Rhein-Neckar. Ausgerechnet in Rüsselsheim: Vor genau einem Jahr haben die Veterinärbehörden erstmals in erweiterten Region das Virus der Afrikanischen Schweinepest nachgewiesen. Es war der Start einer Seuche, die sich kontinuierlich in Richtung Süden ausbreitete – trotz zügig eingerichteter Sperrzonen, Zäunen und Leinenzwang von Hunden. Ende Juli wurde das erste infizierte Wildschwein bei Einhausen im Kreis Bergstraße entdeckt. Dann eskalierte die Situation sehr schnell. Das südhessische Ried rund um Bürstadt, Biblis und Lampertheim wurde zum Hotspot der Tierseuche, die in den allermeisten Fällen für die betroffenen Wildschweine tödlich verläuft. Und die ASP grassiert bis heute. Ein Ende ist nicht absehbar. Auch wenn die öffentliche Wahrnehmung mittlerweile eine andere ist: Viele Einschränkungen sind wieder aufgehoben worden. Außerdem ist die Krankheit keine echte Bedrohung für die Gesundheit der Menschen.
Dass es vor allem den Kreis Bergstraße und hier das südhessische Ried getroffen hat, liegt an einem einfachen Umstand. „Es gibt hier einen sehr großen Schwarzwildbestand“, beschreibt Matthias Schimpf (Grüne), der zuständige Dezernent bei der Kreisverwaltung, die Problematik. Und wo viele Wildschweine unterwegs sind, kann sich das Virus entsprechend hemmungslos ausbreiten.
Die Hälfte aller toten hessischen Schweine im Kreis Bergstraße
Um die Dimension zu verdeutlichen: In ganz Hessen sind im zurückliegenden Jahr knapp 2200 Wildschweine der ASP zum Opfer gefallen. Ziemlich genau die Hälfte davon, nämlich rund 1100, wurden im Kreis Bergstraße gefunden.
Gleichwohl erstaunlich, dass es so gut wie keine Ausbreitung innerhalb des Jahres weiter in Richtung Süden gegeben hat. Der Rhein-Neckar-Kreis meldete im August 2024 einen Fall im Bereich von Hemsbach, unmittelbar in Nachbarschaft der hessischen Stadt Lampertheim. Das war aber auch der einzige Fall seitdem im Rhein-Neckar-Kreis. Auf Mannheimer Gemarkung gab – Stand Donnerstag - 14 Wildschweine, die mit ASP infiziert sind. Die Fundorte der Wildschweinkadaver lagen allesamt nördlich der A6 an der Landes- und Stadtgrenze zu Lampertheim und Viernheim, wo sich das Seuchengeschehen laut Bergsträßer Kreisverwaltung auch aktuell ballt.
Wildschweine nicht aus ihren Revieren vertreiben
Und warum hat sich die Seuche nicht weiter ausgebreitet? Man habe schnell und gut mit Landwirten und Jägern zusammengearbeitet. Zum einen ging es darum, die noch lebenden Wildschweine nicht aus ihren angestammten Revieren zu vertreiben, um die Seuche nicht weiter zu verbreiten. Deshalb auch die Einschränkungen: keine lautstarken Feiern in Waldgebieten, Leinenzwang von Hunden und keine Wanderungen kreuz und quer durch das Unterholz.
Auch die intensive Zusammenarbeit mit Landwirten und Jägern hat sich als fruchtbar erwiesen. Jäger bekommen eine Bürzelprämie für jedes geschossene Tier, finanziert vom Landkreis und im Betrag aufgestockt durch das Land. „Es geht darum, den Bestand innerhalb des Zauns zu reduzieren“, beschreibt Schimpf das Ziel. Auch das reduziere die Ausbreitung der Seuche. Angestrebt sind sogenannte weiße Zonen entlang der B 38 und des Rheins. Diese sollen komplett frei von Wildschweinen sein und eine natürliche Barriere für Infektionsketten bilden.
Außerdem ließen Kreis und Land die Sperrzonen flächendeckend einzäunen. Anfangs noch mit Elektrozäunen. Die erwiesen sich jedoch nicht als besonders wirksam. „So ein Elektrozaun hält der Wucht einer rennenden Bache nicht im mindesten stand“, weiß Schimpf. Und überdies wurden haufenweise Batterien geklaut, sodass die Zäune oft gar nicht mehr unter Strom standen. Nach und nach wurden und werden die E-Zäune durch stabile Stahlzäune ersetzt.
