Lese-Rechtschreib-Störung

Frankenthaler Coach: "Fast 40 Prozent der Selfmade-Millionäre sind Legastheniker"

Der 35-jährige Andreas Starker ist einer von zwei Coaches in Deutschland, die sich mit erwachsenen Legasthenikern befassen. Er ist selbst betroffen und spricht über außergewöhnliche Fähigkeiten, die einige zu Millionären machte

Von 
Stephan Alfter
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Sie sind anders und wissen oft gar nicht warum: Legastheniker gelten noch oft als behindert oder krank. Tatsächlich haben sie viele Begabungen. © sal

Frankenthal. Wir schließen zum Einstieg in diesen Text einmal gemeinsam die Augen und versuchen uns das Wort K A T Z E bildlich vorzustellen? Den meisten Erwachsenen wird das ohne größere Anstrengungen gelingen. Wir können das Wort nehmen und es in seine Bestandteile zerlegen. Besonders Begabte können im Kopf womöglich sogar andere Worte daraus formen. Andreas Starker fällt diese Aufgabenstellung zumindest schwer. Der Frankenthaler ist Legastheniker und hatte dadurch in seinem bisherigen Leben, das ihn unter anderem mit dem Fahrrad einmal über den Erdball führte, nicht immer nur Vorteile.

Die Tränendrüse ist sein Ding aber nicht, denn seit einigen Jahren weiß der ausgebildete Ingenieur, dass die Lese- und Rechtschreibstörung ihn einerseits womöglich schwächt, sie ihm andererseits aber auch bisher wenig beachtete Fähigkeiten verleiht. Und dieser Aspekt liegt ihm am Herzen, wenn er Leute coacht, die ihr Leben lang als krank, dumm oder gar als Analphabeten abgestempelt worden sind. Auch Starker selbst ist sich seiner Kompetenzen erst vor weniger Jahren bewusst geworden. Von „Talentsignalen“ war plötzlich die Rede, während es in Deutschland kaum Publikationen zu dem Thema gibt.

Andreas Starker

  • Legasthenie ist Deine Stärke und keine Störung, behauptet der 35-Jährige aus Frankenthal.
  • Seit einiger Zeit unterstützt Andreas Starker erwachsene Legastheniker und Unternehmen, ihre legasthenen Talente voll zu nutzen und die verbundenen Herausforderungen zu bewältigen.
  • Er gibt Gruppencoachings, Eins-zu-Eins-Coachings und hält auch Vorträge sowie Seminare zum Thema Legasthenie.
  • Auf TikTok und Instagram klärt Andreas Starker über alle Facetten von Legasthenie auf und gibt Anregungen und Ratschläge zu Verhaltensweisen.

Legastheniker verfügen oft über empathische und kreative Kräfte

Legastheniker sind Menschen, die mit einer sogenannten Neurodivergenz zu kämpfen haben. Man spricht von sechs bis zwölf Prozent der Bevölkerung. Und während ADHS in aller Munde ist, bilden Legastheniker oft die ungesehene Gruppe unter den neurodivergenten Menschen. Sie denken anders und benutzen - etwa beim Lesen - andere Gehirnregionen als „normale“ Personen. Dafür kann Starker - im Gegensatz zu vielen anderen - gedanklich die vor ihm stehende Schreibtischlampe auseinandernehmen und sie sich im dreidimensionalen Raum von allen Seiten ansehen. Seine „Leidensgenossen“ haben oft ein kreativeres Verständnis und eine empathische Kraft, die anderen Menschen abgeht. Legastheniker - auch das wird immer deutlicher - haben ausgeprägte strategische Fähigkeiten. Und wenn es ihnen auch schwer fällt, geschriebene Zeilen zu lesen, so sind sie meist doch sehr gut in der Lage, „zwischen den Zeilen zu lesen“, wie Starker das ausdrückt. Der 35-Jährige, das fällt auf, wenn man um seine Legasthenie weiß, verwendet eine große Kraft darauf, sich verständlich mitzuteilen. Während er die Worte ausspricht, scheint sein Gehirn in der Tat schon fünf Sätze weiter zu sein.

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Legastheniker denken in Bildern und es falle ihnen schwer, diese Bilder in der Sprache zu decodieren, erklärt Starker. Eine Studie, die jüngst in der Fachzeitschrift „Brain“ veröffentlicht und von der TU Dresden angestrengt wurde, hat nun sogar nachgewiesen, wo genau im Gehirn der Knackpunkt liegt. Es gibt „Veränderungen in der Funktion und der Struktur des bewegungsempfindlichen Teils des visuellen Thalamus“, heißt es dort. Besonders deutlich seien die Veränderungen bei männlichen Legasthenikern. Forschende wie Katharina von Kriegstein, Professorin für Kognitive und Klinische Neurowissenschaft, sprechen von einem Durchbruch.

Andreas Starker hat zwei Brüder, die wie auch sein Vater Legastheniker sind - alles Ingenieure. Die Störung ist eine genetische Disposition, wird also vererbt. Seit Starker begonnen hat, sich parallel zu seinem Beruf mit Personal Coaching zu beschäftigen, ist ihm klar geworden, dass Legastheniker deutlich häufiger als andere Leute im Leben mit psychischen Problemen zu kämpfen haben. „Wir reden hier von 60 bis 70 Prozent“, sagt er. Es gebe höhere Suizidraten et cetera. Dass Legasthenie ein „Talentsignal“ sei, habe er selbst während eines Coachings erst richtig wahrgenommen - Vier Jahre ist das her. Bill Gates, Albert Einstein, Steve Jobs, Tom Cruise, Bodo Ramelow - selbst der Schriftsteller Ernest Hemingway - sie alle waren oder sind Legastheniker. Andreas Starker will den Blick auf die Potenziale lenken. „30 bis 40 Prozent aller Selfmade-Millionäre sind Legastheniker“, zitiert er eine Statistik.

Die Digitalisierung von Worten kommt Legasthenikern entgegen

Die Digitalisierung von Worten durch neue Technik erleichtere es Betroffenen in Zukunft, ihre Stärken besser zeigen zu können. „Es war bisher eher die Regel als die Ausnahme, dass Legastheniker ihre Störung so lange wie möglich verstecken“, sagt Starker. Sein Vater habe immer eine Sekretärin gehabt. So seien die Schwächen kaschiert worden. Das ist in Partnerschaften weniger gut möglich, zumal Emotionen bei Legasthenikern sehr stark impulsgesteuert sein könnten, wie Starker erklärt. Für eine Beziehung könne eine fehlende Regulation von Gefühlsausbrüchen zur Belastung werden.

Wie also damit umgehen? Auf TikTok und Instagram findet man Andreas Starker unter seinem Namen. Tausende Betroffene folgen ihm. In Dutzenden Videos klärt er auf, was sichere Zeichen für Legasthenie sind und grenzt sie beispielsweise gegen andere Phänomene ab. Aber er sagt auch, warum das Alter zwischen 30 und 45 „gefährlich“ für Betroffene ist und warum Legastheniker einen „Bullshit-Filter“ haben.

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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