Pandemie

Dank Long Covid nur noch Matsche im Kopf

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Immer deutlicher zeichnen sich Langzeitschäden als Folge einer Corona-Erkrankung ab. © istock

Mannheim. Viruserkrankungen können tückisch sein. Je länger die Pandemie dauert, desto deutlicher zeichnet sich ab, dass eine Infektion mit dem Corona-virus Langzeit-schäden zur Folge haben kann. Oft trifft das Phänomen von Long Covid junge, fitte Menschen, die plötzlich aus der Mitte ihres Lebens gerissen werden. So wie Sebastian und Alma. Die beiden heißen eigentlich anders, zu ihrem eigenen Schutz bleiben sie hier aber anonym. 

Sebastian hatte sich im Dezember freiwillig gemeldet, um auf der Covid-Station des Krankenhauses, an dem er arbeitete, auszuhelfen. Die Infektionszahlen sind Ende vergangenen Jahres auf dem Höchststand, noch ist niemand geimpft, die Krankenhäuser arbeiten am Limit. „Ich dachte, das tut mir gut, wenn ich mich mit der Krankheit auseinandersetze“, sagt der 36-Jährige, der normalerweise als Anästhesist arbeitet. Für ihn war Corona bis dahin wie eine dunkle Wolke. „Auf der Coronastation konnte ich mich der Krankheit aktiv entgegenstellen, ich hatte das Gefühl, die Kontrolle übernehmen zu können.“ Nach Weihnachten erhalten Ärzte und Pfleger des Krankenhauses das Angebot, sich impfen zu lassen. Der Impfstoff von Biontech war seit wenigen Tagen in Europa zugelassen. „Wir haben gesagt, ,klar, das machen wir, wir sehen ja, wie schlecht es den Leuten geht’.“ Am 27. Dezember lässt sich Sebastian gegen Corona impfen. Am nächsten Tag hat er grippale Beschwerden.

Eine Reaktion auf die Impfung, denkt er sich, das Immunsystem arbeitet. Am Silvesterabend hat er Rufbereitschaft für den OP, doch er kann nicht arbeiten, er hat plötzlich Fieber bekommen, fast 40 Grad. Er ruft im Klinikum an und sagt: „Ich habe einen Infekt, vielleicht auch die Grippe.“ Seine Freundin, die im Rettungsdienst arbeitet, und er hatten sich schon damals mit Antigen-Schnelltests eingedeckt. Sie testen sich, drei Tage in Folge ist der Test negativ. Am vierten Tag dann ein positives Ergebnis. Sebastian meldet sich bei der Corona-Ambulanz der Uniklinik: „Mich hat’s erwischt.“

"Ich konnte viel langsamer denken als früher"

Es beginnt ein langer Leidensweg, von dem Sebastian heute sagt, dass er noch nie so gefordert worden sei. Zehn Monate lang kämpft der 36-Jährige mit den Folgen der Virusinfektion, zehn Monate, in denen er an seine Grenzen und darüber hinaus kommt. „Ganz oft habe ich gedacht, ich schaffe das nicht.“ Nachdem ein PCR-Test Anfang Januar bestätigt, dass er sich tatsächlich mit dem Coronavirus infiziert hat, versucht er zunächst, die Krankheit zu Hause auszukurieren. Doch schon bald geht es ihm so schlecht, dass er ins Krankenhaus muss. „Es sind 150 Meter vom Eingang der Klinik bis zur Station, ich musste fünf Pausen machen.“

Mehrere Tage wird Sebastian im Krankenhaus behandelt. Er ist kaputt, müde, energielos. Schon das Zähneputzen am Morgen ist eine Herausforderung. „Danach musste ich mich erst einmal hinlegen.“ Immerhin, das Kortison schlägt an und lässt die hohen Entzündungswerte sinken, gegen die Thrombosegefahr bekommt er Heparin, außerdem ein Breitband-antibiotikum, damit sich nicht noch eine Lungenentzündung entwickelt. Am 11. Januar wird er entlassen. Die beiden Frauen, die ihn mit dem Krankentransport nach Hause bringen sollen, fragen ihn, ob er Hilfe benötige. „Nein“, sagt er und schafft dann die Stufe in den Rettungswagen nicht. Bis Ende Januar ist Sebastian in Quarantäne, der Coronatest zeigt lange ein positives Ergebnis an. Im Februar gibt ihn das Gesundheitsministerium frei. „Ich konnte in die Welt zurück.“ So denkt er.