Matthias Schimpf: „Wir sind keine großen Fans von Zäunen“
Allerdings macht Schimpf keinen Hehl aus seiner Überzeugung, dass auch stabilere Absperrungen die Tierseuche auf Dauer nicht sicher eingrenzen können. „Wir sind keine großen Fans von Zäunen“, sagt er. In einer derart dicht besiedelten Region wie dieser lassen sich die betroffenen Zonen alleine schon durch die Vielzahl der Straßen nicht komplett einzäunen. Und die zahlreichen Wald- und Feldnutzer ließen die Durchlässe in den Zäunen immer wieder offen stehen.
Zäune könnten das Infektionsgeschehen zwar verlangsamen, böten aber keinen dauerhaften und zuverlässigen Schutz. Noch gut im Sinn ist dem Dezernenten die Szene an einer Fundstelle mit toten Wildschweinen, als plötzlich ein Greifvogel ein Stück Fleisch aus dem Kadaver hackte und sich mit der Beute direkt wieder in die Lüfte schwang. Auch Füchse und andere kleinere Tiere scheren sich nicht um Zäune, sondern verbreiten das hochansteckende Virus über alle Absperrungen hinweg. „Es weiß ja auch keiner, ob sich die Seuche nicht doch noch weiter ausbreitet“, warnt Schimpf vor allzu großem Optimismus.
„Der Kampf gegen die Afrikanische Schweinepest ist ein Marathon, kein Sprint“, sagt auch der hessische Landwirtschaftsminister Ingmar Jung. „Wir haben die Seuche zwar erfolgreich eingedämmt, aber sie ist noch nicht besiegt“, bittet der Minister die Bürgerinnen und Bürger weiter um Geduld.
Bekämpfung kostet alleine dieses Jahr 2,5 Millionen Euro.
Die ASP kostet den Steuerzahler übrigens auch jede Menge Geld. Alleine das Material schlägt im Kreis Bergstraße mit einem mittleren sechsstelligen Eurobetrag zu Buche. Das Landratsamt hat alleine für dieses Jahr 2,5 Millionen Euro für die Bekämpfung der Schweinepest eingeplant.
Auch der benachbarte Rhein-Neckar-Kreis treibt den Bau weiterer stabiler Schutzzäune voran, ebenfalls für einen mittleren sechsstelligen Betrag. Gerade erst hat das Landratsamt Zäune in einer Länge von 40 Kilometern beauftragt, unter anderem von Weinheim nach Westen bis Hüttenfeld, nach Osten Richtung Gorxheimertal, von Hemsbach bis Juhöhe, bei Heiligkreuzsteinach und von Schriesheim nach Ursenbach bis nach Unter-Abtsteinach. Dieser Zaunbau sorgt nicht überall für Begeisterung. Jäger befürchten, dass Lebensräume der Wildtiere zerteilt würden.
„Weil die ASP natürlich nicht vor Kreis- oder Landesgrenzen Halt macht, beobachten wir genau und durchaus mit Sorge das extrem dynamische Seuchengeschehen im Kreis Bergstraße. Wir müssen im Prinzip täglich mit weiteren positiven Funden auch bei uns im Rhein-Neckar-Kreis rechnen und haben uns daher entsprechend gerüstet. Gleichzeitig arbeiten wir in Abstimmung mit anderen Behörden an Präventionsmaßnahmen wie dem Bau von Schutzzäunen“, sagt Doreen Kuss, die Gesundheits- und Ordnungsdezernentin des Rhein-Neckar-Kreises.
Der Kampf ist noch lange nicht vorbei. Die ASP wird auch 2026 noch die Behörden beschäftigen. Erst ein Jahr nach dem letzten positiven Fund, könne über eine Teilaufhebung der Restriktionszonen nachgedacht werden, so Schimpf. Mindestens bis dahin werden Kadaversuche und -bergung, aber auch die Wartung der Zäune zu den regelmäßigen Aufgaben gehören.
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