Rhein-Neckar. Seit einer Woche ist es legal: Erwachsene ab 21 Jahren dürfen in Deutschland öffentlich kiffen. Und sie dürfen 25 Gramm Cannabis bei sich haben. Klarheit hat das neue Cannabis-Gesetz aber nicht geschaffen.
Viele Fragen sind offen - und werden es wohl auch noch längere Zeit bleiben. Denn die Behörden wissen selbst noch gar nicht, wie sie nun mit dem neuen Gesetz und seinen konkreten Folgen für den Alltag umgehen sollen. „Hinreichende Unklarheiten“, nennt das Fabian Schmidt, Sprecher des Stuttgarter Innenministeriums. Mit den Detailfragen des Alltags habe sich der Gesetzgeber nicht beschäftigt. Wir haben Antworten auf einige Fragen zusammengetragen:
Wo darf im öffentlichen Raum gekifft werden?
Das Gesetz sieht vor, wo überall nicht gekifft werden darf: rund um Schulen, Kitas, Spielplätze und öffentliche Sportstätten. In Fußgängerzonen ist der Joint ebenfalls zwischen 7 und 20 Uhr verboten. Damit sind die Innenstädte weitgehend tabu. Die sogenannte Bubatzkarte, die ein Softwareentwickler aus Koblenz für das ganze Bundesgebiet erstellt hat, markiert rote Kreise um Kitas, Schulen und Sportstätten.
Demnach gibt es beispielsweise einige Straßenzüge in der Mannheimer Oststadt, in der Neckarstadt-West, in Neckarau und Sandhofen, die laut Karte keine Beschränkungen aufweisen. Allerdings: Fußgängerzonen weist die Bubatzkarte nicht aus. Deshalb sind die Planken in der Karte auch nicht eingefärbt. Hier darf aber tagsüber nicht gekifft werden.
Der Programmierer der Karte warnt deshalb ausdrücklich: „Die Bubatzkarte basiert auf den öffentlichen Daten von OpenStreetMap, und kann unvollständig sein.“ Auch die Behörden warnen ausdrücklich: Die Bubatzkarte sei nicht rechtsverbindlich, so eine Sprecherin des Ludwigshafener Polizeipräsidiums. Fabian Schmidt, Sprecher des baden-württembergischen Innenministeriums, mahnt: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“. Wer kiffen wolle, müsse sich darüber informieren, wo der Konsum unter welchen Voraussetzungen erlaubt sei.
Haben die Beamten künftig einen Zollstock dabei, um den Abstand zur nächsten Kita zu messen?
„Die Beamten und Beamten kennen ihr Revier gut“, meint Ministeriumssprecher Schmidt. Allerdings stehe auch im Gesetz nicht detailliert, ob der Abstand von 100 Metern sich auf Luftlinie oder begehbare Wege beziehe. Es obliege den Kollegen, wie sie letztlich den Nachweis führten. Im Einzelfall entscheide die Staatsanwaltschaft in einem Telefonat. Auch die Ludwigshafener Polizeisprecherin sagt: Es wird im Einzelfall entschieden. Eine amtliche Bubatzkarte wird es nicht geben.
Werden alle Streifenbeamten mit Feinwaagen ausgestattet?
Da die Polizei eine Rechtsgrundlage für Kontrollen benötigt, will das Ludwigshafener Polizeipräsidium tatsächlich vermehrt Feinwaagen anschaffen. Zudem seien auf jeder Polizeidienststelle Feinwaagen vorhanden, sagt Ministeriumssprecher Schmidt. Das Gewicht sei auch entscheidend für den Strafrahmen, sollte es von 25 Gramm überschreiten. Ab 30 Gramm werde der Fall als Straftat gewertet.
Ich darf zwar 25 Gramm dabei und 50 Gramm zuhause haben. Aber woher bekomme ich den Stoff?
Aktuell eine ganz große Lücke im Gesetz. Der Besitz ist zwar erlaubt, nicht aber der Handel. „Es gibt aktuell keine legale Möglichkeit, in den Besitz von Cannabis zu kommen“, sagt Fabian Schmidt. Die Social Clubs, in denen bis zu 500 Mitglieder gemeinsam Cannabis züchten und ernten, dürfen erst ab 1. Juli den Stoff abgeben. Die Pflanzen bräuchten ebenfalls mehrere Monate, bis verwendbares Cannabis geerntet werden könne. „Der Bundesgesetzgeber hat dem Schwarzmarkt eine Hochkonjunktur verschafft“, ärgert sich Fabian Schmidt.
Darf ich im Garten oder auf dem Balkon kiffen, wenn ich im Umkreis von 100 Metern einer Schule oder Kita wohne?