Entdeckung von Long Covid

  • Rund zehn Prozent aller Covid-Patienten, entwickeln ein Long Covid-Syndrom. Die Symptome bestehen nach der Akutphase fort oder entwickeln sich später.
  • Die Ursachen für das Syndrom, das mehrere Wochen oder Monate andauert, sind unbekannt. Die am häufigsten genannten Beschwerden sind Fatigue (Erschöpfung), eingeschränkte Belastbarkeit, Konzentrationsstörungen, Atemnot.
  • Mehrere Fachgesellschaften haben einen Patientenleitfaden entwickelt. Mehr Infos: zusammengegencorona.de und (von der WHO) euro.who.int
  • Anlaufstellen für Betroffene beim Gesundheitstreffpunkt (gesundheitstreffpunkt-mannheim.de), das Selbsthilfebüro (selbsthilfe-heidelberg.de) sowie die Interessenvertretung Post-Covid-Erkrankter (leben-mit-Covid.de). (sba)

"Ich konnte die Beschwerden nicht richtig greifen"

Er meldet sich im Krankenhaus, will wieder arbeiten. „Du hast einen schweren Infekt hinter dir, du bist als zweiter Anästhesist eingeplant und kannst schauen, wie es läuft“, sagen die Kollegen. Es läuft schlecht. Aber Sebastian will das lange nicht wahrhaben. Er ist doch Arzt, kein Patient. Nach acht Stunden Arbeit kommt er völlig k.o. nach Hause, legt sich ins Bett und schläft. „Das kannte ich so nicht von mir, ich bin eigentlich ein Nachtmensch und komme mit wenig Schlaf aus.“

An Rennradfahren, wie er es früher nach der Arbeit getan hat, um abzuschalten, ist nicht zu denken. Auch sich zu konzentrieren, fällt schwer. Sebastian nennt es Matsche im Kopf. „Ich konnte viel langsamer denken als früher.“ Neues aufzunehmen, Abläufe auf der Station durchzugehen, ein Buch zu lesen, kostet unglaublich viel Kraft. Sebastian ist überzeugt, dass er sich das nur einbildet. „Ich konnte die Beschwerden nicht greifen, ich dachte, ich bin ein Versager, überfordert vom Alltag.“

Im Juli fällt die nur noch mühsam aufrecht erhaltene Fassade zusammen, was Freunde längst angedeutet hatten, sieht nun auch er: „Ich brauche eine Pause, um wieder ins normale Leben reinzukommen.“ Das normale Leben aber bleibt noch lange unerreichbar. Sebastian wird depressiv, so schwer, dass er sich selbst in eine psychiatrische Klinik einweist. Mitte August stellt er sich außerdem bei der Long Covid-Ambulanz des Uniklinikums Heidelberg vor. Eigentlich hatte der Betriebsarzt schon im Frühjahr gesagt, er sollte sich einmal durchchecken lassen. Doch von einem Long Covid-Syndrom haben zu dem Zeitpunkt nur wenige gehört, wirklich zuständig fühlt sich keiner. Erst Monate später in der Spezialambulanz wird eine Computertomographie der Lunge gemacht, ein Herzultraschall, ein Blutbild.

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Es stellt sich heraus, dass die Entzündungswerte noch immer erhöht sind, die Blutgerinnung weiter gestört ist und sich um sein Herz Flüssigkeit gesammelt hat. Damit wird das Ganze greifbar. „Ich wusste nun, es gibt wirklich Schäden durch Covid, ich spinne nicht.“ Er weiß außerdem, dass er selbst etwas tun kann: auf Zeit spielen. „Dem Immunsystem Gutes tun. Stückchen für Stückchen den Körper mehr belasten. Jeden Tag zwei Minuten länger spazieren gehen.“ Tatsächlich beginnt die große Leere im Kopf zu schwinden, die Freude am Leben, die er so vermisst hatte, kehrt zurück. Zwischenzeitlich verlässt Sebastian die Klinik, doch die Depressionen sind noch zu stark. Die Rückkehr zur stationären Behandlung ist ein erneuter Tiefpunkt. Die Ärzte und Pfleger sagen: „Wir werden gemeinsam einen Plan finden. Sie bleiben bei uns, so lange es dauert.“

Es dauert noch einmal viele Wochen. Sebastian lernt Patienten mit ganz anderen Erkrankungen kennen. Er sagt, die hätten ihn tief beeindruckt. „Die haben nicht aufgegeben. Auch nicht, wenn es ihnen richtig schlecht ging.“ Auch Sebastian gibt nicht auf, und er merkt bald, dass er über dem Berg ist. Anfang Oktober kann er nach Hause entlassen werden. Nur vier Wochen später fängt er wieder an zu arbeiten. Zunächst sind es vier Stunden am Tag, ab Dezember will Sebastian wieder voll einsteigen. Der Oberarzt nimmt ihn an seinem ersten Arbeitstag in den Arm, er sagt, er sei froh, dass die Familie wieder komplett ist.

