Rhein-Neckar. Ganz überraschend hat’s die Branche nicht getroffen: „Dass die alten Brücken marode sind, wissen wir schon lange“, sagt Jochen Graeff, Inhaber der gleichnamigen Mannheimer Spedition und unter anderem auch Vorstand im Verband Verkehrsgewerbe Baden sowie Mitglied im Verkehrsausschuss des Deutschen Industrie- und Handelskammer (IHK). Schließlich ist der Brückenkopf der Kurt-Schumacher-Brücke auf Ludwigshafener Seite in Richtung Pfalz schon seit Jahren für den Schwerlastverkehr tabu.
Gleichwohl bedeuten die jüngsten Entdeckungen der Brückenprüfer eine ganz neue Qualität in der Bewertung des Bauwerkszustandes: Neue „Rissbildungen und Korrosionsschäden“ in den „statisch relevanten Bereichen“ hieß es Anfang Dezember. Ursache sei die permanente Überlastungssituation der Bauwerke. Jüngste Forschungen der Universität Hamburg bestätigen, was Wissenschaftler in den USA schon vor Jahren herausgefunden haben.
Die Achslast schwerer Lkw setzt den Straßen und Brücken vieltausendmal mehr zu als der Autoverkehr. Die Rechnung der Hamburger Forscher: Die Achslast von zehn Tonnen belastet die Brücke rund 160 000-mal stärker als ein normaler Pkw.
Betroffen sind Tausende von Lastwagen
Das hat die Fachleute bekanntlich zu einschneidenden Konsequenzen veranlasst: Seit dem 9. Dezember dürfen Lastwagen nur noch mit Tempo 30 und einem Mindestabstand von 50 Metern auf den Rheinquerungen unterwegs sein. Ein Überholverbot gilt außerdem. Verkehrszählungen haben ergeben, dass täglich mehr als 40 000 Fahrzeuge alleine die Kurt-Schumacher-Brücke überqueren. Auf der südlich gelegenen Konrad-Adenauer-Brücke dürften es aktuell weniger Fahrzeuge sein, weil der Anschluss ans regionale Straßennetz bis Anfang 2026 noch fehlt. Wie hoch letztlich der Anteil am Schwerlastverkehr ist, ist nicht genau beziffert. Aber es dürften Tausende von Lkw sein, die nicht zuletzt die beiden großen Häfen mit dem zahlreichen Industrieunternehmen der Kernregion verbinden.
Für den Logistikexperten Graeff und seine Fahrer ergeben sich aus den neuen Regelungen sehr viele praktische Probleme. Was passiert eigentlich in den gar nicht so seltenen Stausituationen? Da produziert das Abstandsgebot jede Menge gefährliche Situationen, weil die Autofahrer schnell und unvermittelt in die Lücken einscheren können. „Es wird zu Streit unter den Verkehrsteilnehmern kommen“, prophezeit Graeff. Aber jetzt müsse man halt damit umgehen. Denn der Geschäftsmann weiß genau, dass es noch sehr viel schlimmer wird, wenn die Brücke gesperrt werden muss, noch bevor die Hochstraße Süd wieder zur Verfügung steht. Denn dann wäre der Verkehr am Wirtschaftsstandort Rhein-Neckar in Grunde gar nicht mehr handelbar.
Viel lieber will Graeff den Blick konstruktiv nach vorne richten: Die Verkehrsinfrastruktur für einen derart wichtigen Industriestandort wie den Kernbereich der Metropolregion müsse funktionieren. Aber das sei mittelfristig angesichts der bevorstehenden Dauerbaustellen rund um die Rheinbrücken nicht anders darstellbar als über eine weitere, dritte Rheinquerung. „Wir müssen das Thema wieder aufmachen“, sagt Graeff. Theoretiker und Praktiker müssten bei dem Thema an einen Tisch.
Der Verkehr wird sich mittelfristig verdoppeln
Verkehr sei ja kein Selbstzweck, sondern immer eine abgeleitete Nachfrage, erläutert der Logistiker. Verkehr werde verursacht, weil die Menschen Waren und Güter nachfragen. Und auch wenn jeder die Verkehrswende beschwöre: „Der Verkehr wird sich mittelfristig verdoppeln“, gibt Graeff wissenschaftliche Prognosen wieder. Deshalb sei die dritte Rheinquerung kein unnötiger Luxus, sondern schlichte Notwendigkeit. „Wir brauchen sie für einen erfolgreichen Wirtschaftsstandort“. Damit ist er auf einer Linie mit den IHKs der Region. Die hatten sich nie wirklich von dem Thema verabschiedet. Manfred Schnabel, Präsident der IHK Rhein-Neckar, hatte zum Start des neuen Lkw-Tempolimits auf den Brücken die Forderung nach einer dritten Rheinquerung einmal mehr betont.
Die Stadt Mannheim ist zuständig für die Kontrolle der neuen Regeln. Angesichts der Feiertage dürften die städtischen Ordnungshüter ihre Messgeräte bislang noch nicht allzu oft aufgebaut haben. Es könnte sich indessen durchaus nicht nur für die Brückensubstanz, sondern auch für die Stadtkasse lohnen. Denn die wenigsten Lkw halten sich an das Tempolimit. Und wer’s tut, erntet zuweilen Unverständnis der Autofahrer, die ja mit 70 über die Brücke fahren dürfen. Auch das Abstandsgebot haben zumindest am Freitag um die Mittagszeit zwei Lkw-Fahrer fröhlich ignoriert.
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