Das Cannabis-Legalisierungsgesetz mache erst einmal keinen Unterschied, ob es sich um ein privates oder öffentliches Gelände handle, auf dem man kifft, sagt Ministeriumssprecher Fabian Schmidt. Auch auf privatem Grund und Boden dürfe man nicht alles tun. Allerdings müsse im Anzeigenfall die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob der Joint auf der Terrasse neben dem Kindergarten erlaubt sei. Diese Frage sei einer von vielen Punkten, die zwischen dem Innen- und Justizministerium noch abgestimmt werden müssten.
Darf auch in Raucherkneipen gekifft werden?
Wo nach den gesetzlichen Vorschriften geraucht werden darf, ist auch der Cannabis-Konsum grundsätzlich erlaubt, schreibt der baden-württembergische Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA). Das gilt für Raucherkneipen wie für die Außengastronomie. Allerdings könne der Gastronom von seinem Hausrecht Gebrauch machen und das Kiffen verbieten. Bislang halte sich das Interesse, Kiffen zu erlauben, in engen Grenzen, sagt eine Sprecherin des DEHOGA für den Rhein-Neckar-Kreis.
Was hält der Experte, der sich um Prävention und Beratung kümmert, von dem neuen Gesetz?
„Es wird den illegalen Drogenhandel verringern, aber nicht ganz verhindern“, sagt Philipp Gerber, Vorsitzender des Drogenvereins Mannheim. Und es werde der organisierten Kriminalität ganz sicher einen Teil ihrer Einnahmen wegnehmen. Bleibe abzuwarten, wie diese auf die Einnahmenverluste reagiere. „Die werden sich jetzt sicher nicht für normale Jobs bewerben“. Leider habe sich Deutschland nicht dazu durchringen können, die ganze Vertriebskette einer Kontrolle zu unterwerfen. So hätte man beispielsweise auch eine Hand auf der Qualität und dem THC-Gehalt des Cannabis gehabt.
Die Abkürzung bezeichnet den Stoff Tetrahydrocannabinol, der den Rauschzustand auslöst. Beim Alkohol gebe es genau diese Kontrolle des Vertriebs und deshalb auch keinen Schwarzmarkt. Was Gerber ebenfalls ärgert, ist die ideologisch gefärbte öffentliche Debatte. Immerhin sei es ja auch Intention gewesen, die Justiz zu entlasten. Es gebe aktuell zirka 180 000 Strafverfahren wegen Besitzes im geringen Mengenbereich. Die fielen ja künftig weg. Aber darüber rede keiner mehr.
Bin ich am Montagmorgen fahrtüchtig, wenn ich am Samstagabend bei einer Party einen Joint geraucht habe?
Das kommt darauf an, wie lange das THC im Körper individuell wirkt. Die Polizei mahnt, zwischen dem Genuss und der ersten Autofahrt danach 72 Stunden vergehen zu lassen. Denn aktuell gelte die Nachweisgrenze von einem Nanogramm pro Milliliter Blutserum. Eine Kommission berät die Anhebung auf 3,5 Nanogramm. Das ist aber noch nicht Gesetz. Ministeriumssprecher Fabian Schmidt sieht eine Anhebung des Grenzwertes kritisch. Das sende das falsche Signal aus, kiffen und fahren sei okay. Und man dürfe den THC-Rausch nicht mit Alkohol vergleichen. Die Wirkungen und Abbaumechanismen im Körper seien völlig unterschiedlich.
Die Autobahnpolizei in Ludwigshafen-Ruchheim rechnet mit erheblich mehr Drogenfahrten als bisher. Auto der Autobahn haben Dogen dem Alkohol schon längst den Rang abgelaufen: In den vergangenen zwei Monaten haben die Beamten auf den Autobahnen der Region 80 Fahrer erwischt, die unter dem Einfluss von Drogen oder Alkohol standen. Dabei hätten die Drogenfahrten sehr deutlich überwogen, sagt der stellvertretende Stationsleiter Maurice Golfier.
Welche Strafe droht, wenn ich am Steuer mit THC im Blut erwischt werde?
Bei einem Nanogramm oder mehr gilt die Fahrt am Steuer eines motorisierten Fahrzeugs als Ordnungswidrigkeit. Dann wird eine Geldbuße von mindestens 500 Euro, zwei Punkten in Flensburg und ein Fahrverbot von einem Monat (Wiederholungtäter: drei Monate) fällig. Kommen Auffälligkeiten wie eine unsichere Fahrweise dazu, wird die Fahrt zur Straftat. Dann droht eine Freiheitsstrafe.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Cannabis-Gesetz mit vielen Unklarheiten