"Es ist, als ob einem das Leben weggenommen wurde"

Es ist Dezember 2020, Alma ist gerade einkaufen, da geht es ihr plötzlich schlecht. Völlig kraftlos kommt sie zu Hause an, hat starke Gliederschmerzen. Sie legt sich ins Bett. Am nächsten Tag lässt sie sich auf Corona testen. Noch bevor sie das Ergebnis erhält, riecht und schmeckt sie nichts mehr. „Da wusste ich, dass ich Corona habe“, erzählt die 47-jährige. Die Schmerzen werden schlimmer, bald kommt ein Husten dazu. Der Hausarzt, den sie kontaktiert, empfiehlt Hustenstiller für die Nacht. „Den musste ich alle zehn Minuten nehmen, um wenigstens etwas Ruhe zu haben.“

Zwei Mal kommt der Notdienst. Beim ersten Mal sagt er, die Sauerstoffsättigung in ihrem Blut sei noch nicht so schlecht, und die Krankenhäuser seien mit Coronainfizierten bereits so voll, sie solle besser zu Hause bleiben. Beim zweiten Mal sagen die Notärzte: „Wir müssen sie mitnehmen.“ Alma hat eine schwere Lungenentzündung entwickelt, zwei Tage liegt sie auf der Intensivstation. Auch ihr Mann hat Corona, auch er muss wenig später ins Krankenhaus, die ebenfalls infizierte Tochter, der es aber gut geht, wird von der Tante aufgenommen. „Zum Glück, denn das Krankenhaus hatte bereits das Jugendamt angerufen, wo die Tochter unterzubringen sei.“

"Ich habe oft gedacht, warum trifft es mich"

Nach Silvester darf das Ehepaar nach Hause. Almas Mann erholt sich langsam. Anfang März startet seine Wiedereingliederung. Bei Alma ist an arbeiten nicht zu denken. An manchen Tagen schafft sie es noch nicht einmal aus dem Bett. „Es ist, als ob ich Schlaftabletten genommen hätte.“ An anderen Tagen fühlt sie sich besser. „Dann denke ich, es geht aufwärts.“ Bis zum nächsten Absturz, wenn sie wieder kaum die Routinen zu Hause bewältigen kann. „Das ist schlimm, nichts ist mehr planbar.“

Sie vergisst viel, die Konzentration lässt schnell nach, zwischenzeitlich fallen ihr die Haare büschelweise aus, die Geschmacksstörungen halten bis heute an. Ein Apfel riecht wie nach Fäkalien, und so schmeckt er dann auch. Mit am schlimmsten ist die Kurzatmigkeit. „Ich merke jede kleine Steigung, nach 20 Minuten laufen fange ich an zu schnaufen.“ Alma sagt, sie sei immer ein aktiver Mensch gewesen, jetzt müssten sie Freunden, die am Wochenende mit ihnen in der Pfalz wandern gehen wollten, absagen. „Das ist sehr deprimierend.“ Immer wieder hat sie Panikattacken, wenn sie keine Luft mehr bekommt, sie verliert die Kontrolle über ihren Körper, die Beine werden wie Pudding. Ihre Lungenfunktion ist, das hat ihr der Lungenfacharzt attestiert, noch immer eingeschränkt. „Es ist, als ob einem das Leben weggenommen wurde.“

Lange Zeit macht Alma sich Vorwürfe. „Ich habe oft gedacht, warum trifft es mich und keinen anderen?“ Wenn sie Menschen begegnet, die die Gefahr von Corona herunterspielen, ärgert sie das. „Die hätte ich schon damals am liebsten ins Krankenhaus gezerrt, damit sie sich die Menschen ansehen, die schwer an Corona erkrankt sind.“ Alma weiß, dass sie weiter viel Geduld brauchen wird. „Es gibt ja keine Medizin“, sagt sie. Von der Kur, zu der sie jetzt geht, erhofft sie sich viel - oder eigentlich nur eines: wieder der Mensch zu werden, der sie vor Corona einmal war.

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