweils um Maßnahmen der Stadtverwaltung.“ Patrick Christmann widerspricht dieser Darstellung und bleibt bei der Behauptung, Polizei und Ordnungsamt hätten gemeinsam gehandelt. Die Stadt Neustadt rechtfertigt indessen das Vorgehen ihrer Mitarbeiter.
Meinungsfreiheit
Meinungsäußerungsfreiheit ist das gewährleistete subjektive Recht auf freie Rede sowie freie Äußerung und (öffentliche) Verbreitung einer Meinung in Wort, Schrift und Bild sowie allen weiteren verfügbaren Übertragungsmitteln.
In Deutschland wird die Meinungsfreiheit durch Artikel 5 des Grundgesetzes gewährleistet.
Die Bedeutung dieses Grundrechtes wurde vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung konkretisiert. So heißt es in dem Lüth-Urteil von 1958: Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist als unmittelbarster Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit in der Gesellschaft eines der vornehmsten Menschenrechte überhaupt. sal
Eine Sprecherin antwortet auf Nachfrage: „Der Bürger hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern, auch in Form von Plakaten oder Protesten.“ Dieses Recht umfasse auch scharfe Kritik und polemische Äußerungen, solange sie nicht strafrechtliche Grenzen überschritten (Beleidigung, Verleumdung, Volksverhetzung et cetera). Kollidierten Interessen, sei eine praktische Konkordanz herzustellen. Weiter heißt es: „In diesem Fall überschritt die Protestaktion jedoch die Grenzen einer zulässigen Meinungsäußerung. Der Beteiligte trat in einem provozierenden Kostüm auf und nutzte herabwürdigende Plakataufschriften, wodurch der Informationsstand gestört wurde.“ Dies habe zu einer erheblichen Beeinträchtigung des politischen Wettbewerbs geführt. Nach sorgfältiger Abwägung sei daher ein Platzverweis ausgesprochen worden. Der beteiligten Person sei die Möglichkeit gegeben worden, den Protest wenige Meter entfernt fortzusetzen.
Auf eine erneute Nachfrage, wer genau das vor Ort entschieden, welche Interessen genau kollidierten und wo die Grenze der zulässigen Meinungsäußerung überschritten ist, antwortete die Sprecherin der Stadt lediglich mit der Formulierung, dass es sich um eine Maßnahme der Stadt Neustadt gehandelt habe. Nun wird Patrick Christmann am Samstag am eigenen Leib erleben, inwiefern das Kackhaufen-Kostüm, das ausgerechnet aus China kommt, noch als freie Meinungsäußerung durchgeht.
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