Rhein-Neckar. Auf einer Grünfläche an der A6 bei Wiesloch haben Adam und Konsorten ganze Arbeit geleistet. Der sechs Jahre alte Schafbock und seine Herde haben zusammen mit einigen Ziegen jede Menge Unkraut und wildwachsende Weiden abgenagt. Sie haben das im öffentlichen Auftrag getan, für die Niederlassung Südwest der Autobahn GmbH des Bundes. Als vierbeinige „Rasenmäher“ sorgen sie dafür, dass das Gelände offen und begehbar bleibt.
Walter Dal-Magro, Naturschutz-Experte der Niederlassung, ist angesichts der tierischen Leistung begeistert. Er deutet auf ein paar kleine und mitgenommen wirkende Weiden, deren Äste deutliche Knabberspuren zeigen. „Die waren definitiv höher – und das ist jetzt weg“, freut er sich. Mit den Tieren dämme man das Wachstum ein und verhindere so, dass ein Wald entstehe, den man „nicht mehr pflegen“ könne. Das wäre an dieser Stelle, an einem „Havariebecken“, das nach Unfällen auslaufenden Treibstoff aufnehmen und deshalb zugänglich bleiben soll, eher ungünstig.
Mit dem Einsatz der Tiere hat die Niederlassung vor gut einem Jahr begonnen – rund um die besonders sensiblen Havariebecken und auf sogenannten Ausgleichsflächen. Solche Flächen werden zum Ausgleich für Areale ausgewiesen, die durch Bauprojekte „verbraucht“ werden, zum Beispiel durch den sechsspurigen Ausbau der A6.
Inzwischen sind Dal-Magro zufolge niederlassungsweit 386 Ziegen und Schafe im Einsatz. Sie beweiden in den Regionen Mannheim, Walldorf und Karlsruhe 45 Havariebecken und 26 Ausgleichsflächen, insgesamt geht es um eine Million Quadratmeter, wie Tobias Jäger von der Außenstelle Karlsruhe der Niederlassung sagt. Und damit ist noch lange nicht Schluss. Das Projekt wird Jäger zufolge „sukzessive weiter ausgerollt“ – auf das gesamte Gebiet der Niederlassung und perspektivisch „auch auf anderen Flächen bundesweit“. Nach seiner Darstellung ist die Niederlassung Südwest die erste Behörde ihrer Art, die ein solches Projekt „in diesem Umfang macht“.
Bei Wind und Wetter im Einsatz
Drei bis vier Wochen verbringen die Tiere auf einem Areal, dann ziehen sie um, so wie jetzt. Adam und die anderen 24 Vierbeiner weiden nun auf einer Ausgleichsfläche neben dem Becken. Für jeden Quadratmeter neuer Autobahn brauche man einen Quadratmeter Ausgleichsfläche, sagt Dal-Magro. So soll an einer anderen Stelle Lebensraum für wildlebende Tiere und Pflanzen entstehen. Und der müsse gepflegt werden. „Da sind wir sehr hinterher.“ Zum Schutz von Flora und Fauna darf diese Ausgleichsfläche nicht mit schweren Maschinen befahren werden, ebenso die Havariebecken, deren Abdichtung leiden könnte.
1050 Kilometer Straße
Die Niederlassung Südwest der Autobahn GmbH des Bundes ist seit Januar 2021 zuständig für das Autobahnnetz in Baden-Württemberg sowie in Teilen von Rheinland-Pfalz und Hessen.
Zu den Aufgaben zählen Planung, Bau, Erhalt und Betrieb des rund 1050 Kilometer langen Netzes, zu dem laut Behörde auch rund 1200 Brücken und 16 Tunnel gehören.
Etwa 1000 Menschen sind für die Niederlassung tätig, die nach Angaben ihrer Direktorin Christine Baur-Fewson in allen Bereichen den Fokus auf nachhaltiges Handeln legt.
Die Zentrale sitzt in Stuttgart, zudem gibt es Außenstellen in Heidelberg, Karlsruhe, Freiburg, Heilbronn und Stuttgart-Vaihingen sowie 15 Autobahnmeistereien. jar
Bevor die vierbeinigen Helfer kamen, wurden auf der Ausgleichsfläche „Balkenmäher“ eingesetzt, per Hand geführte Mähmaschinen. Mit dem Einsatz der Tiere könne man die ohnehin nötige Arbeit nun „nachhaltig gestalten“, sagt Jäger. Man spare den Einsatz von Mitarbeitern der Autobahnmeisterei, des Mähgeräts, des Treibstoffs und den CO2-Ausstoß. Zudem seien die Tiere bei „Wind und Wetter“ im Einsatz. Ein weiterer Vorteil sei, dass sie auch „Strauchpflege“ betrieben und die „Verbuschung“ eindämmten, sagt Dal-Magro. Er deutet auf eine kleine Ziege, die an einer Wildrose knabbert. Ohne Eingriff würde die Rose so wuchern, da wäre „nachher hier alles zu, da könnte man nicht mehr rein“. Es wüchse ein Wald, den man nicht mehr kontrollieren könne, und alle absichtlich gesetzten heimischen Pflanzen würden verdrängt, zum Beispiel „von Akazien, Götterbäumen, von Pappeln“, so der Experte.
Die vierbeinigen Mitarbeiter gehören örtlichen Schäfern oder Ziegenhirten, die an einer Ausschreibung teilnehmen und Geld für die Bereitstellung der Tiere erhalten. „Wir prüfen vorher in enger Zusammenarbeit mit den Veterinärämtern, ob der Schäfer geeignet ist“, sagt Jäger. Dabei geht es darum, ob dieser zuverlässig ist, ob sich die Fläche eignet und ob es einen Unterstand und Wasser für die Tiere gibt. Die Schafe und Ziegen an der A6 gehören Matthias Bender, einem Elektriker und Nebenerwerbsschäfer aus Mühlhausen. Er und seine Frau Raphaela haben Adam und die anderen Tiere heute vom einen auf das andere Gelände getrieben und noch vier weitere Schafe gebracht.
„Sowas von entspannt“
Stört der Verkehrslärm die Vierbeiner nicht? „Sie sind sowas von entspannt. Bis jetzt haben wir noch keinerlei Probleme gehabt“, sagt Bender. Schlimmer als konstanter Lärm sei für die Tiere, wenn Stille herrsche und plötzlich ein grelles Geräusch ertöne, ergänzt seine Frau. Dass die Gelassenheit zumindest bei Adam auch Grenzen haben kann, musste sie erleben, als sie dem Bock einmal den Rücken zuwandte und sich nach einem Eimer bückte – und dann so heftig gestoßen wurde, dass sie einen großen Bluterguss am Oberschenkel erlitt. Sie hätte es wissen müssen, sagt die 33-Jährige selbstkritisch: „Er ist halt der Chef.“
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