Mannheim. „Komplett ausgelastet“: Im Kinderzentrum der Mannheimer Universitätsmedizin (UMM) ist kein Bett mehr frei. Das bestätigt ein Sprecher des Uniklinikums auf „MM“-Anfrage. Damit ist das Kinderzentrum genau so von der aktuellen Häufung von Atemwegserkrankungen betroffen wie viele anderen Kinderkliniken in Deutschland.
Neue Patienten könnten erst aufgenommen werden, wenn Betten wieder frei werden. Nach Angaben des Sprechers muss derzeit rund die Hälfte der Patienten der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin wegen akuter Atemwegserkrankungen behandelt werden – und die Zahlen steigen, wie es sich auch bundesweit beobachten lässt. Von einer „katastrophalen Lage“ auf den Kinder-Intensivstationen hatte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) am Donnerstag gesprochen. Die aktuelle Welle von Atemwegsinfekten – vor allem mit dem Respiratorischen Synzytial-Virus (RSV) – bringt Kinderkliniken in ganz Deutschland an ihre Grenzen.
Zehn zusätzliche Betten
„Die Welle von Atemwegserkrankungen hat in diesem Jahr untypisch früh bereits Mitte November begonnen und fällt ungewöhnlich stark aus“, bestätigt so auch der Sprecher der UMM. Schon seit Ende September tauschten sich Ärzte des Mannheimer Kinderzentrums mit niedergelassenen Kinderärzten über mögliche Maßnahmen aus. Pflegepersonal wurde bereits von anderen Stationen abgezogen, um zehn zusätzliche Betten für Kinder und Jugendliche bereitzustellen. Das gelte auch für Servicepersonal wie Reinigungskräfte und Desinfektoren.
Außerdem wurden bereits planbare, nicht-dringliche Eingriffe und Termine für Routine-Verlaufskontrollen verschoben, um Kapazitäten für die Behandlung akut erkrankter Kinder und Jugendlicher frei zu halten, so der Sprecher weiter: „Die Notfallversorgung von Kindern und Jugendlichen ist am Universitätsklinikum Mannheim jederzeit sichergestellt.“ Verschobene Behandlungen sollen so bald wie möglich nachgeholt werden, wenn die Infektionswelle abgeebbt ist, heißt es.
Zugenommen haben die bundesweiten Anfragen nach ECMO-Behandlung von jungen Patienten in Mannheim. Dabei übernehmen Maschinen vorübergehend die Funktion der Lungen, also die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff. Weil das UMM-Kinderzentrum besonders erfahren in dieser Behandlung sei und am Theodor-Kutzer-Ufer so auch besonders schwere Verläufe von Atemwegserkrankungen behandelt werden könnten, fragten Kliniken aus Deutschland schon immer an, so der Sprecher. „Umgekehrt müssen derzeit verstärkt leichter erkrankte Kinder in andere Häuser verlegt werden, um Behandlungskapazitäten für schwer Erkrankte frei zu machen.“
Betroffen vor allem Kleinkinder
Er betont, dass die Verlegung von Patienten zwischen Kliniken unterschiedlicher Versorgungsstufen zum üblichen Vorgehen gehört, wenn Bettenkapazitäten knapp sind. Das Kinderzentrum der UMM stehe in engem Austausch mit anderen Kinderkliniken der Region.
In denen sieht es nicht anders aus. Im Speyerer Diakonissen-Stiftungskrankenhaus beispielsweise sind seit Mittwoch sämtliche Betten sowohl auf der pädiatrischen Normalstation als auch auf der neonatologischen Intensivstation belegt. Die ersten Kinder mit RSV-Erkrankungen seien bereits Ende September behandelt worden, berichtet Hans-Jürgen Gausepohl, Chefarzt der Kinder- und Jugendmedizin. Seit Mitte November sei auch in seiner Klinik eine starke Welle zu spüren. „Betroffen sind vor allem Säuglinge und Kleinkinder bis zu zwei Jahren. Sie kommen mit Atemnot zu uns und brauchen eine Sauerstofftherapie, die nur im Krankenhaus möglich ist“, erläutert der Chefarzt. Meist könnten die Kinder auf der Normalstation behandelt werden, nicht selten sei aber ein mehrtägiger stationärer Aufenthalt nötig.
Auch in der Kinder- und Jugendmedizin des Klinikums in Worms sind die Kapazitätsgrenzen erreicht. Hauptsächlich sind es RSV-Infektionen, die bei Erwachsenen harmlos verliefen, für Kinder als Auslöser von Entzündungen an Bronchien und Lunge mitunter jedoch lebensgefährlich sein können, sagt Chefarzt Markus Knuf. „Dass insbesondere Atemwegsinfektionen in diesem Winter sehr häufig und in extremer Form auftreten, ist mutmaßlich auch auf die Isolationsmaßnahmen der vergangenen zwei Jahre zurückzuführen,“ sagt der Professor. Kinder verfügten neben einem angeborenen auch über ein erworbenes Immunsystem. Das bedeutet: Kinder bauen bei jedem Kontakt mit einem Virus auch eine Immunität dagegen auf. Wenn das Immunsystem nun lange Zeit nicht in Kontakt mit möglichen Erregern kommt und somit nicht gut trainiert ist, könne eine Infektion besonders stark ausfallen. Das sei in diesem Jahr bei vielen Kindern der Fall.
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Hoch intensive Welle
Eine Häufung von RSV-Infektionen habe es schon immer gegeben, sagen die Kinderärzte der Region. Doch seien diese vor der Pandemie vor allem im Januar oder Februar aufgetreten. Aber auch schon im vergangenen Jahr sei diese Erkrankungswelle deutlich früher und mit besonders hoher Intensität aufgetreten.
Ein sehr ähnliches Bild der Situation ergibt sich am Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin des Uniklinikums in Heidelberg. Auch dort werden aktuell spürbar mehr Kinder wegen eines schweren Verlaufs einer Atemwegserkrankung behandelt als zum gleichen Zeitpunkt in den Vorjahren. Die wichtigsten Erreger sind hier vor allem RSV-Infektionen, seit Kurzem grassiert allerdings auch das Influenza Virus, das eine Behandlung in der Kinderklinik erforderlich werden lässt. „Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Verläufe dieses Jahr schwerer sind“, beruhigt Claus Peter Schmitt, Geschäftsführender Oberarzt der Kinder und Jugendmedizin.
Der Professor hat ebenfalls – wie seine Kollegen – festgestellt, dass die saisonal übliche Infekt-Welle wie auch schon im Vorjahr deutlich früher begonnen hat. Auffälligkeiten bei der Altersverteilung der betroffenen Kinder seien indessen nicht erkennbar.
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