Ludwigshafen. Als am Mittwoch um 12.20 Uhr die Glocken der Christ-König-Kirche im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim zu läuten beginnen, stehen drei Frauen dicht beieinander. Maja Sprengart und Martina Kraft, die die Mutter ihres verstorbenen Mannes festhält. Sprengart weint. Hinter den Frauen liegt ein hartes Jahr, wahrscheinlich die schwerste Zeit ihres Lebens. Am 18. Oktober 2022 verloren zwei von ihnen ihren Sohn, Martina Kraft ihren Mann. Ihr gemeinsames Leben - ausgelebt.
Vor genau einem Jahr, gegen 12.20 Uhr, gingen die ersten Notrufe bei der Polizei ein. Zehn Minuten lang läuten die Glocken an diesem Mittwoch, rund 200 Menschen stehen in Grüppchen vor der Kirche. Familienmitglieder, Freunde, Bekannte der beiden Männern. Aber auch Menschen, die mitangesehen haben, was Jonas Sprengart und Sascha Kraft passiert ist, die versuchten zu helfen. Vergeblich.
Psalme und Orgelspiel
Die beiden Handwerker wurden in der Philipp-Scheidemann-Straße von Liban M. getötet. Der 26-jährige Mann aus Somalia, der laut einem psychiatrischen Gutachten an einer paranoiden Schizophrenie leidet, soll während der Tat nicht schuldfähig gewesen sein. Das Frankenthaler Landgericht hat die dauerhafte Unterbringung des Mannes in einer Psychiatrie beschlossen. Jonas Sprengart wurde nur 20 Jahre alt, Sascha Kraft 35.
Im Innern der Christ-König-Kirche erwarten der katholische Pfarrer Wojciech Kordas und der evangelische Pfarrer Lorenzo Cassola die Teilnehmenden. „Die Gedenkandacht gibt uns die Möglichkeit, zu trauern“, sagt Kordas. Sich an drei Schicksalsschläge zu erinnern. In einer der vorderen Kirchenbänke sitzt Marcel Kling. Er wurde von Liban M. lebensgefährlich verletzt. Bis heute zehrt der Angriff an ihm.
Die Geistlichen verlesen Psalme, unterbrochen vom Orgelspiel. Sie finden kaum persönliche Worte. Aber vielleicht braucht es diese heute auch nicht. Die Menschen, die am Mittwoch zusammen kommen, haben einander im vergangenen Jahr viele Male gesehen. Die meisten von ihnen waren schon eine Woche nach der Tat in der Kirche Christ-König. Gelähmt von den Geschehnissen hörten sie damals die evangelische Pfarrerin Kerstin Bartels sagen: „Weil es unfassbar ist - darum kommen wir jetzt zusammen.“
Wenig später besuchte die Mehrheit von ihnen auch die Trauerfeier auf dem Hauptfriedhof, hörten Depeche Modes „Enjoy The Silence“ in der Trauerhalle. Und dann Trauerrednerin Heike Koch-Barth, die über Träume und Pläne sprach, die Sascha und Jonas nie mehr zu Ende bringen würden. Auch im Gerichtssaal des Frankenthaler Landgerichts harrten viele Wegbegleiter der beiden Männer aus. Prozesstag um Prozesstag, manchmal stundenlang, bis in den Abend hinein. Bis zum Urteil, dem Freispruch, weil Liban M. nicht schuldfähig gewesen sein soll.
Am Mittwoch reihen sie sich in der Kirche in eine Schlange ein, schieben sich vor zum Altar, um für Jonas und Sascha eine Kerze anzuzünden.
„Die Teelichter symbolisieren das, was sie an einem Tag wie diesem in ihren Herzen tragen“, sagt Pfarrer Lorenzo Cassola. Dies könnten dunkle Farben sein, oder aber auch Lichtblicke. „Das ist nur ein kleines Licht, aber es hat Gewicht.“
Kurt und Maja Sprengart entzünden die ersten beiden Kerzen. Hier, in dieser Kirche, in der sie getraut worden sind, in der ihr Sohn Jonas getauft wurde. Es ist ein harter Tag für beide. „Gott hat uns am 18. Oktober 2022 verlassen“, sagt Kurt Sprengart später, nach der Veranstaltung, zu Journalisten. Dennoch sei es eine „sehr schöne Andacht“ gewesen.
„Diese Wunde heilt wohl nie“
Wie schwer die Tat auch ein Jahr danach noch wiegt, beschreibt Ludwigshafens Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck (parteilos) nach der Gedenkveranstaltung im Gespräch mit Reporterinnen und Reportern. „Diese Wunde heilt wohl nie“, sagt Steinruck. Was passiert sei, habe sich tief in die Stadt eingebrannt.
In der Kirche flackern rund 200 Lichter. Maja Sprengart macht ein Foto mit ihrem Handy davon. „Heute vor einem Jahr um 11 Uhr hat Jonas noch gelebt“, sagt sie. Früher an diesem Tag war die Familie auf dem Friedhof, am Grab. Und in der Philipp-Scheidemann-Straße, an dem Ort, an dem ihr Jonas starb. Und Sascha, der versuchte, seinem Freund zu helfen.
Maja Sprengart hält den Blick auf die Kerzen gerichtet. Es bedeutet ihr viel, dass die Menschen sich immer noch an die beiden Männer erinnern. An ihren Sohn und an Sascha, die eine tiefe Freundschaft verband, deren Lebenswege eng miteinander verknüpft waren. Und die vor einem Jahr, am 18. Oktober 2022, gemeinsam gestorben sind.
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