Ludwigshafen. Mit der Tiefenschärfe einer 3D-Brille gleicht das eigentlich winzige, aber enorm vergrößerte Häutchen auf dem Monitor einer hauchdünnen Mini-Fahne. Es handelt sich freilich um eine auf der Netzhautoberfläche gewachsene Membran, die Lars-Olof Hattenbach mittels Pinzette bei einem „Peeling“ der besonderen Art vorsichtig entfernt. Eindrücke aus dem OP-Saal der Augenklinik Ludwigshafen, die seit einigen Monaten über ein digitales 3D-Operationsmikroskop verfügt, das mit einer Bildgebung kombiniert ist, die während des Eingriffes hochauflösende Querschnittaufnahmen liefert.
„Wir waren neben dem LMU Klinikum in München die ersten mit diesem Zeiss-Gerät“, berichtet Klinikdirektor Hattenbach, der seit Jahren mit dem Optik - und Elektronikkonzern am Standort Oberkochen kooperiert. Der Augenspezialist freut sich, dass bei dem neuen Modell „Artevo 850“ zur 3D-Visualisierung chirurgischer Eingriffe von ihm aus langer Erfahrung entwickelte Vorschläge verwirklicht worden sind.
Augen-OP in Ludwigshafen: Schnittstelle zwischen Glaskörper und Netzhaut spielt zentrale Rolle
Eine Journalistin bekommt Gelegenheit mit eigenen Augen zu beobachten, wie im Inneren eines Sehorgans operiert wird - und zwar bei sogenannten vitreoretinalen Interfaceerkrankungen, bei denen die Schnittstelle zwischen Glasköper und Netzhaut eine zentrale Rolle spielt. Dieses im Gegensatz zur Makuladegeneration „ziemlich wenig bekannte Krankheitsbild“, so Hattenbach, entsteht nicht unterhalb der Netzhaut, sondern auf dieser.
Bei dem 80-jährigen Patienten, der zur minimal invasiven OP ansteht, ist eine feine wie folgenreiche Membran auf der Netzhautoberfläche diagnostiziert worden. Und die kann sich zusammenziehen beziehungsweise gleich einem ungebügelten Tuch Falten bilden, die wiederum bewirken, dass beispielsweise Linien verzerrt und Fugen von Fliesen krumm wahrgenommen werden. Dass mit fortschreitendem Alter der fürs Sehen funktionslose Glaskörper leicht schrumpft und sich von der Netzhaut zurückzieht, so Hattenbach, „ist völlig normal“. Zur Beeinträchtigung des Sehvermögens könne jedoch führen, wenn sich dieser Raumfüller mit gelartiger Substanz von der Netzhaut, insbesondere von der Stelle des schärfsten Sehens, der Makula, nicht komplett löst und deshalb dort punktuell zieht und empfindliche Netzhautzellen stresst.
Winzige Schnitte für Instrumente, Lichtquelle und Infusionen
Der Patient ist bereits mittels Maskennarkose weggedämmert, als der steril vermummte Klinikchef in seinem Arbeitssessel ans 3D-Mikproskop rollt, das er mittels Fußschaltpult steuert: „Ich kann damit auch die Einstellung des OCT vornehmen.“ Die drei Buchstaben stehen für „Optische Kohärenztomographie“ . Und die gibt während einer OP „kontinuierlich visuelle Rückmeldungen“ , so Hattenbach. Um die Netzhaut und damit die beeinträchtigende Membran zu erreichen, muss zunächst einmal der Glaskörper entfernt werden - Vitrektomie genannt. Dazu führt der Chirurg über winzige Schnitte vier Mikro-Trokare als Kanäle für Instrumente, Lichtquelle und Infusionen ein. Eines dieser Röhrchen nutzt Hattenbach zum Vorschieben eines Rundmessers mit 20 000 Umdrehungen pro Minute samt Sauger, um die gelartige Füllsubstanz zu zerschneiden und rauszuholen.
„Peeling“ nennt sich das anschließende Ablösen der Membran - ein schwieriger OP-Abschnitt, der mit kosmetischem (Haut-)Peeling so viel oder wenig zu tun hat wie der Apfel im Auge mit jenem am Baum. Es gilt das Hautgespinst mit der Pinzette so zu fassen, dass die Netzhaut unberührt bleibt. Dabei hilft, die transparenten, kaum sichtbaren Schichten anzufärben.
Als ob sich einige Tropfen Tinte in Flüssigkeit auflösen - so wirkt die Gabe von Farbstoff. Hattenbach kommentiert OCT-Schnittbilder, die neben den anatomischen Vergrößerungen auf dem OP-Livebildschirm erscheinen. Diese offenbaren, ob die Ansammlung von Bindegewebszellen vollständig entfernt ist. Überhaupt kann der Operateur nach Belieben zwischen der 3D-Visualierung auf dem Monitor, auf den das OP-Team und die Journalistin gebannt blicken, und der Sicht durch optische Okulare wechseln. Hattenbach nennt Studien, die darauf hinweisen, dass Optische Kohärenztomographie die Erfolgsrate von Eingriffen an der Makula optimiert - auch weil der Chirurg sofort sieht, „wie das Gewebe reagiert“.
Lars Olof Hattenbach
- Lars-Olof Hattenbach leitet seit 2006 die Augenklinik des Klinikums Ludwigshafen.
- Der promovierte und habilitierte Fachmediziner gilt als internationaler Experte auf dem Gebiet der Netzhaut- und Glaskörperchirurgie.
- Diese Redaktion berichtete 2022, dass Hattenbach einem 78-Jährigen mit beidseitigem Verlust des Sehvermögens aufgrund einer altersbedingten Makuladegeneration erfolgreich einen Netzhautchip implantiert hat.
Und wie läuft die OP nach dem „Peeling“ ab? Als Ersatz für den Glaskörper wird das Auge mit einer Flüssigkeit gefüllt. Die eventuelle Gabe von Luft kann wie eine Tamponade wirken - mit dem Effekt, die Netzhaut einige Tage zu stabilisieren. Nachdem die vier Trokare wieder vorsichtig herausgezogen wurden, streicht Hattenbach über die Schnittstellen, die so winzig sind, dass sie selbstdichtend verheilen.
Bleibt noch nachzutragen: Die Journalistin erlebt drei solcher Eingriffe mit gleicher Diagnose. Und jeder verläuft ein bisschen anders. Mal gilt es das Einfärben zwecks besserer Sichtbarkeit zu wiederholen. Dann wieder ist das Häutchen trotz Zartheit widerspenstig. Und einmal gilt es zwei der vier Minischnitte abschließend zu vernähen, weil sich das Gewebe aufgrund früherer Eingriffe als narbig erweist. Hattenbach: „Wir sprechen von der Kongressmembran.“ Gewebe verhalte sich nämlich nur in Videos, die auf Tagungen gezeigt werden, komplett identisch. Personalisierte Medizin hat eben viele, auch augenfällige Facetten. Diese richtig einzuschätzen - dabei hilft im OP die neue Bildtechnik.
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