Worms. Kaum sind die Bauzäune abgebaut, erobern sich Touristen und Einheimische, Erwachsene und Kinder gleichermaßen das neue Monument. Auf dem Wormser Weckerlingplatz steht seit dem vergangenen Wochenende ein mächtiger Thron. Aus rotem Sandstein, mit runder Rückenlehne. Und zwei Sitzen in die jeweils entgegengesetzte Blickrichtung. Selbst ältere Menschen, die nicht mehr allzu gut zu Fuß sind, erklimmen an diesem Sonntag die zwei Stufen, um auf einem der Sitze Platz zu nehmen. Kinder erklimmen das Monument eher sportlich, turnen auf der Rückenlehne herum.
Der Blick der Sitzenden schweift – je nach Platzwahl – auf das Andreasstift, das heute das Museum der Stadt Worms beherbergt, oder den Kaiserdom. Der Thron steht auf einer historischen Achse: Dort, wo im Mittelalter weitreichende politische Entscheidungen getroffen wurden. Und das soll der Doppelthron durchaus auch symbolisieren.
Ein Symbol für die Königsstadt Worms
Erdacht hat ihn der Wormser Konzeptkünstler Eichfelder. Für ihn ist nämlich bislang eine historische Tatsache ziemlich unter dem Radar der Stadtgeschichte geblieben: In Worms haben im Mittelalter viele Könige Hof gehalten. Karl der Große etwa hat in Worms acht und damit die meisten seiner Reichsversammlungen abgehalten. In Aachen dagegen nur vier, obwohl er die Stadt nach 800 zum Zentrum seines Reiches machte – wohl auch, um in den heißen Quellen dort seine Gicht zu kurieren. Karl heiratete zudem mindestens zweimal in Worms. Auch für Friedrich Barbarossa war Worms ein wichtiges Zentrum, wenn nicht sogar seine Hauptstadt. Hier hielt er sich am längsten auf.
Das Monument sei aber kein Denkmal für Karl den Großen und Barbarossa, sondern stehe vielmehr für viele Herrscher. Auch die Merowingerkönigin Brunichild, möglicherweise Vorbild für die Brünhild der Nibelungensage, Otto der Große, Heinrich IV., der den Investiturstreit als größten mittelalterlichen Konflikt anzettelte, und auch Karl V. waren hier sehr präsent. Der Thron, sagt Eichfelder, ist das Symbol für den Ort, von dem aus regiert wird. „Noch heute spricht man ja von ,Regierungssitz‘“, sagt er. Aber in den Geschichtsbüchern sei Worms zumindest bei diesem Teilaspekt vergessen worden.
Doppelthron in Worms sorgt für Aufmerksamkeit und Diskussionen
Schon vor zwei Jahren hatte der Künstler in einer Ausstellung, der „Borbetografie“ als künstlerischer Aufarbeitung der 3000-jährigen Stadtgeschichte, für die Idee eines sandsteinernen Throns auf dem Weckerlingplatz. Dass die Idee nun Wirklichkeit geworden ist, empfindet Eichfelder ein Stück weit als surreal. „Meine Vision ist Wirklichkeit geworden“, freut er sich.
Gleichwohl sei die Umsetzung ein Kraftakt gewesen. Nicht nur organisatorisch, sondern auch mit großer inhaltlicher Diskussion. Der Thron sei ein Symbol längst überwundener Herrschaftsstrukturen, hatten Kritiker moniert und ein solches Kunstwerk an zentralem historischem Platz mitten in der Stadt abgelehnt. Auch der Kunstbeirat der Stadt hatte sich in dieser Richtung geäußert und eine erkennbare kritische Auseinandersetzung mit dieser Herrschaftsform eingefordert.
Eichfelder
- Der 1967 in Worms geborene Designer und Konzeptkünstler setzt sich in seinen Arbeiten stark mit Geschichte und Mythologie auseinander.
- In seiner Heimatstadt beschäftigte er sich unter anderem künstlerisch mit der Nibelungensage . Vor der Stadtmauer schuf er „Siegfrieds Grab“, ein prähistorisches Hügelgrab mit mächtigen Menhiren. Am Rheinufer entstand „Kriemhilds Rosengarten“, ein 1000 Quadratmeter großes Labyrinth aus Rosenbeeten und drei Linden, die so eng beieinander gepflanzt sind, dass sie eine gemeinsame Krone bilden sollen.
- Die „Borbetografie“, benannt nach dem keltischen Siedlungsnamen für Worms, ist eine hundert Quadratmeter große Auseinandersetzung mit der 3000 Jahre alten Stadtgeschichte.
- Eichfelder hat unter anderem auch die Grafik zur großen aktuellen Ausstellung „Cäsar und Kleopatra“ im Historischen Museum der Pfalz in Speyer entworfen.
„Dieser Thron ist kein Symbol für Eroberer, Kriegstreiber und Alleinherrscher“, verteidigt Eichfelder sein Konzept. Gerade durch den Doppelsitz werde die Ambivalenz deutlich. „Denn welcher Herrscher würde gerne in seinem Rücken einen zweiten dulden“, sagt er. Der Künstler hat recherchiert und weltweit nichts Vergleichbares gefunden, weder in der Geschichte noch der Mythologie noch der Kunst – an keinem Ort. Ganz im Gegenteil: „Dieser Thron mit dem doppelten Sitz ist auch ein Symbol der Gewaltenteilung“, sagt Eichfelder.
Es wird spürbar, wie sich Macht inszenieren lässt
Und gleichzeitig hofft er, dass es sogar helfen könnte, sich Gedanken über die Macht zu machen, wenn man auf dem Thron Platz nimmt, und warum es so wichtig sei, sie zu teilen. „Wenn Sie dort oben sitzen, werden Sie spüren, wie leicht sich Macht inszenieren lässt. Das ist eine durchaus interessante Erfahrung.“
Zumindest belastet die Errichtung des „Throns zu Worms“ nicht den städtischen Haushalt. Angesichts der Debatte in der Stadtgesellschaft hatte sich der Rotary-Club Worms bereiterklärt, die knapp 40.000 Euro für das Werk zu finanzieren. Für den Wormser Stadtrat war die inhaltliche Auseinandersetzung dann auch weitaus weniger ein Konflikt. Das Parlament votierte einstimmig bei zwei Enthaltungen.
Für die Stadt könnte das Denkmal noch einen ganz anderen Nutzen haben: Schon in den ersten Tagen sind zahlreiche Bilder entstanden – von Menschen auf einem der beiden Thronsitze mit der Kulisse des Doms oder des Museums im Hintergrund. Diese Fotos gehen nun viral und sorgen für eine kostenlose Werbung für die Stadt. Im Sommer locken viele Veranstaltungen wie das mittelalterliche Spectaculum oder die Nibelungenfestspiele. Keine Frage: Worms hat einen neuen, attraktiven Hotspot für Fotos aller Art.
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