Hockenheim. Soziale Medien sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken, und seit dem Wochenende offensichtlich auch nicht mehr aus der deutschen Festivalkultur. 50 Prozent der Deutschen nutzen eine der Apps wöchentlich, doch bei den Besuchern des Glücksgefühle-Festivals, das am Wochenende zum ersten Mal am Hockenheimring stattgefunden hat, scheinen es doch eher fünf Stunden pro Tag zu sein.
Ravioli aus der Dose, gemütliche Zeltplatzrunden, problematische Dusch-Situationen und vor allem viel Musik. So sehen viele Festivals in Deutschland aus, doch ein anderes Bild zeichnet sich auf dem Glücksgefühle Festival ab.
Keine Spur von einfachem Festival-Essen, übermüdeten Festivalgängern in zerknitterten T-Shirts und gemütlichen Bier-Runden. Denn nicht nur das Festival, das Lukas Podolski zusammen mit Markus Krampe organisiert hat, ist auf Hochglanz poliert, auch die Besucher. Und selbst wenn die Frisur und das Make-up nach dem Feiern nicht mehr sitzen, ist das kein Problem. Denn auf dem Gelände gibt es Make-up-Stationen einer bekannten amerikanischen Drogerie-Kette und Stände für die perfekte Festival-Frisur.
Doch in der heutigen Zeit muss sogar eine so einfache Erfahrung wie ein Festival komplett choreografiert und inszeniert sein.
Wir lassen uns auf Social Media von anderen Personen inspirieren und manchmal sogar beeinflussen. Und mit dieser Beeinflussung ändert sich auch unsere Lebenswelt, die Art und Weise, wie wir Dinge sehen und was uns wichtig erscheint. Doch in der heutigen Zeit muss sogar eine so einfache Erfahrung wie ein Festival komplett choreografiert und inszeniert sein.
Es scheint, als ob es eher darum geht, in den sozialen Medien sichtbar zu sein und Aufmerksamkeit von Außenstehenden zu bekommen, als wirklich präsent zu sein. Den Augenblick zu genießen und sich treiben zu lassen, das ist plötzlich out. Man versucht, die Erinnerungen daran krampfhaft festzuhalten - im Extremfall sogar mit einem dort gestochenen Tattoo.
Doch kann man die Musik, die Stimmung und die Menschen wirklich genießen, wenn man versucht, jeden Moment für die Außenwelt einzufangen? Wir sollten uns mehr darauf konzentrieren, Erinnerungen zu schaffen und nicht darauf, sie zu konstruieren. Und das gilt nicht nur für Festivals. Wenn wir nur damit beschäftigt sind, das perfekte Bild eines Sonnenuntergangs zu schießen oder das schönste Selfie bei einer Party zu machen, vergessen wir, denselben Sonnenuntergang mit den Liebsten zu genießen oder bei der Party in Gelächter und tiefgründigen Gesprächen zu versinken.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Ein Festival voller Glücksgefühle - oder doch nicht?
Lisa Knoll wundert sich in ihrem Kommentar, warum das Glücksgefühle-Festival in Hockenheim so perfekt daherkommt und fragt sich, wie wir auch in Zeiten von Social Media echte Erinnerungen schaffen können